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Nach Corona "offener für notwendige Korrekturen"

24. April 2020

Nach der Pandemie werden wir umdenken und längerfristige Gefahren wie die Klimakrise angehen, davon ist der Energie- und umweltpolitische Vordenker überzeugt. Im DW Gespräch zeigt er Möglichkeiten zur Veränderung auf.

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Ernst Ulrich von Weizsäcker
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

DW: Der Corona-Virus verändert das Leben und trifft die Weltwirtschaft. Wie ordnen Sie die Lage ein?

Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ich finde es richtig und sehr vernünftig, dass man auf die akuten Probleme direkt reagiert. Aber das löst die langfristigen Fragen nicht. 

Wir merken jetzt, dass in der ökonomischen Theorie etwas falsch gelaufen ist. Sie ging davon aus, dass mit Zunahme der globalen Arbeitsteilung es allen besser geht.

Nun merken wir am Beispiel von Mundschutz und Pharmazeutika, dass es ziemlich närrisch war, dieses alles aus Asien zu importieren. Das ist nur eine kleine Spitze eines sehr großen Eisbergs. Jetzt sagen auch Ökonomen, dass man eine gewisse Selbstversorgungsfähigkeit jeder Provinz und jedes Staates erhalten solle und sich nicht total abhängig macht von betriebswirtschaftlichen Überlegungen hinter dem Komma.

Wir werden erheblich umdenken müssen, auch in der EU. Deutschland hat in der europäischen Arbeitsteilung gewaltig abgesahnt und vieles den Italienern, Griechen und Osteuropäern weggenommen. Da müssen wir Deutschen ein kleines Stück zurückstecken. 

Erleben wir eine Zäsur? 

Ich kann mir vorstellen, dass die tieferen Veränderungen, die philosophischen Veränderungen erst in 1-2 Jahren wirklich sichtbar werden.

Welche Veränderungen?

Wenn die Corona Krise als Krise vorbei ist, dann ist das Virus noch nicht weg. Ich vermute, dass wir dann etwas offenere Augen und Ohren für die eigentlich tieferliegenden Probleme haben.

Welche sind das? 

Das ist die Klimakrise. Man stelle sich vor, dass wir so weiter machen wie bisher und plötzlich rutscht das Grönlandeis ins Wasser. Dann sind praktisch alle Hafenstädte der Welt kaputt. Das sind unglaubliche Schäden. 

Im Vergleich dazu ist die Corona Krise ein Sandkastenspiel. Das heißt: Wir müssen sehr viel ernsthafter reagieren und diese großen Krisen ernst nehmen. Wir haben das immer verdrängt. 

Auch die Tatsache, dass rund eine Million Tier- und Pflanzenarten entweder ausgerottet sind oder von Ausrottung bedroht sind, ist ein unglaublicher Eingriff. Ich fürchte, dass dieser Eingriff schlimmer ist, als der Meteoriten-Einschlag vor 65 Millionen Jahren. Dies führte zum Aussterben der Dinosaurier. 

Diesmal macht der Mensch alles kaputt und peinlicherweise ganz besonders die Landwirtschaft. 

Demonstration von Fridays for Future in Köln
Politik für den Planeten und nicht für die Profite. Vor allem die Jugend fordert Zukunft und KorrekturBild: DW/G. Rueter

Ist die Demokratie nicht fähig diese Krise anzugehen? 

Jetzt bin ich mal etwas optimistisch: Bei Corona wird gelernt zu verzichten, wenn eine sichtbare Gefahr droht. Nach Corona werden wir die nicht so sichtbaren längerfristigen Gefahren plötzlich doch angehen. Und das in einer Demokratie. 

Die Politik hört in der Corona-Krise auf die Wissenschaft und handelt entsprechend. Beim Klima- und Artensterben sehen wir das nicht so. Könnte es Veränderungen geben? 

