Aufstand in Eswatini flammt wieder auf
19. Oktober 2021Schwarze Rauchwolken steigen in Eswatinis Hauptstadt Mbabane in die Höhe, Straßenbarrikaden brennen. Auf einem Müllcontainer hält ein junger Mann ein Metallstück wie ein Gewehr und zielt auf einen Militärhubschrauber, der über den Protestierenden kreist.
"Sie wollen unser Blut", ruft ein Demonstrant. "Aber wir sind bereit im Kampf zu sterben. Sollen sie uns doch töten!"
Am vergangenen Mittwoch erschossen Sicherheitskräfte bei Protesten einen Fahrscheinkontrolleur. Seitdem protestieren Minibus-Fahrer in der Hauptstadt, legen so den öffentlichen Nahverkehr lahm. Ihr Zorn richtet sich gegen die Gewalt von Armee und Polizei - und gegen den König.
"Der König ist gierig"
King Mswati III. regiert das Land seit 1986, damals war er 18 Jahre alt. Schlagzeilen macht er vor allem wegen seines extravaganten Lebensstils und seinen mehr als zehn Ehefrauen, mit denen er über 30 Kinder hat. "Der König ist gierig", sagt ein junger Minibus-Fahrer bei den Protesten. "2019 hat er 20 Rolls Royce gekauft. Während die Leute hier arm sind und mit leerem Magen schlafen."
Eswatini ist eines der ärmsten Länder der Region, die Pandemie hat die Lage nochmals verschärft. Seit Monaten gehen immer wieder verschiedene Gruppen auf die Straßen: Lehrer demonstrieren für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen. Schüler fordern bessere Verpflegung. Minibus-Fahrer weniger staatliche Repression.
Wer in diesen Tagen durch Eswatini fährt, begegnet immer wieder Gruppen von verschiedenen Demonstranten. Auch Kriminelle mischen sich unter die Demonstrierenden, plündern und randalieren.
"Die Beziehung zwischen Zivilgesellschaft und Opposition ist so verflochten, dass man schnell den Überblick verliert", sagt Ringisai Chikohomero vom südafrikanischen Institut für Sicherheitsstudien ISS. "Niemand stellt sich hin und sagt: Ich bin der Anführer."
Forderung nach demokratischen Reformen
Die Gruppen haben unterschiedliche Interessen, aber eine gemeinsame Forderung: demokratische Reformen. Der Verfassung des Landes bezeichnet sich selbst als demokratisch - sichert jedoch die absolute Vormachtstellung des Königs. Er kann das Parlament auflösen und ernennt den Premierminister, der wiederum das Kabinett bestimmt. Die Bevölkerung kann die Abgeordneten wählen, aber es gibt keine politischen Parteien.Der Generalsekretär der größten Lehrergewerkschaft sieht das System als undemokratisch an. Die Sicherheitskräfte versuchen, freie Meinungsäußerung zu unterdrücken, sagt Sikekelela Dlamini. Im Juli wurden mindestens 28 Demonstrierende erschossen. Seit 2008 werde zudem durch ein neues Gesetz immer wieder Regierungskritiker als Terroristen angeklagt, zwei Parlamentarier sitzen deshalb momentan im Gefängnis. Bei den Protesten wird auch immer wieder ihre Freilassung gefordert. "Der König muss sich endlich mehr um die Belange kümmern, für die die Menschen demonstrieren", sagt Dlamini. "Sonst schlittert das Land weiter in den Mülleimer. Wenn das so weitergeht, ist Eswatini in ein paar Wochen Geschichte."
"Wir können unsere Verfassung nicht durch die Meinung des Pöbels ersetzen"
Der Sprecher des Königs sieht das anders. Percy Simelane war lange Regierungssprecher und ist eigentlich schon in Rente. Doch Loyalität ist in diesen Tagen wichtig - also hat ihn der König als seinen Sprecher einberufen. Simelane spricht gern über die Fortschritte: eine drastische Reduzierung der HIV-Infektionen, ein einmaliges Stipendien-System für Studierende. Und überhaupt könne er die Demonstrierenden nicht verstehen. Die Verfassung werde alle fünf Jahre überprüft, jeder könne sich einbringen. "Wir können unsere Verfassung nicht einfach durch die Meinung des Pöbels ersetzen."
Der König könnte Reformen und eine Modernisierung anstreben - wie es bei den Königshäusern der Zulu und Khosa im benachbarten Südafrika längst passiert ist. Aber er will es nicht, sagt Ringisai Chikohomero vom ISS. "Das ist das Problem, wenn sich Geld, Korruption und Macht in einer einzigen Familie ansammeln." Beobachter sehen deshalb drei mögliche Optionen: Noch mehr Druck auf der Straße, der einen Dialog erzwingt; eine Meuterei im Militär oder aber eine Protest-Müdigkeit der breiten Bevölkerung setzt ein, weil die Demonstrationen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen behindern.
Zurück in der Hauptstadt Mbabane. Mittlerweile patrouillieren überall Soldaten. Der König hat einen selten öffentlichen Auftritt - weiht eine neue Station in einem Krankenhaus ein. Die DW bekommt für die Veranstaltung keine Akkreditierung. Nur wenige Kilometer entfernt blockieren Demonstranten weiterhin eine Straßenkreuzung. "Wir haben keine Angst mehr zu sterben", sagt ein junger Minibus-Fahrer. "Wir sind bereit alles zu tun, um für unsere Freiheit zu kämpfen. Wir wollen Demokratie - und wir wollen sie jetzt."