EU-Außenminister: Spannende US-Wahl und kein Ungarn-Boykott
22. Juli 2024Einige Außenministerinnen und Außenminister der Europäischen Union hatten den Rückzug von US-Präsident Joe Biden aus dem Wahlkampf erwartet, andere hatten darauf gehofft. So könnten die Chancen, eine zweite Amtszeit des republikanischen Hardliners Donald Trump in den USA noch abzuwenden, vielleicht wieder steigen, mutmaßen EU-Diplomaten in Brüssel.
Dort trafen sich die 27 Ressortchefinnen und -chefs zu ihrer regelmäßigen Sitzung. Nur die belgische Außenministerin Hadja Lahbib äußerte sich klar darüber, wen sie jetzt im Rennen sieht. "Der Rückzug von Biden bedeutet nicht den Sieg für Trump. Ich wünsche, vielleicht, Kamala Harris alles Gute, die jetzt die Führung bei den Demokraten übernehmen wird. Sie ist eine Frau, eine starke Frau", meinte die belgische Ministerin, die im Juni ihre Wahl verloren hat und bald aus dem Amt scheiden wird.
Europa wartet ab
Die übrigen EU-Minister hielten es eher mit der deutschen Bundesregierung, die sich vage äußerte. Erst müsse die bisherige Vizepräsidentin Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten nominiert werden. Und dann hätten die amerikanischen Wählerinnen und Wähler das Wort, so eine Regierungssprecherin in Berlin.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, es sei nicht die Aufgabe der Europäischen Union, den Amerikanern jetzt zu sagen, was sie zu tun hätten. Nur soviel: Natürlich habe es "große Auswirkungen für uns", wer im Weißen Haus lande. Borrell und die meisten anderen Außenminister sähen lieber die US-Demokraten im Weißen Haus als den disruptiven, russlandfreundlichen Donald Trump.
Ansonsten dankten führende Politiker aus ganz Europa dem 81 Jahre alten Joe Biden für sein Engagement, seine Führung und seine "würdige Entscheidung", sich zurückzuziehen. So etwa der spanische Premier Pedro Sanchez in einer Nachricht auf X. "Eine große Geste von einem großen Präsidenten, der immer für Demokratie und Freiheit gekämpft hat", schrieb Sanchez.
"Dank seiner ist die transatlantische Kooperation eng, die NATO stark und die USA sind ein guter und verlässlicher Partner für uns", lobte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz seinen "Freund" Joe Biden. Die vielen ähnlich sympathischen Wortmeldungen erinnern schon fast an einen Nachruf.
Ungarn legt sich weiter quer
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte Joe Biden in Kiew für seine "unerschütterliche Unterstützung der Ukraine". Diese und der überparteiliche Beistand im Kongress seien weiter entscheidend, so Selenskyj. Nur ein EU-Regierungschef sieht die Ukraine und Bidens Unterstützung für die Abwehr der russischen Aggression völlig anders: Der ungarische Premier Viktor Orban, derzeit auch Vorsitzender der Ratspräsidentschaft der Europäischen Union - ein Ehrenamt, das alle sechs Monate weitergereicht wird.
Orban hält die amerikanische Politik gegenüber Russland und der Ukraine für eine Förderung und Verlängerung des Krieges. "Ich verstehe nicht, warum ich der einzige Regierungschef der EU bin, der sich für Frieden einsetzt", hatte er noch letzte Woche beim Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in Blenheim Palace, Großbritannien gesagt.
Orban und sein Außenminister Péter Szijjártó machen, ob wohl sie im Rahmen der Ratspräsidentschaft ja eigentlich moderieren sollen, den übrigen europäischen Staaten schwere Vorwürfe. Die Friedensmission, die sich Ungarn selbst ausgedacht hat, soll nach Angaben der ungarischen Ratspräsidentschaft weitergehen. Orban war dazu nach Kiew, Moskau, Peking und Florida gereist. In Mar-a-Lago in Florida demonstrierte der Vorsitzende der EU-Ratspräsidentschaft große Einigkeit mit sowie Unterstützung für den Wahlkämpfer Donald Trump. Auch das ist den allermeisten EU-Staaten ein Dorn im Auge. Nur der Innenminister der Slowakei sagte in Budapest, sein Land unterstütze die Friedensmission der ungarischen Nachbarn.