Ja. Bei nahen Umweltproblemen wie Trinkwasserqualität und Bodenqualität gibt es nach den Diagnosen der Wissenschaft die entsprechenden Gesetze. In der EU gibt es dann fünf Jahre später die entsprechende Trinkwasserverordnung. Das sind harte Eingriffe des Staates zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger. Das hat glänzend geklappt. Vor 50 Jahren war Europa fürchterlich schmutzig und heute ist es unglaublich sauber im Vergleich. 

Beim Klima, bei Bodenschatzvorräten und Artenvielfalt sind die Probleme weniger sichtbar. Es ist die Aufgabe von Journalisten und Wissenschaftlern, dies sichtbar zu machen. Wenn das hinreichend sichtbar wird und die Erfahrung mit Corona gemacht wird, was man alles korrigieren könnte, dann bin ich nicht pessimistisch, dass das auch in der Demokratie funktioniert. 

Demonstration von Fridays for Future. Ein Junge hält ein Plakat. Auf dem steht: Klima Retten. Dahinter hält ein Mann ein Plakat: Darauf steht: Weniger
Klima retten und weniger Konsumieren. Fridays for Future fordert die Probleme ernsthaft anzugehenBild: DW/G. Rueter

"Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen", lautet der Titel ihres letzten Buchs. Sie schreiben, dass der globale Kapitalismus ein Problem sei. Warum?

Wir zitieren den großen alten Adam Smith [schottischer Moralphilosoph, Aufklärer und Begründer der Nationalökonomie im 18. Jahrhundert]. Er sagte: Wenn jeder sich nach dem Eigennutz richtet, dann wird der Wohlstand der Nationen gestärkt. 

Dies schrieb er zu einer Zeit wo die geografische Reichweite des Marktes und die Reichweite des Rechts identisch waren. Wenn der Markt in ein einklagbares Recht eingebettet ist, dann ist das großartig. 

Aber der heutige globale Kapitalismus ist anders. Das sind im Wesentlichen Finanzmärkte und diese sind fast keinen Regeln unterworfen. Da geht es nur um die Kapitalrendite. Die Finanzmärkte erpressen die Staaten seit 30 Jahren zur Deregulierung, Privatisierung und die Rechtsregeln werden so mehr und mehr abgebaut.

Das heißt: Ich bin sehr für globale Wirtschaft und eine Globalisierung mit optimalem Nutzen. Aber dieser Handel muss strammen Regeln gehorchen.

Die Leute aus den USA und der Londoner City sagen dazu Nein und sabotieren eine Finanzmarktregulierung. Das ist idiotisch und zerstörerisch.

Gibt es Möglichkeiten das zu ändern? 

Die heiliggesprochene Kapitalrendite ist nur ein Teil der erstrebenswerten Wirklichkeit. Man muss auch andere Dinge betrachten, insbesondere öffentliche Güter, dass es den Menschen wohlergeht. Diese Kapitalrenditen-Anbetung führt zu gewaltigen menschlichen Tragödien bei den Verlierern.

Wir müssen die guten Seiten des Kapitalismus beibehalten, aber die zerstörerischen Seiten überwinden. Nach unserer Analyse vom Club of Rome kann es so nicht einfach weitergehen. 

Ihr Ausblick: Wo werden wir in ein bis zwei Jahren stehen?

Die Vermutung und Hoffnung ist, dass wir in den nächsten zwei Jahren sehr viel korrigieren, was an Schäden durch die Corona Krise sichtbar geworden ist. Dass wir offener sind für die notwendigen Korrekturen, die uns die Klima-Entwicklung, die Biodiversität und insgesamt die Umwelt auferlegt. 

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Naturwissenschaftler, klimapolitischer Vordenker, und Ehrenpräsident des Thinktanks Club of Rome, der mit seiner Studie „Die Grenzen des Wachstums" weltweit bekannt wurde. Von Weizsäcker war unter anderem Direktor am UNO-Zentrum für Wissenschaft und Technologie in New York, Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik, Präsident des Wuppertal Instituts, und Bundestagsabgeordneter (SPD). Von Weizsäcker erhielt zahlreiche Auszeichnungen und schrieb viele Bücher und Aufsätze.

Das Interview führte Gero Rueter 

Rueter Gero Kommentarbild App
Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion