Zuversicht und keine Erwartungen
18. Februar 2016Nach dem erneuten Terroranschlag hatte der türkische Premierminister Ahmed Davutoglu seine Reise zum EU-Gipfel nach Brüssel abgesagt. Damit fiel den EU-Staaten, die am meisten von der Flüchtlingskrise betroffen sind, ihr Hauptgesprächspartner weg. Die so genannte "Koalition der Willigen", die auf eine enge Zusammenarbeit mit der Türkei beim Herunterfahren der Flüchtlingszahlen setzt, saß im Brüssel mehr oder weniger auf dem Trockenen.
Das Treffen der Koalition, das ohne den türkischen Premier wenig Sinn hat, wurde von Gastgeber Österreich abgesagt. Während ihrer Regierungserklärung hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch noch die Gespräche mit der Türkei über Grenzsicherung und Rückführung der Flüchtlinge in die Türkei als wichtigstes Element ihrer Gipfel-Strategie dargestellt.
Mangelhafte Umsetzung
Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, zog kurz vor Beginn der Treffen in Brüssel die Schlussfolgerung, dass diesmal keine neuen Beschlüsse gefasst werden. "Wir müssen das umsetzen, was wir schon beschlossen haben", sagte Juncker und meint damit die bereits mehrfach von Gipfeln abgesegnete Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien auf andere EU-Staaten. "Mangelhaft ist noch sehr freundlich ausgedrückt", so bewertet der Kommissionspräsident, den bisherigen Eifer der EU-Mitglieder, ihre Zusagen einzuhalten.
160.000 Menschen sollten umverteilt werden. Bisher sind es 600. Die Geschwindigkeit der Flüchtlingsverteilung hat seit dem letzten EU-Gipfel im Dezember nicht zugenommen. Damals hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch von einem "exponentiellen Anstieg" und einer "Lernkurve" fabuliert, die sich aber nicht eingestellt hat. Jetzt spricht Merkel davon, man würde sich angesichts der gescheiterten Umverteilung "lächerlich" machen, wenn man auf diesem Gipfel Beschlüsse zu neuen Kontingenten fassen wollte.
Diese sollen für eine Umsiedlung von syrischen Kriegsflüchtlingen direkt aus der Türkei in EU-Staaten eingerichtet werden. Nachdem selbst Deutschlands engster Partner in der EU, nämlich Frankreich, solche Kontingente ablehnt, rudert nun auch die Bundesregierung zurück.
Erwartungen dämpfen
Deutsche Diplomaten versuchten in Brüssel in den vergangenen Tagen, die Botschaft zu platzieren, dass man über Kontingente und neue Beschlüsse gar nicht reden wolle. Allerdings hatte Angela Merkel selbst in der vergangenen Woche bei einer Wahlkampfveranstaltung in Rheinland-Pfalz noch davon gesprochen, dass eine Grenzsicherung zwischen der Türkei und Griechenland nur sinnvoll sei, wenn es gleichzeitig Kontingente für die Umsiedlung von Flüchtlingen gibt. Denn sonst würde die Türkei mit allen Flüchtlingen alleine fertig werden müssen.
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, sagte vor dem Gipfel in Brüssel, der Terroranschlag in der Türkei werde natürlich verurteilt und die Opfer bedauert. Dennoch hoffe er, "so bald wie möglich mit der türkischen Regierung über eine Kooperation sprechen zu können."
Entscheidungen wird dieser EU-Gipfel also nicht bringen, weil der türkische Gesprächspartner fehlt und auch keine neuen Vorschläge auf dem Tisch liegen. Dennoch gibt es Spannungen und Gesprächsbedarf, weil einige Staaten entlang der Balkanroute handeln. Kommissionspräsident Juncker sagte vor Reportern, die Staaten des westlichen Balkans, die bereits Mittwoch eine Vorkonferenz abhielten, seien bereit zu kooperieren. "Andere sorgen für Überraschungen", grummelte Juncker.
Gemeint war Österreich, das schärfere Grenzkontrollen gegenüber Slowenien und Italien angekündigt hat und nur noch 80 Asylanträge am Tag entgegennimmt. Auch die Weiterreise von Flüchtlingen und Migranten nach Deutschland solle gedrosselt werden, was zu Rückstaus in den Balkanstaaten bis nach Griechenland führen wird. Weitere Grenzkontrollen oder Grenzabriegelungen könnten die Folge sein. Jean-Claude Juncker kritisierte den "Trend" zu Grenzkontrollen. "Wir wollen eine europäische Lösung. Wir mögen keine Grenzkontrollen."
Brexit vermeiden - Einzelheiten offen
Zuversichtlich zeigten sich Kommissionspräsident Juncker und Parlamentspräsident Schulz, dass es möglich sein werde, mit Großbritannien einen Kompromiss während der beiden Gipfeltage zu finden. Der Brexit, also der Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU nach einem entsprechenden Ausgang einer Volksabstimmung, müsse verhindert werden, forderte Schulz. "Das ist eine entscheidende Frage für die EU." Juncker orakelte, es gebe noch viel Gesprächsbedarf. Es liege noch kein Papier auf dem Tisch, dem alle zustimmen könnten. "Ich bin aber ganz zuversichtlich, dass das gelingen wird", so Juncker.
Der britische Premierminister David Cameron verlangt einige Reformen in der EU. Besonders umstritten ist seine Forderung, britische Sozialleistungen für einen gewissen Zeitraum nicht mehr an Einwanderer aus der EU zu zahlen. Dagegen gibt es Widerstand aus osteuropäischen Staaten, aus denen viele Einwanderer stammen. Auch das Europäische Parlament müsse einer Reihe von Gesetzesänderungen zustimmen, mahnte dessen Präsident Martin Schulz. "Das können wir aber erst, sobald Texte vorliegen und nach einem positiven Referendum."
Die Abstimmung könnte in Großbritannien im Juni stattfinden. David Cameron verlangt bereits vorher Garantien, dass das Europäische Parlament dann auch wirklich in seinem Sinne entscheiden würde. Die könne es aber so nicht geben, schränkt Schulz ein. Das Parlament könne als demokratische Institution nicht durch einen Beschluss der Staats- und Regierungschefs gebunden werden.
Eine Einigung mit Großbritannien wird am Freitag erwartet. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag werden Dutzende von Juristen und Spezialisten versuchen, einen wasserdichten Rechtstext zu formulieren. Die Juristen tagen parallel zu den Staats- und Regierungschefs in einem speziellen Saal im Ratsgebäude der EU, um die Ideen der Chefs in internationale Vertragstexte zu gießen.