Erneuter Angriff auf Grünen-Politikerin in Deutschland
26. Mai 2024Die Serie von tätlichen Angriffen auf Politiker in Deutschland setzt sich fort - dieses Mal trifft es eine Landtagsabgeordnete in Niedersachsen. Wie die niedersächsische Polizei mitteilte, erlitt die Grünen-Politikerin Marie Kollenrott bei der Attacke in der Göttinger Innenstadt leichte Verletzungen an den Armen.
Beamte ergriffen den mutmaßlichen Täter kurz nach dem Zwischenfall in der Nähe. Der 66 Jahre alte Göttinger sei nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen und Identitätsfeststellung vor Ort entlassen worden. Das Staatsschutzkommissariat hat die weiteren Ermittlungen gegen ihn unter anderem wegen Körperverletzung übernommen.
Ersten Erkenntnissen zufolge hatte sich der Mann zuvor in Höhe des Wahlkampfstandes der Grünen abfällig über die Partei geäußert. Es habe sich eine kurze politische Diskussion entwickelt, dann sei der Angreifer plötzlich auf Marie Kollenrott zugegangen und habe sie mehrfach gegen den Oberkörper geschlagen. "Anschließend entfernte er sich", sagte eine Polizeisprecherin. Die 39-Jährige Abgeordnete und ein Zeuge nahmen die Verfolgung auf und alarmierten die Polizei.
Die Politikerin sitzt seit Oktober 2021 für die Grünen im Landtag in Hannover. Zu ihren Schwerpunkten zählen Umwelt- und Energiepolitik.
Politiker aus Bund und Land empört
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil kritisierte die Attacke scharf. "Es hört nicht auf, es ist schon wieder passiert und es wird leider voraussichtlich nicht der letzte Vorfall dieser Art sein", sagte der SPD-Politiker. "Es ist und bleibt nicht hinnehmbar, dass Politikerinnen und Politiker im Wahlkampf immer wieder Opfer von gewalttätigen Übergriffen werden."
Weil sprach von einer "gefährlichen Entwicklung". Er fügte hinzu: "Unsere Demokratie funktioniert nur, wenn Menschen sich für ihre Überzeugungen auch sichtbar in der Öffentlichkeit engagieren." Er rief dazu auf, "achtsam zu sein, gegen zügellose Aggressivität in der politischen Auseinandersetzung einzuschreiten und diese möglichst im Keim zu ersticken".
Auch Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt betonte, dass die Demokratie von Menschen lebe, "die sich einbringen". Der Angriff auf Kollenrott ziele "genau darauf ab", schrieb die Grünen-Politikerin auf ihrem Social-Media-Kanal. Die politische Geschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, schrieb im Kurzmitteilungsdienst X: "Erneut ein Angriff auf eine Politikerin und damit auf unsere Demokratie und die freien Wahlen. Wir lassen uns nicht einschüchtern!"
"Wir verurteilen den Angriff aufs Schärfste", sagte die niedersächsische Grünen-Fraktionsvorsitzende Anne Kura. "Körperliche Attacken auf Demokratinnen sind ein Angriff auf unsere Demokratie. Wir sind schockiert, aber wir lassen uns nicht einschüchtern." Gewalt dürfe nie ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein, so Kura.
Auch der Landtagsfraktionschef der CDU in Niedersachsen, Sebastian Lechner, verurteilte den "hinterhältigen Angriff" auf Kollenrott auf das Schärfste. Der Angreifer müsse die vollen Konsequenzen des Rechtsstaats erfahren, ließ Lechner verlauten.
Wiederholte Attacken auf Politiker
In letzter Zeit hatte es mehrfach Angriffe auf Politikerinnen und Politiker gegeben, die deutschlandweit Entsetzen auslösten. In Dresden wurde Anfang des Monats der sächsische Europa-Abgeordnete Matthias Ecke krankenhausreif geschlagen, die Kommunalpolitikerin Yvonne Mosler von den Grünen wurde beim Aufhängen von Wahlplakaten angerempelt und bedroht.
In Berlin wurde Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) bei einem Angriff mit einem Beutel leicht verletzt - ein Verdächtiger wurde daraufhin vorläufig in der Psychiatrie untergebracht. Auch Politiker von der AfD waren Ziele von Attacken - etwa ein Landtagsabgeordneter aus Niedersachsen und ein weiterer aus Mecklenburg-Vorpommern.
Angesichts der Übergriffe auf Politikerinnen und Politikerinnen hat der deutsche Städte- und Gemeindebund zu einem respektvollen Umgang in den Kommunen aufgerufen. Die besondere Nähe der ehrenamtlichen Kommunalpolitiker mache sie auch verwundbar, sagte Hauptgeschäftsführer André Berghegger. Daher dürften Hass, Hetze und Bedrohungen auch und gerade in der lokalen Politik keinen Platz haben.
Das Bundeskriminalamt ist besorgt wegen der steil gestiegenen Zahl von Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger. In den vergangenen fünf Jahren habe sich die Zahl verdreifacht auf inzwischen 5400 Delikte, sagte Behördenchef Holger Münch der Zeitung "taz". Zum Glück seien davon nur ein Bruchteil Gewaltdelikte.
Es sei erkennbar, dass Unzufriedenheit mit staatlichen Institutionen Beleidigungen, Bedrohungen und auch Gewalt befördere, so Münch. Das häufe sich nun vor den anstehenden Wahlen.
Am 9. Juni findet in Deutschland die Europawahl statt. Und im September werden in den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg neue Landtage gewählt.
kle/AR (epd, afp, dpa, rtr)