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EU: Gasversorgung geht auch ohne Russland

Ashutosh Pandey
31. August 2023

Vor einem Jahr stoppte Russland seine Gaslieferungen durch die Nord-Stream-Pipeline, um den Druck auf den Westen zu erhöhen. Das scheint aber vor allem Moskau zu schaden: Hat Putin da den Selbstzerstörungsknopf gedrückt?

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Messinstrumente zeigen den Leitungsdruck von Rohrleitungen eines Gaspeichers an
Bild: Axel Heimken/dpa/picture alliance

Für mehr als ein halbes Jahrhundert war Russland für Europa ein zuverlässiger Energielieferant, der seine vertraglichen Pflichten auch in den Hochzeiten des Kalten Krieges stets erfüllt hat. Moskaus Ruf spielte eine entscheidende Rolle, Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas zu befördern. Der Wirtschaftsmotor der Europäischen Union entwickelte auf dieser Grundlage sein Geschäftsmodell von Exporten, die mit billiger Energie produziert wurden.

Das funktionierte, bis im Februar 2022 russische Truppen in die Ukraine einmarschierten. Russlands Invasion der Ukraine wurde mit einer Reihe von beispiellosen westlichen Sanktionen gegen Moskau begleitet. Erdgas war, anders als Öl und Kohle aus Russland, von den Sanktionen ausgenommen. Sogar noch, während Deutschland, das vor dem Krieg mehr als die Hälfte seiner Gasimporte aus Russland bezog, genau wie andere Länder sich beeilte, seine Gasimporte zu diversifizieren.

Moskau antwortete auf die rückhaltlose Unterstützung der Ukraine durch die meisten westlichen Staaten, in dem es seine Gaslieferungen mehr und mehr als Waffe gegenüber der EU einsetzte, die zuvor mehr als ein Drittel ihrer Gas-Importe aus Russland bezogen hatte. Der staatliche Konzern Gazprom beschnitt willkürlich die Gasmengen in der Nord-Stream-1-Pipeline, der größten Leitung nach Europa. Schließlich eskalierte der Streit um eine angeblich fehlende Gasturbine für eine russische Verdichterstation, was der Kreml als Vorwand nutzte, am 31. August 2022 die Gaslieferungen via Nord Stream komplett einzustellen. Vier Wochen später wurden sowohl Nord Stream 1 als auch die parallel verlaufende und noch im Betrieb befindliche Pipeline Nord Stream 2 durch einen bis heute nicht aufgeklärten Sprengstoffanschlag schwer beschädigt.

Das Gasleck in der Nord Stream 1 Pipeline in der Ostsee
Das Gasleck in der Nord Stream Pipeline - nach der Stilllegung gab es später noch einen Anschlag. Die Schuldigen sind noch nicht ermittelt. Bild: The Swedish Coast Guard/abaca/picture alliance

Putins Reinfall

Die russischen Maßnahmen trieben im August letzten Jahres den Gaspreis in Europa auf das Rekordhoch von 343 Euro pro Megawattstunde und befeuerte die Inflation auf historische Höchststände. Der Gasmangel ließ viele Europäer erzittern, die Angst vor Blackouts und Energierationierungen im Winter stieg.

Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetreten. Europa entging einer großen Energiekrise dank einem milden Winter, reduzierter Nachfrage und höheren Importen von Flüssiggas (LNG)aus anderen Teilen der Welt.                                                                                                   

"Die russische Strategie war ein kompletter Reinfall, sie war selbstzerstörerisch", sagt Simone Tagliapietra, Energieexperte beim Brüsseler Think-Tank Bruegel. "Der Kreml dachte, dass das Druckmittel 'Gaslieferungen' die Union sofort dazu treiben würde, die Unterstützung für die Ukraine aufzugeben - und das war eben grundfalsch."

Stoppschild vor dem Gazprom-Logo
Der staatliche Öl- und Gaskonzern Gazprom musste seine Förderung bereits runterfahrenBild: Kirill Kudryavtsev/AFP/Getty Images

Deutsches Wirtschaftsmodell in Gefahr

Die Turbulenzen am Gasmarkt zwangen allerdings energieintensive Industrien wie die Chemiebranche, Düngemittelhersteller oder Papierfabriken, Werke zu schließen oder die Produktion herunterzufahren. In Deutschland sank die Produktion um die Jahreswende 2021/22 in diesen Bereichen um ein Fünftel verglichen mit der Vorkriegsperiode.

Die hohen Energiepreise haben Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit geschadet. Laut einer aktuellen Studie der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) erwägen fast ein Drittel der deutschen Hersteller wegen der hohen Energiepreise am heimatlichen Markt, ihre Produktion ins Ausland zu verlegen, oder sie tun es bereits. Obwohl die Gaspreise in den vergangenen Monaten wieder drastisch gefallen sind - am Montag (28.8.2023) wurde die Megawattstunde mit 35 Euro notiert - bleiben die Preise deutlich über dem Niveau der Vorkriegsjahre.

Europas Erdgastanks sind derzeit zu 90 Prozent gefüllt, weit vor dem angepeilten Termin 1. November. Der Kontinent hat die meisten seiner russischen Quellen für Erdgas durch Zulieferer aus den USA, aus Norwegen und Katar ersetzt. Die Nachfrage nach Erdgas ist mitten in einem Produktionsrückgang gedämpft und verhindert so einen weiteren Preisanstieg. Dennoch bleibt dieser Markt verwundbar: Frostige Temperaturen im Winter und ein dadurch höherer Bedarf für Heizung könnte die Vorräte schnell schwinden lassen.

