Protestmarsch gegen Brexit in London
23. Juni 2018Zehntausende Befürworter der britischen EU-Mitgliedschaft sind am zweiten Jahrestag des Brexit-Referendums in London auf die Straßen gegangen, um für eine Volksabstimmung über das Austrittsabkommen zu demonstrieren. Die Demonstranten zogen am Nachmittag durch die britische Hauptstadt bis zum Parlament. Sie fordern ein Referendum, "damit wir entscheiden können, ob nach einer Entscheidung, die unser Leben für Generationen prägen wird, das Land am Ende besser oder schlechter dastehen wird".
Den ganzen Sommer über wollen die Aktivisten dafür demonstrieren, den Wählern ein Mitspracherecht über die genauen Umstände des Brexit einzuräumen. Organisator ist die Anti-Brexit-Kampagne "People's Vote". An der Veranstaltung nahmen auch viele Mitglieder der oppositionellen Labour-Partei, der Liberaldemokraten und einige Konservative teil.
Brexit-Hardliner im Kabinett verteidigten anlässlich des Jahrestags den geplanten EU-Ausstieg in scharfen Tönen. Außenminister Boris Johnson, eine der Galionsfiguren des Austrittslagers, verteidigte in einem Gastbeitrag des Massenblatts "Sun" die Entscheidung als Befreiung aus dem Korsett der EU-Bestimmungen und mahnte eine harte Verhandlungslinie der Regierung an. Dabei übte er scharfe Kritik an Premierministerin Theresa May und forderte sie dazu auf, keinen "halbherzigen Brexit" abzuliefern.
Johnson und der "Klopapier-Brexit"
Johnson warnte vor einem "Klopapier-Brexit", der "weich, nachgiebig und scheinbar unendlich lang" sei. May müsse den Austritt aus der EU vielmehr komplett vollziehen und ihr Land nicht durch Kompromisse in ein "Niemandsland" führen, wo es "halb drinnen und halb draußen" sei, forderte der Minister. Die Zeitung "Telegraph" berichtete unter Berufung auf diplomatische Kreise, dass Johnson die Sorgen von Unternehmern über die Folgen des Brexits als nicht ernstzunehmend bezeichnet habe.
Auch Handelsminister Liam Fox, ein Brexit-Hardliner, rief May zu einer harten Haltung auf. Sollte bei den Verhandlungen mit der EU keine Einigung über das künftige Verhältnis erzielt werden, müsse Großbritannien einen klaren Schnitt vollziehen und ohne Abkommen aus der EU austreten, sagte Fox. "Kein Deal ist immer noch besser als ein schlechter Deal", sagte der Minister. Premierministerin May regiert seit der vorgezogenen Parlamentswahl 2017 nur noch mit einer hauchdünnen Mehrheit. Sie steht von mehreren Seiten unter Druck.
Knappe Mehrheit
Die Briten hatten am 23. Juni 2016 mit knapper Mehrheit - 52 zu 48 Prozent - für die Scheidung von der EU gestimmt. Zwei Jahre später haben sich Umfragen zufolge die Mehrheitsverhältnisse kaum verändert, obwohl noch immer unklar ist, wie es nach dem für den 29. März 2019 datierten Austritt weitergeht.
Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel verlaufen sehr schleppend. Die Regierung ist zwar weiter auf dem Kurs eines harten Brexits mit Ausstieg aus Zollunion und Binnenmarkt, aber sie ist auch zerstritten. Die Zeit für einen erfolgreichen Abschluss, der von den verbleibenden 27 Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss, wird knapp. Hauptstreitpunkt ist, wie künftig an der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der EU verfahren werden soll. Ebenfalls noch unklar sind Regelungen für den grenzüberschreitenden Handel, wenn Großbritannien den EU-Binnenmarkt verlässt.
Airbus und BMW warnen
Derweil werden große europäische Unternehmen zunehmend nervös und monieren einen Mangel an Planungssicherheit für ihre Produktionsstätten in Großbritannien. Erst am Freitag hatte der Airbus gewarnt, die Präsenz des europäischen Luftfahrtkonzerns in Großbritannien stehe auf dem Spiel. Falls das Land im kommenden März ohne Abkommen aus der EU aussteige und damit Binnenmarkt und Zollunion sofort verlasse, würde dies zu einer "schweren Störung und Unterbrechung" der Produktion führen, erklärte der Leiter der Airbus-Verkehrsflugzeug-Produktion, Tom Williams.
Fast zeitgleich warnte BMW vor den Folgen eines harten Brexits. Bis Ende Sommer werde Klarheit benötigt, sagte der BMW-Repräsentant in Großbritannien, Ian Robertson. Das Münchner Unternehmen stellt auch die Marken Mini und Rolls Royce her und hat rund 8000 Beschäftigte im Vereinigten Königreich. "Wenn wir in den nächsten Monaten keine Klarheit bekommen, müssen wir damit beginnen, Alternativpläne zu entwickeln." Sonst würde der Konzern Geld in Konstruktionen investieren, "die wir vielleicht nicht benötigen, in Lagerhallen, die vielleicht künftig nicht brauchbar sind", sagte Robertson.
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang, erklärte ebenfalls am Freitag: "Die britische Regierung spielt weiterhin auf Zeit. Diese Strategie führt ins Desaster." Schon jetzt machten sich nachteilige Effekte bemerkbar. So sei Großbritannien momentan mit 1,4 Prozent das Land mit dem schwächsten für dieses Jahr erwarteten Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in der EU.
Pro-Europa-Demo auch in Berlin
Zum zweiten Jahrestag des Brexit-Referendums gingen auch in Berlin und anderen europäischen Städten Menschen für den Zusammenhalt in Europa auf die Straßen. "Wir fordern ein Europa der Demokratie, Nachhaltigkeit und Solidarität", sagte Sören Brandes, Organisator des Berliner "March for a new Europe". Die Kundgebung richte sich gegen europafeindlichen Nationalismus. Die europäische Einheit sei in Gefahr. Zu den Protestaktionen hatte ein Bündnis aus rund 45 Organisationen, Gewerkschaften und Initiativen aufrufen. Die Initiatoren wollen Europa nicht antieuropäischen Parteien und Organisationen überlassen.
kle/ie (rtr, dpa, afp)