"Warum ist Orban eigentlich nicht auch noch nach Nordkorea gefahren?", fragte der luxemburgische Außenminister Xavier Bettel scherzhaft. In Nordkorea herrscht der Russland-freundliche Diktator Kim Jong Un. Ihn hatte Donald Trump mehrfach getroffen.
Baerbock: Egotrips irritieren
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock kritisierte die ungarische EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel beim Ministertreffen noch einmal scharf: "Es ist nicht verwunderlich, dass die Egotrips der letzten Tage große Irritation und Verwunderung auch in anderen Teilen der Welt ausgelöst haben." Ungarn spreche nur für sich, nicht für die EU. Für die sei außenpolitisch einzig und allein der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprechfähig.
Dieser wurde in Brüssel richtig wütend, als er die Äußerungen des ungarischen Außenministers Peter Szijjarto vor dem Weltsicherheitsrat in der vergangenen Woche in New York kritisierte. Der Ungar, so Borrell, habe den Eindruck vermittelt, die Europäische Union wolle den Krieg in der Ukraine. "Das ist völlig inakzeptabel!", so Borrell.
Szijjarto hatte in New York gesagt, es sei "nicht nur inakzeptabel, sondern skandalös, dass ein Land (Ungarn), das sich für eine diplomatische Lösung einsetze, ausgegrenzt und stigmatisiert wird."
Ungarn streitet mit der Ukraine
Ungarns Ressortchef brach beim Außerministertreffen dann gleich noch die nächste Fehde vom Zaun. Szijjarto warf der von Russland angegriffenen Ukraine vor, sie verhindere Lieferungen der russischen Ölfirma "Lukoil" nach Ungarn. Die Ukraine bestreitet das.
Ungarn verlangt jetzt von der EU-Kommission, ein förmliches Verfahren gegen die Ukraine zu eröffnen. Die Behörde habe drei Tage Zeit zu reagieren, teilte Szijjarto in Brüssel mit. Als Druckmittel brachte er die Lieferungen von elektrischem Strom aus der EU in die Ukraine ins Spiel. Die Ukraine ist dringend auf diese Stromimporte angewiesen, die über ungarische Hochspannungsleitungen laufen. Schließlich habe Russland mittlerweile 70 Prozent der Kraftwerke in der Ukraine zerstört, wie der EU-Außenbeauftragte Borrell sagte. Allein die Slowakei schloss sich dem ungarischen Begehren an.
Geräuschlos ging dagegen die Verlängerung der EU-Sanktionen gegen den Aggressor Russland um ein weiteres halbes Jahr vonstatten. Weder Ungarn noch ein anderes Land legten bei der Abstimmung im Ministerrat ein Veto ein. Ungarn blockiert jedoch weiter die Auszahlung von 6,2 Milliarden Euro zur Bewaffnung der Ukraine aus einem speziellem EU-Fonds.
Kein Boykott der ungarischen Präsidentschaft
Trotz allem Ärger über die Ungarn und ihr außergewöhnliches Verständnis einer EU-Ratspräsidentschaft gelang es den übrigen 26 Staaten nicht, in dieser Sache gemeinsame Schritte zu vereinbaren. So wird es einen offiziellen Boykott der informellen Ministertagungen in Ungarn nicht geben. Es ist den Mitgliedsstaaten selbst überlassen, wie sie reagieren. Zum Rat der Innenminister ist zum Beispiel die deutsche Ressortchefin nicht angereist, wohl aber der österreichische Kollege. Auch Luxemburg will weiter Minister zu den Treffen in Ungarn schicken.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell entschied lediglich, dass der Ende August anstehende informelle Rat der Außen- und Verteidigungsminister nicht in Budapest, sondern in Brüssel stattfinden wird. "Das ist nur ein Symbol", räumte Josep Borrell ein, "aber etwas mussten wir machen."
Der luxemburgische Außenminister Xavier Bettel nannte die Diskussion um die Tagungsorte "Schwachsinn". Irgendwann werde man sich sowieso treffen müssen. Ein offenes, hartes Wort hinter verschlossenen Türen an die Adresse der Ungarn sei wirkungsvoller.
Die EU-Kommission hatte anders als die Mitgliedsstaaten schon vorige Woche beschlossen, keine EU-Kommissare nach Ungarn zu schicken. Es wird eine Art Bummelstreik mit Vertretung nur auf Beamtenebene geben.