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Ernst Nolte ist tot

18. August 2016

Es war eine der brisantesten Debatten seit Gründung der Bundesrepublik: Vor 30 Jahren löste der Geschichtswissenschaftler Ernst Nolte den deutschen Historikerstreit aus. Nun ist er im Alter von 93 Jahren gestorben.

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Ernst Nolte im Jahr 1997 (Foto:
Ernst Nolte im Jahr 1997Bild: picture-alliance/akg-images/B. Meya

Darf man die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis mit einer anderen Gräueltat vergleichen? Um die Frage kreiste der deutsche Historikerstreit, den der Historiker Ernst Nolte 1986 lostrat. Für Empörung sorgte vor allem seine These, die Ermordung der europäischen Juden durch Nazi-Deutschland habe ihren Ursprung in den Verbrechen der sowjetischen Kommunisten.

Seine Behauptungen gelten in der Historiker-Zunft inzwischen als widerlegt. Dennoch hielt der Zeitgeschichtler auch in späteren Veröffentlichungen an seinen Thesen fest und isolierte sich damit in der Fachwelt zunehmend.

Im Jahr 2000 lehnte es die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel ab, anlässlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises durch die Deutschland-Stiftung die Laudatio auf den umstrittenen Wissenschaftler zu halten.

Adolf Hitler (r.) mit dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow (r.) (Foto: AFP/Getty)
Adolf Hitler (r.) mit dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow (r.)Bild: AFP/Getty Images

"Vergangenheit, die nicht vergehen will" - so hieß der Beitrag Noltes, den die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" 1986 veröffentlichte und der in der alten Bundesrepublik eine publizistische Diskussion von bis dahin nicht gekannter Dimension entfachte. In Form rhetorischer Fragen stellte der Historiker dort den Holocaust als Reaktion der Nationalsozialisten auf vorausgegangene Massenverbrechen und das Gulag-System in der Sowjetunion dar: "War nicht der 'Archipel Gulag' ursprünglicher als 'Auschwitz'? War nicht der 'Klassenmord' der Bolschewiki das logische und faktische Prius (Vorausgegangene) des 'Rassenmords' der Nationalsozialisten?"

Ernst Nolte verstorben: Studiogespräch mit Rainer Traube, DW-Kulturredaktion

"Entmoralisierte Vergangenheit"

Befremdlich war für viele auch, wie stark Nolte die führende Rolle von Juden innerhalb der Bolschewiki betonte. Der Philosoph Jürgen Habermas bezichtigte den Kollegen in der "Zeit" daraufhin unter dem Titel "Eine Art Schadensabwicklung" des Revisionismus. Mit der Deutung des Nationalsozialismus als Antwort auf die bolschewistische Bedrohung mache Nolte Hitlers Verbrechen "mindestens verständlich". Nolte wolle das deutsche Nationalbewusstsein durch das Abschütteln einer "entmoralisierten Vergangenheit" erneuern, so Habermas weiter. Der "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein warf dem Wissenschaftler vor, das Bürgertum, die Generalität und den Massenmörder Hitler zu entlasten.

Der Philosoph Jürgen Habermas gehörte zu Noltes Kritikern (Foto: AFP)
Der Philosoph Jürgen Habermas gehörte zu Noltes KritikernBild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Unterdessen beklagte Habermas, dass sich weitere Historiker wie Michael Stürmer - damals Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) - und Andreas Hillgruber mit Nolte solidarisierten und ebenfalls ein revisionistisches Geschichtsbild vertraten. Rund ein Jahr stritten sie in mehr als 1000 Zeitungsartikeln über die Thesen Noltes, den Umgang mit dem Holocaust und eine deutsche Identität nach der Terrorherrschaft der Nazis.

Im Ergebnis, erklärte schließlich der Historiker Heinrich August Winkler, habe die Auseinandersetzung um Noltes Thesen einen Wandel in der politischen Kultur beschleunigt und die "vorbehaltlose Öffnung" der Bundesrepublik gegenüber dem Westen gefestigt.

Trotz der Verwerfungen galt Nolte als einer der führenden deutschen Historiker der Nachkriegszeit. Seine Habilitationsschrift "Der Faschismus in seiner Epoche" (1963) ist noch heute ein Standardwerk. Als einer der ersten warf er die Frage auf, was den Nationalsozialismus ausgelöst hat. Dabei brach er mit der im Kalten Krieg maßgeblichen Totalitarismustheorie, die Kommunismus und Faschismus als Unterdrückungssysteme gleichsetzte. Er erkannte dem Nationalsozialismus eine besondere Qualität als Herrschaftsform zu - als Teil der gesamteuropäischen Geschichte. Auch von gemäßigten Linken wurde sein Werk damals positiv aufgenommen.

Immer weiter ins Abseits

In den folgenden Jahren manövrierte sich Nolte mit weiteren Thesen immer weiter ins Abseits: So erschien 1987 sein Werk "Der europäische Bürgerkrieg 1917-45". Darin bezeichnete er schließlich den Massenmord an den Juden und die antisemitische Weltanschauung Hitlers als eine "überschießende Reaktion" auf die Oktoberrevolution. Einen von britischen und amerikanischen Juden verkündeten Boykott deutscher Waren im Jahre 1933 versuchte er als Begründung dafür hinzustellen, "dass Hitler die Juden als Kriegsgefangene behandeln und internieren durfte".

Nolte hatte die Zeit des Nationalsozialismus als Jugendlicher und junger Erwachsener erlebt: Der 1923 in Witten an der Ruhr geborene Nolte, dessen Vater katholischer Volksschulrektor war, machte sein Abitur während des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1941 und studierte dann in Münster, Berlin und Freiburg Philosophie, Germanistik und Altphilologie. Weil ihm drei Finger an der linken Hand fehlten, wurde er nicht als Soldat eingezogen. Nach Kriegsende arbeitete er zunächst als Lehrer, promovierte aber parallel in Freiburg über die Dialektik im deutschen Idealismus und bei Karl Marx.

Eingang des Vernichtungslagers Auschwitz im polnischen Oswiecim (Foto: dpa)
Eingang des Vernichtungslagers Auschwitz im polnischen OswiecimBild: picture-alliance/dpa/F. Leonhardt

Seine Habilitationsschrift verschaffte Nolte dann große Anerkennung. Als Seiteneinsteiger bekam er einen Lehrauftrag für Neue Geschichte an der Universität Köln und später einen Lehrstuhl in Marburg. 1973 wechselte er an die Freie Universität Berlin, wo er bis zu einer Emeritierung 1991 am Friedrich-Meinecke-Institut lehrte.

In den Hochzeiten des Historikerstreits wurden seine Seminare immer wieder durch Protestaktionen von Studenten gestört. Verbittert habe ihn die Auseinandersetzung nicht, sagte er 2006 der Tageszeitung "Die Welt". Schließlich verstehe er sich streng genommen auch nicht als Historiker, sondern als Geschichtsdenker. "So möchte ich gesehen werden. Und ich glaube, dass mein Lebenswerk, wenn es als Ganzes wahrgenommen wird, diese Bezeichnung rechtfertigt." Am Donnerstag starb Nolte nach kurzer Krankheit mit 93 Jahren in Berlin.

stu/cr (afp, dpa, kna)