"Es wird nicht immer ruhig bleiben"
23. Mai 2017Die Regierung der Philippinen, die derzeit der ASEAN vorsitzt, hat am vergangenen Freitag mitgeteilt, dass sich die Verhandlungsführer auf einen Text geeinigt haben. Im August sollen die Außenminister der beteiligten Länder über den Entwurf entscheiden. Details wurden nicht bekannt. Es ist seit 15 Jahren der erste Fortschritt, um den Territorialstreit irgendwann in geregelte Bahnen zu lenken. 2002 hatten sich die Anrainer des Südchinesischen Meeres nur darauf einigen können, dass es einen wie auch immer gearteten Verhaltenskodex geben und dass bis dahin der Status quo nicht verändert werden soll. Doch keine Partei hat sich an das Dokument von damals gehalten.
DW: Zurzeit dominiert die Krise auf der koreanischen Halbinsel die Nachrichten aus Asien. Das Südchinesische Meer kommt demgegenüber kaum noch vor. Woran liegt das?
Bill Hayton: Ich denke, da gibt es verschiedene Gründe. Zum ersten hat China eine Charmeoffensive gegenüber seinen südostasiatischen Nachbarn gestartet und alles vermieden, was die Länder der Region gegen es aufbringen könnte. Seit drei Jahren ist die Lage relativ ruhig. Damals hatte China mit der zeitweisen Positionierung einer Ölbohrinsel in umstrittenen Gewässern für erheblichen Aufruhr gesorgt und einen schweren Imageschaden davongetragen. Seither hat es einen Vorfall in dieser Größenordnung nicht mehr gegeben.
Parallel dazu hat China künstliche Inseln gebaut. Das hat möglicherweise viele Ressourcen gebunden. Es könnte also sein, dass wir eine Rückkehr der offensiven Strategie erleben, wenn die künstlichen Inseln fertig sind.
Nicht zuletzt hat China auch einen Territorialstreit mit Japan [um die Senkaku/Diaoyu-Inseln, Anm. d. Red.]. Hier ist China aktuell viel engagierter. Historisch gesehen hat China immer vermieden, an beide Fronten gleichzeitig aktiv zu sein.
Des Weiteren rückt der Parteikongress der Kommunistischen Partei immer näher [Herbst 2017, Anm. d. Red]. Die Partei setzt im Vorfeld auf Stabilität.
Nicht zuletzt hat China gerade erst mit einer großen Konferenz für seine Neue Seidenstraße geworben, was auch ein Grund sein kann, warum China die Lage möglichst ruhig halten will.
Manche Beobachter sagen, dass China seine Ziele im Südchinesischen Meer bereits erreicht hat und sich deswegen zurückhält. Wie schätzen Sie das ein?
Das ist nur zum Teil richtig. China kontrolliert die Paracel-Inseln und hat seine Militärbasen dort verstärkt. Die Volksrepublik hat außerdem sieben künstliche Inseln gebaut, die allerdings noch nicht ganz fertig sind.
Viele glauben, dass China auch auf Scarborough Shoal eine Militärbasis errichten wird. Damit wäre dann eine Art "eisernes Dreieck" etabliert. Insofern hat China seine Ziele also noch nicht ganz erreicht.
Es geht China nämlich darum, mit den Basen seine territoriale Integrität zu sichern und den heimischen Nationalismus zu bedienen. Militärstrategisch sollen sich Atom-U-Boote im Südchinesischen Meer unentdeckt bewegen können und der eigene militärische Einfluss soll bis weit in den Süden zur Straße von Malakka ausgedehnt werden.
Präsident Trump hat bezüglich des Territorialstreits widersprüchliche Signale gesendet. Die Rhetorik war scharf, die Taten allerdings sehr zurückhaltend. Welchen Einfluss hat das auf die Wahrnehmung des US-amerikanischen Engagements in der Region?
Es ist richtig, dass die USA noch keine klare Strategie verfolgen. Ein gutes Beispiel ist die Flugzeugträgergruppe, die der US-Präsident nach Nordkorea geschickt hat. Erst hieß es, sie sei schon unterwegs, dann aber doch nicht. Und schließlich hat sie statt der kürzeren Strecke durch das Südchinesische Meer die weitere außen herum gewählt. Das brachte die Frage auf, ob es sich um eine Art Geste Richtung China handelt. Trump machte möglicherweise Zugeständnisse im Südchinesischen Meer, in der Hoffnung, das China dann den Druck auf Nordkorea erhöht.
