Ein gefährliches Geschäft
12. November 2010Der Unfall im Atomzentrum Majak im Südural am 29. September 1957 zeigt, wie Russland mit Radioaktivität umgeht: Die Explosion eines unterirdischen Betontanks mit 80 Tonnen hoch radioaktiven Abfällen wurde drei Jahrzehnte lang verheimlicht. Selbst die Anwohner erfuhren von der tödlichen Gefahr nichts, wurden ihrem Schicksal überlassen und werden bis heute nicht entschädigt. Nach offiziellen Angaben starben 200 Menschen, Schätzungen zufolge kamen jedoch etwa 150.000 Menschen um.
Am stärksten radioaktiv verseuchte Region der Welt
Die Atomexplosion in Majak setzte mehr Strahlung frei als die Tschernobyl-Katastrophe 1986. 15.000 Quadratkilometer Wald und Ackerfläche wurden verstrahlt. Doch damit endete die Verseuchung nicht. Radioaktive Abfälle aus Atomreaktoren und der Wiederaufbereitung wurden dort jahrelang in den Karatschai-See geleitet. Inzwischen hat dieser etwa halb so viel Radioaktivität in sich versammelt wie bei der Katastrophe von Tschernobyl freigesetzt wurden.
Billige Entsorgung von Atommüll aus Europa
Über 10.000 Menschen arbeiten heute in dem nuklearen Gewerbegebiet von Majak mit Aufbereitungsanlage, zwei Atomreaktoren und Atommülllagern. Ausländern ist der Zutritt verboten, europäischer Atommüll ist jedoch für die russischen Firmen ein lukratives Geschäft. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung (09.11.2010) ist auch der Transport von 951 bestrahlten Brennelementen aus Deutschland nach Majak geplant. Sie stammen aus einem DDR-Kernforschungsreaktor, der einst von der Sowjetunion bestückt wurde.
Rainer Baake von der Deutschen Umwelthilfe reagiert entsetzt: "Wir alle wissen, welchen Stellenwert Bürgerbeteiligung und Umweltschutz in Russland haben. Ich halte es für völlig unverantwortlich, diese gefährlichen Abfälle in dieses Land zu transportieren, nur um Kosten bei der Entsorgung zu sparen." Auch Wladimir Sliwjak von der russischen Umweltschutzorganisation Ekosaschtschita hält dieses deutsche Vorhaben für unverantwortlich. "Nach meiner Meinung hat Majak einen niedrigen Sicherheitsstandard. Schon jetzt befindet sich dort jede Menge Atommüll."
Europäische Entsorgungspraxis mit legalen Tricks
Dass Europa schon seit langem einen Teil seines Atommülls in Russland entsorgt, machte im Oktober 2009 der Dokumentarfilm von ARTE "Albtraum Atommüll" bekannt und sorgte vor allem in Frankreich für Aufregung. Demnach entsorgt der französische Stromkonzern EDF seit den 1990er-Jahren einen Teil seines Atommülls in Swersk in Sibirien. Knapp 13 Prozent des französischen Atomabfalls liegen nach Recherchen von ARTE unter freiem Himmel in Containern auf einem Parkplatz. Nur ein Bruchteil kehre nach Frankreich zurück. Der Energiekonzern nannte die Darstellung aus dieser bis 1989 geheim gehaltenen Rüstungsstadt, in die der Zutritt normalerweise nicht möglich ist, "unzutreffend" und teilte mit, dass das Material kaum radioaktiv sei.
Aber auch aus anderen EU-Ländern wurde abgereichertes Uran nach Sibirien geliefert. Bekannt sind über 27.000 Tonnen, die die Atomfirma URENCO aus dem westfälischen Gronau bis 2009 lieferte. Die Firma gehört zu je einem Drittel der niederländischen und britischen Regierung und zwei deutschen Atomkonzernen. Zwar sollen zwischen zehn bis 15 Prozent nach russischer Anreicherung wieder zurückkehren, doch der große Rest bleibt als Atommüll in Sibirien. Deutsche und russische Umweltschützer halten diese preiswerte, unsichere Entsorgungspraxis auf Kosten von Umwelt und Bevölkerung für verantwortungslos.
Nach Angaben von Vladimir Tchouprov, Leiter der Energieabteilung von Greenpeace in Russland, ist diese Entsorgung auch für die russischen Firmen ein lohnendes Geschäft: "RosAtom lässt sich von URENCO und anderen den Anreicherungsservice kräftig entlohnen. Doch dieses profitorientierte Handeln ist extrem kurzsichtig. Schließlich muss Russland mit den Problemen der Entsorgung von 100.000 Tonnen abgereichtem Uranhexafluorid (UF6) aus der EU fertig werden."
Autor: Gero Rueter
Redaktion: Julia Kuckelkorn