EU: Einigung auf historisches Corona-Paket
21. Juli 2020Im Kampf gegen die Corona-Wirtschaftskrise haben sich die EU-Staaten auf das größte Haushalts- und Finanzpaket ihrer Geschichte geeinigt. Der Kompromiss wurde nach mehr als viertägigen Verhandlungen am frühen Morgen bei einem Sondergipfel in Brüssel von den 27 Mitgliedsstaaten angenommen, wie EU-Ratschef Charles Michel auf Twitter mitteilte. Zusammen umfasst das Paket 1,8 Billionen Euro - davon 1074 Milliarden Euro für den nächsten siebenjährigen Haushaltsrahmen und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und Investitionsprogramm gegen die Folgen der Pandemiekrise.
Digitaler und klimafreundlicher
Mit dem Finanzpaket will sich die Europäische Union gemeinsam gegen den historischen Wirtschaftseinbruch stemmen und den EU-Binnenmarkt zusammenhalten. Gleichzeitig soll in den Umbau in eine digitalere und klimafreundlichere Wirtschaft investiert werden. Dafür werden erstmals im großen Stil im Namen der EU Schulden aufgenommen, das Geld umverteilt und gemeinsam über Jahrzehnte getilgt.
Am Montag waren zwei der umstrittensten Einzelpunkte gelöst und damit der Weg zum Gesamtdeal freigemacht worden. Zum einen fand man nach tagelangem Streit einen Kompromiss zum Kern des Corona-Programms: Die sogenannten sparsamen Staaten - Österreich, Dänemark, Schweden, die Niederlande und zuletzt auch Finnland - akzeptierten, dass gemeinsame Schulden aufgenommen werden und das Geld als Zuschuss an EU-Staaten geht. Im Gegenzug willigten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ein, die Summe dieser Zuschüsse aus dem Corona-Programm von 500 Milliarden Euro auf 390 Milliarden zu verringern. Dazu kommen 360 Milliarden Euro, die als Kredit vergeben werden.
Koppelung von Geldern an Rechtsstaatlichkeit
Der zweite Knackpunkt wurde dann am Montagabend geklärt: Man fand eine Formel zur Koppelung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit, die alle 27 Staaten annahmen. Zuvor hatten sich Polen und Ungarn strikt gegen einen solchen Rechtsstaatsmechanismus gewehrt, zumal gegen beide Staaten Verfahren wegen Verletzung von EU-Grundwerten laufen. Mehrere andere EU-Staaten beharrten jedoch darauf, dass EU-Gelder gebremst werden, wenn gemeinsame Werte missachtet werden.
Die Kompromissformel wurde von mehreren Staaten erarbeitet und in der Runde der 27 vom lettischen Regierungschef Krisjanis Karins vorgetragen. Die Interpretation der Klausel war unterschiedlich. Während EU-Vertreter sie als wirksame Koppelung bezeichneten, zitierte die polnische Nachrichtenagentur PAP polnische Regierungsquellen mit der Einschätzung, die Koppelung sei gestrichen worden. Ungarische Medien feierten die Einigung als Sieg für Ministerpräsident Viktor Orban.
Macron: Gewisse Spaltung der EU
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron räumte inzwischen ein, dass sich bei dem Gipfel eine gewisse Spaltung der EU gezeigt habe. "Diese lange Verhandlung war geprägt von Schwierigkeiten, manchmal von Gegensätzen, von unterschiedlichen Auffassungen von Europa", sagte Macron in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er sei aber erfreut darüber, dass er mit Merkel stets auf der "Seite der Ambition und Kooperation" gestanden habe. Macron spielte mit seinen Äußerungen offensichtlich auf den erbitterten Widerstand an, den Politiker wie Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte gegen die Pläne für das riesiges Corona-Hilfspaket geleistet hatten.
Merkel sprach von einem "guten Abschluss". Damit seien die Weichen für die finanziellen Grundlagen der Europäischen Union für die nächsten sieben Jahre gestellt und gleichzeitig eine Antwort auf die "größte Krise" seit ihrem Bestehen gegeben worden, erklärte die Kanzlerin. Auf ihr hatte bei dem Treffen eine besondere Verantwortung gelegen, weil Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehat und damit Vermittler zwischen den Positionen der Mitgliedstaaten sein muss.
sti/se (afp, dpa, rtr)