Ethnische Konflikte eskalieren im Südsudan
24. Dezember 2013In der kleinen Kirche mit dem flachen Wellblechdach trifft sich jede Woche die Gemeinde der Murle in Südsudans Hauptstadt Juba. Die Murle sind mit rund 130.000 Angehörigen eine kleine Volksgruppe im Südsudan. Die Heimat der traditionellen Bauern und Viehzüchter liegt im Bundesstaat Jonglei. Doch viele von ihnen mussten in den vergangenen Jahren vor ethnischen Säuberungen von ihrem angestammten Land fliehen.
Auch Jakob Katinja kommt jeden Sonntag zum Gottesdienst in Kirche. Der 70-Jährige berichtet, er sei vor einem Massaker in der Region Pibor in Jonglei Anfang vergangenen Jahres geflohen. Berichten zufolge kamen damals rund 3000 Menschen ums Leben. Als Täter wurden Angehörige von zwei der größten Volksgruppen im Südsudan beschuldigt, der Dinka und der Nuer.
Nach dem Gottesdienst erzählen Katinja, der zum Ältestenrat der Murle gehört, und andere Gemeindemitglieder von ihrem Leidensweg: Die Älteren unter ihnen können sich noch genau erinnern, wann die Auseinandersetzungen zwischen ihrem Volk und dessen Nachbarn begannen. "Der Konflikt zwischen den Nuer und den Murle begann im Jahr 1962", sagt Katinja. "Damals griffen die Nuer zum ersten Mal an, um Rinder zu stehlen. Seitdem kämpfen unsere jungen Männer und stehlen sich gegenseitig Rinder."
Politik und Tribalismus
Was als Kampf um das Vieh zum Teil als Mutprobe unter jungen Männern begann, wurde im Laufe der Jahre zu blutigem Ernst. Nicht nur die Murle und die benachbarten Nuer, auch andere der rund 60 Volksgruppen im Land liefern sich immer wieder heftige Kämpfe um Vieh, Land und um unter der Erde vermutete Bodenschätze.
Auch die beiden Hauptrivalen im Kampf um die Macht in Südsudan derzeit gehören verschiedenen Volksgruppen an, die bereits während des Bürgerkriegs in den 90er Jahren einen blutigen Konflikt austrugen: Präsident Salva Kiir gehört zu den Dinka, dem einflussreichsten und zahlenmäßig größten Volks des Südsudan. Sein Erzrivale und ehemaliger Stellvertreter ist ein Nuer, ein Angehöriger einer etwas kleineren Volksgruppe, die ebenfalls stark vertreten ist in den südsudanesischen Sicherheitskräften.
Der Afrikareferent der Gesellschaft für bedrohte Völker, Ulrich Delius, befürchtet, dass die derzeitige Staatskrise sehr schnell in ethnische Gewalt im ganzen Südsudan umschlagen könnte. "Schon jetzt in den letzten Tagen hat es Übergriffe gegeben auf Nuer. Es gibt andere Berichte aus Jonglei, dass es auch wieder Übergriffe gegen die Murle gegeben hat", sagt Delius.
Jakob Katinja hat eine solche Gewalteskalation selbst schon erlebt. Nach Ende des Bürgerkriegs, der schließlich zur Unabhängigkeit des Südsudan 2011 führte, nahmen die Übergriffe auf die Murle zu. "Im Jahr 2007 töteten die Nuer zum ersten Mal auch Frauen und alte Männer. Sie entführten oder töteten unsere Kinder", sagt Katinja. Er ist überzeugt, dass die von Dinka und Nuer dominierte Regierung hinter den Attacken steckt. "Die Regierung will die Murle aus der Region vertreiben."
Vom Rinderdiebstahl zu ethnischen Säuberungen
Nach Recherchen von Human Rights Watch sind allein in den vergangenen zwölf Monaten rund 85.000 Menschen aus der Provinz Jonglei geflohen. Statt den Schutz der Zivilbevölkerung sicherzustellen, hätten sich Soldaten der Volksgruppen der Dinka und Nuer an den Pogromen gegen die Murle beteiligt, heißt es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation.
Auch Njei Karok Kolituk musste aus Pibor nach Juba fliehen. Der Tribalismus, erklärt der junge Murle, sei "das größte Problem im Südsudan". Auch er ist überzeugt, dass sein Volk Opfer einer systematischen ethnischen Säuberungskampagne sei. "Sie wollen uns vertreiben, um den Reichtum des Landes unter sich aufzuteilen", meint Kolituk. Früher, als die verschiedenen Volksgruppen in Jonglei sich gegenseitig Rinder stahlen, seien doch keine Kinder geraubt, oder Frauen und alte Männer getötet worden. "Jetzt werden dagegen auch Stadtbewohner getötet, die gar kein Vieh haben. Das bedeutet, es gibt eine andere Agenda", glaubt Njei Karok Kolituk.