Beschwerden über Wahlbetrug
6. April 2014Bereits am ersten Tag nach der Wahl in Afghanistan musste die Wahlbeschwerdekommission (ECC) 162 Klagen über Unregelmäßigkeiten registrieren. Darunter waren zwei der favorisierten Kandidaten, Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani. Beide drohten, das Ergebnis des Urnengangs nicht zu akzeptieren, sollte es wirklich Betrügereien gegeben haben.
ECC-Sprecher Nader Mohseni sagte, die Kommission werde die Vorwürfe untersuchen. Wenn entsprechende Beweise vorlägen, "werden wir auf keinen Fall die gefälschten Wahlzettel, die zugunsten eines bestimmten Kandidaten in den Wahlzentren abgegeben wurden, als gültig zählen", versicherte Mohseni. Laut Beschwerdekommission soll es in einigen Orten tatsächlich Wahlbetrug gegeben haben. Es blieb jedoch unklar, wo die Fälschungen stattfanden und welche Kandidaten davon profitiert haben könnten. Ungute Erinnerungen an die Wahl von 2009 werden wach, die von massiven Betrügereien überschattet war. Damals wurden nachträglich 1,2 Millionen Stimmzettel als ungültig aussortiert, also 20 Prozent aller abgegebenen Stimmen.
Beschwerden trüben den Erfolg der Wahlen
Nils Wörmer, der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kabul, warnt aber davor, dass die Manipulationsvorwürfe den Erfolg des ersten Wahltages in den Hintergrund drängen könnten. Außerdem müsse man genau hinsehen: "Die Beschwerden, die so früh eingegangen sind, beziehen sich auf Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe", so der Afghanistan-Kenner. "Im Laufe der nächsten Wochen kann es zu weiteren Beschwerden kommen, die sich auf die Auszählung beziehen." Beides seien zwei ganz verschiedene Phasen, in denen manipuliert werden könne.
In jedem Fall müssten die Vorwürfe ernst genommen und untersucht werden, so Kate Clark vom Afghan Analysts Network. "Sollte Wahlbetrug stattgefunden haben, ist es von enormer Bedeutung, dass man dies vor einer möglichen zweiten Wahlrunde bekannt gibt.“ In der zweiten Runde werden die beiden Kandidaten gegeneinander antreten, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten. Falls nicht ein Bewerber direkt die absolute Mehrheit erreicht hat. "So können die Afghanen auch tatsächlich einen der zwei Kandidaten wählen, die ohne Betrug in die Stichwahl gekommen sind." Clark befürchtet: "Sollten sich die Fälschungsvorwürfe bewahrheiten, könnte dadurch die Zukunft des Landes auf dem Spiel stehen.“
Auch die Free and Fair Election Forum of Afghanistan (FEFA) sammelte am Tag der Wahl Beschwerden. Noch seien diese jedoch nicht in Kabul angekommen, sagt Mohammad Naeem Asghary, Sprecher der FEFA. "Es ist aber offensichtlich, dass Fälschungen stattgefunden haben“, so Asghary. "Sobald wir die Beweise dafür vorliegen haben, werden wir unseren ersten Bericht schriftlich zu Verfügung stellen." Anschließend wird dieser Report an die Wahlbeschwerdekommission weitergeleitet.
Auszählung hat begonnen
Nach bisherigen Schätzungen beteiligten sich am Samstag rund sieben Millionen der mehr als zwölf Millionen Wahlberechtigten an der historischen Abstimmung - trotz der Drohungen der islamistischen Taliban, denen es nicht gelang, die Wahl empfindlich zu stören. Wegen des großen Andrangs hatte die Wahlkommission die Öffnungszeit der Wahllokale um eine Stunde verlängert. Mancherorts gingen die Stimmzettel aus.
Bereits nach einigen Stunden begannen erste Gerüchte über das Ergebnis der Wahl zu kursieren. In einigen afghanischen Medien und in den sozialen Medien wurden angebliche vorläufige Zahlen genannt. Die Wahlkommission stellte jedoch klar, dass es völlig unrealistisch sei, erste Hochrechnungen zu erstellen. Die veröffentlichten Zahlen beruhten nur auf Spekulationen. Erste geschätzte Ergebnisse wollte die Kommission aber in den nächsten Tagen vorstellen.
Weniger Gewalt als erwartet
Am Abend teilte das afghanische Verteidigungsministerium mit, dass es am Wahltag etwa 690 gewaltsame Angriffe gegeben habe. Dabei seien etwa 165 Aufständische getötet und mehr als 80 verletzt worden, so General Zahir Azimi, Sprecher des Verteidigungsministeriums. "Das hört sich jetzt erst mal nach einer relativ hohen Zahl an", räumt Nils Wörmer von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kabul ein. "Wenn da aber landesweit jeder einzelne Schusswechsel gezählt wird, dann relativiert sich das." Die befürchteten großen Anschläge blieben aus. Viele Angriffe seien von den afghanischen Sicherheitskräften unterbunden worden, sagt Wörmer. Das bedeute, dass die Sicherheitskräfte gute Arbeit geleistet hätten.
Die Gewalttaten reißen aber nicht ab. Am Sonntag kamen bei einem Anschlag in der nördlichen Provinz Kundus zwei Mitarbeiter der Wahlkommission und ein Polizist ums Leben. Sie hatten Wahlurnen mit Stimmzetteln transportiert, als ihr Fahrzeug in eine Sprengfalle geriet. Nach Angaben des zuständigen Provinzchefs der Kommission wurden die Stimmzettel dabei zerstört.
Bis zur Bekanntgabe der ersten Ergebnisse bleibt die Sicherheitslage somit weiter angespannt. Erste vorläufige Ergebnisse sollen am 24. April vorliegen. Es ist unwahrscheinlich, dass einer der Präsidentschaftskandidaten schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erringen könnte. Eine Stichwahl dürfte am 28. Mai stattfinden.