ESC: Von wegen unpolitisch
Es ist wieder soweit: Europa ist im Eurovisions-Fieber. Aber längst geht es nicht nur um Paillettenkleider und Punkte für die Performance. Zehn Beispiele, wie die Politik den Eurovision Song Contest (ESC) überschattet.
Fans aus Russland und von der Krim ausgeschlossen
Russlands Ausschluss vom ESC 2022 war eine Folge der Invasion in die Ukraine. Doch schon zuvor hat die Politik die diesjährige Auswahl der Ukraine beeinträchtigt. Alina Pash, die zuerst Gewählte, war 2015 aus Russland auf die Krim gereist. Damit hatte sie gegen 2019 festgelegte Regeln der Ukraine verstoßen. Sie zog sich zurück und ließ das zweitplatzierte Kalush Orchestra das Land vertreten.
Bloß nicht mit den Nachbarn verscherzen
2017 hat erstmalig ein Gastgeberland ein anderes von der Teilnahme am ESC ausgeschlossen: Die Ukraine verweigerte der russischen Kandidatin Julia Samoilowa die Einreise. Die Begründung: Die 27-Jährige soll auf der russisch besetzten Krim aufgetreten sein. Als Reaktion darauf übertrug das russische Staatsfernsehen den Contest nicht.
Politische Poesie?
Drama zwischen Russland und der Ukraine auch beim Song Contest 2016: Die ukrainische Sängerin Jamala schlug den Russen Sergej Lasarew. Ihr Song "1944" über Stalins Deportation von Krimtataren während des Zweiten Weltkriegs galt als umstritten. Eigentlich darf ein ESC-Song nicht explizit politisch sein. Jamala gewann dann jedoch glorreich mit 534 Punkten. Russland wurde Dritter, Australien Zweiter.
Ansingen gegen Radikale
Das Motto des Eurovision Song Contest 2017 lautet "Celebrate Diversity". Vielfalt wurde vor drei Jahren schon mit dem Sieg der österreichischen Drag-Queen Conchita Wurst (alias Tom Neuwirth) in Kopenhagen demonstriert. Allerdings nicht ohne Gegenwind. Radikale Gruppen aus Russland, Aserbaidschan und Weißrussland wollten Wursts Teilnahme verhindern. Aber ohne Erfolg.
Österreich bekennt Farbe
1969 bezieht Österreich politisch Stellung gegen Spanien: Das Land verweigerte die Teilnahme am Wettbewerb in Madrid, um ein Zeichen gegen das Franco-Regime zu setzen. General Francisco Franco regierte Spanien als Militärdiktatur - 39 Jahre lang von 1936 bis zu seinem Tod 1975. Schätzungsweise 200.000 bis 400.000 Menschen kamen in Folge von Menschenrechtsverletzungen ums Leben.
Singen für die Freiheit
Premiere 2001: Estland gewinnt als erstes Land der ehemaligen Sowjetunion den ESC. "Wir haben uns durch die Musik selbst vom Sowjetreich befreit", sagte der estnische Premierminister Mart Laar nach dem Sieg in Kopenhagen. "Jetzt werden wir uns nach Europa singen", verkündete er weiter. Eine Anspielung auf die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Estland wurde 1991 unabhängig.
Russendisko
Georgien wurde 2009 vom Contest in Moskau ausgeschlossen. Der Grund: Die Europäische Rundfunkunion (EBU) befand den Text des funkigen Songs als zu politisch. Das georgische Frauentrio 3G mit dem Sänger Stephane hatte offensichtlich mit ihrem Titel "We Don't Wanna Put In" ein Wortspiel mit dem Namen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gemacht, das Moskau nicht gefiel.
Nachbarschaftshilfe in Sachen Punkte
Lange ein Streitpunkt: Nachbarländer, die sich gegenseitig Punkte zuschustern. Der ehemalige britische Showmaster Terry Wogan quittierte seinen Job 2008, weil der ESC "kein Musikwettbewerb mehr" sei. Der Vorwurf richtete sich hauptsächlich gegen Zypern und Griechenland, die skandinavischen Länder, die Balkanstaaten und den ehemaligen Ostblock. Letztes Jahr wurden die Regeln dann geändert.
Sprachlose Belgier
Sprache war schon immer eine der fundamentalen Schwachstellen in Belgiens anhaltender Eurovisions-Existenzkrise. Jahrelang hatte Belgien abwechselnd mal einen flämischen, mal einen französischen Beitrag antreten lassen. 2003 dann der diplomatische Coup mit dem Song "Sanomi": Der wurde von der Band Urban Trad gesungen - in einer fiktiven Sprache.
Erdogan-Vision statt Eurovision
Seit 2013 hat die Türkei nicht mehr mitgesungen. Offiziell wurde der Schritt mit "Unzufriedenheit mit den Regeln" begründet. Nach dem Sieg von Conchita Wurst 2014 bekräftigte ein Abgeordneter von Präsident Recep Tayyip Erdogans Partei AKP, das Land werde nicht zum Eurovision Song Contest zurückkehren. Stattdessen veranstaltet die Türkei seit 2013 den "Turkvision Song Contest".