Rauchende Kamine in Leipzig im Winter
Die Lager sind fast schon wieder voll, doch ein Unsicherheitsgefühl bleibt: Reicht das Gas auch im Winter?Bild: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa/picture alliance

Russland ist kein großer Player mehr

Moskaus Marktanteile in der EU sind indes dramatisch gefallen: auf etwa zehn Prozent. Die Exporte durch Pipelines in den Westen sind 2022 um etwa 60 Prozent auf 62 Milliarden Kubikmeter (bcm) gesunken, Gazprom sah sich gezwungen, seine Förderung um ein Fünftel zu reduzieren. Es ist zu erwarten, dass die Menge in diesem Jahr weiter sinkt, auf etwa zehn bcm, die durch die verbliebenen Pipeline-Routen durch die Ukraine und die Turkstream-Leitung während der ersten fünf Monate des Jahres ausgeführt werden konnten.

"Russland hat seine Position als global wichtiger Erdgasexporteur verloren - und zwar für immer", so Tagliapietra zur DW.

Gas ist ein sensibles Gut

Erdgas, im Gegensatz zu Erdöl, das Moskau recht erfolgreich, wenn auch zu deutlich reduzierten Preisen, an andere Abnehmer wie China und Indien liefern kann, ist nicht so einfach umzuleiten. Die russische Gasexportinfrastruktur ist darauf ausgerichtet, Gas nach Westen zu liefern. Es ist sehr herausfordernd, andere Abnehmer, wie etwa China im Osten genau so zu beliefern.                              

Der Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg zitiert Daten des Moskauer Finanzministeriums und berichtet, dass in den ersten fünf Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum die Einnahmen aus dem Gasverkauf um fast 45 Prozent gesunken sein, auf aktuell 710 Milliarden Rubel, das entspricht etwa 6,8 Milliarden Euro. Der Gazprom-Konzern, sonst so etwas wie die Gelddruckmaschine des Kreml, konnte zwar für das erste Halbjahr 2023 einen Nettogewinn von umgerechnet 2,8 Milliarden Euro ausweisen, das ist aber nur ein Achtel des Gewinns im Vorjahr. Für das zweite Quartal 2023 steht sogar ein Verlust in den Büchern.    

Russland versucht nun, neue Abnehmer zu finden, zum Beispiel in den früheren Sowjetrepubliken Kasachstan und Usbekistan, dehnt seine LNG-Exporte aus und vergrößert sein heimisches Gaspipelinenetz.

Moskau sieht in China eine Alternative zum großen europäischen Markt. Das würde jedoch den Bau neuer Pipelines nötig machen, um die Kapazität der existierenden Power of Sibiria-Leitung erhöhen zu können. "Sollte Putin die Pipeline-Kapazität nach China auf den gleichen Stand bringen wollen, würde ihn das Jahrzehnte kosten", sagte uns der russische Energieanalyst Michail Krutichin und fügte hinzu, dass China sehr zögerlich scheint, jetzt noch mehr russisches Gas zu kaufen.

Rohre für die Gaspipeline Nord Stream 2
Rohre für Nord Stream 2 - für Pipelines nach China würde Moskau eine ganze Menge davon brauchenBild: Jens Buettner/AP Photo/picture alliance

Europa und Moskaus Flüssiggas

Die immer noch andauernden Lieferungen russischen Gases - die allerdings nur ein kleiner Teil dessen sind, was die EU früher importiert hat - haben Rufe laut werden lassen, diese LNG-Importe auslaufen zu zu lassen. Im vergangenen Jahr waren sie nämlich auf 22 bcm (2021: 16 bcm) gestiegen. Belgien, Frankreich und Spanien haben sogar Rekordmengen aus Russland bezogen.

Die höheren LNG-Importe behindern nicht nur die EU-Pläne, bis 2027 von fossilen Energieträgern aus Russland unabhängig zu sein. Es fließen so auch Milliarden nach Moskau, die Putin helfen, seinen Krieg in der Ukraine zu finanzieren. EU-Kommissar Kadri Simson hat europäische Unternehmen bereits gewarnt, neue Verträge mit russischen Gasversorgern abzuschließen, das "würde ihre Reputation gefährden".

Jene, die weiterhin russisches Gas kaufen, weisen auf rechtliche Schwierigkeiten hin, sollten sie ohne verbindliche EU-weite Regelungen vertragsbrüchig werden. Länder wie Österreich und Ungarn, die keine Küsten haben, beklagen mangelnde Liefer-Alternativen, wenn sie kurzfristig ihre Versorgungsrouten ändern müssten.

Länder wie die Niederlande oder Spanien unternehmen bereits Schritte, in Zukunft kein russisches LNG mehr zu kaufen, doch ohne verbindliche Sanktionen könne es noch dauern, ganz darauf zu verzichten.

Das LNG-Schiff "Neptune" macht im Hafen von Lubmin im Landkreis Vorpommern-Greifswald fest
Das LNG-Schiff "Neptune" macht im Hafen von Lubmin im Landkreis Vorpommern-Greifswald festBild: Stefan Sauer/dpa/picture alliance

Das russische Eigentor

Für Moskau bedeutet dieser Gaskrieg, der die EU dazu geführt hat, nach anderen Lieferanten Ausschau zu halten und seine "grüne Energiezukunft" voranzutreiben dass es seinen Status als Europas wichtigster Gasversorger dauerhaft zerstört.

"Obwohl Russland in Zukunft Gas zu sehr niedrigen Preisen anbieten kann, wissen die Europäer nun, dass Moskau jeden Vertrag jederzeit aus politischen Gründen brechen kann", sagt Krutichin. "Es ist nicht möglich, sich auf Verträge mit russischen Vertretern zu verlassen. Russland kann man nicht vertrauen."

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.

Der Artikel wurde am 5.9.2023 aktualisiert wegen einer falschen Maßeinheit (Kilowattstunde statt Megawattstunde). Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.