Das wiederum verunsicherte die Länder in Südostasien. Sie wussten, welche Position Trumps Vorgänger Obama hatte. Sie haben sich damals zwar mehr gewünscht, aber zumindest hatten sie eine klare Vorstellung davon, wozu die USA bereit waren. Jetzt allerdings ist unklar, wie weit Trumps Engagement reicht. Es sieht momentan so aus, dass er Südostasien vernachlässigt, um sich auf die koreanische Halbinsel zu konzentrieren.
Das ist vielleicht auch ein Grund, warum Japan sein Engagement verstärkt. Es versucht die amerikanische Lücke zu schließen, indem es Schiffe liefert und gemeinsame Militärmanöver durchführt.
Nehmen wir das Beispiel Vietnam. Das Land hat sich in den vergangenen Jahren den USA angenähert und die USA haben ein Teil der Sanktionen aufgehoben. Wie arrangiert sich das Land mit der neuen Situation?
Offensichtlich erneuert Vietnam seine Beziehungen zu China. Es gibt bilaterale Gespräche. In gewissem Sinne haben beide Seiten damit unmittelbar nach dem Zwischenfall mit der Bohrinsel von 2014 begonnen. Der Vorteil ist, dass in beiden Ländern kommunistische Parteien an der Macht sind, weshalb sie viel direkter mit einander sprechen können als das zwei Regierungen können.
Parallel hat Vietnam sein Militär ausgebaut, etwa durch den Kauf von U-Booten. Zwar kann Vietnam China nicht militärisch besiegen, aber zumindest kann es den Preis einer Auseinandersetzung in die Höhe treiben. Vietnam tut also zwei Dinge: Auf der einen Seite bemüht es sich um ein freundschaftliches Verhältnis zu China. Auf der anderen Seite bauen es seine militärischen Fähigkeiten aus.
Liegt es nur an China und den USA, dass es im Südchinesischen Meer momentan vergleichsweise ruhig ist?
Ich glaube, es ist vor allem ruhig, weil China sich zurückhält. Allerdings glaube ich nicht, dass diese Ruhe länger als ein Jahr anhält. China ist darauf bedacht, seinen Machtbereich stetig auszudehnen, ohne allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen.
Das Vorgehen Chinas bringt die anderen Länder in eine schwierige Lage. Wenn sie auf kleine Aktionen Chinas nicht reagieren, baut China seine Position aus. Wenn diese Länder auf kleine Ereignisse allerdings so reagieren, dass es die internationale Gemeinschaft bemerkt, sieht es so aus, als wären sie der Aggressor.
Wenn China die Militärbasen weiterhin so nutzt wie bisher, wird alles ruhig bleiben, aber wenn sie beispielsweise als Ausgangspunkte für die Öl-Exploration genutzt werden, könnte dies Reaktionen provozieren.
Wie bewerten Sie die vor wenigen Tagen in Manila erzielte Einigung?
Ich glaube nicht, dass dieser Rahmenvertrag kurzfristig zu irgendetwas führt. Natürlich ist es gut, wenn die Parteien miteinander reden und so Vertrauen aufbauen. Aber es gibt einige Gründe, warum ich nicht glaube, dass darauf eine tragfähige Einigung folgt. Ich bin sicher, dass China früher oder später eine Basis auf Scarborough Shoal bauen will. Deswegen wird es niemals einen Vertrag unterzeichnen, der so etwas ausschließt.
China will sich auf keinen Fall legal oder auf irgendeine andere Weise binden. Aber genau das ist es, was die Staaten Südostasiens wollen. Warum sollten Sie ein Abkommen unterzeichnen, das keinerlei bindende Kraft hat? Die ASEAN will Chinas Verhalten kontrollieren, aber China möchte nicht kontrolliert werden.
Welche Rolle sehen Sie für Europa in dem Territorialstreit?
Europa ist involviert. So haben etwa französische und britische Schiffe eigene Missionen zur Freiheit der Seefahrt durchgeführt, um aktuell geltendes internationales Recht aufrechtzuerhalten. Ich glaube allerdings, dass Europa mehr tun kann und sollte. Die Europäische Union hat nach der Entscheidung in Den Haag nicht klar Stellung bezogen, da das Urteil so eindeutig gegen China ausgefallen ist und man wohl kein zusätzliches China-Bashing betreiben wollte. Frankreich, Deutschland und Großbritannien verkaufen Waffen in die Region. Europa spielt also eine Rolle. Aber die EU muss endlich anfangen, eine richtige Strategie für die Region zu entwickeln.
Bill Hayton ist ein Asien-Experte bei der britischen Denkfabrik Chatham House. Er ist außerdem Autor des Buches "The South China Sea", das vom Magazin "The Economist" zu einem der besten Bücher des Jahres 2014 gewählt wurde.
Das Interview führte Rodion Ebbighausen. Er traf Bill Hayton anlässlich eines Vortrags zum Südchinesischen Meer an der Universität Hamburg.