Mord für Frieden
6. Oktober 2006Kairo, der 6. Oktober 1981. Ein nationaler Feiertag wird abgehalten - zum Andenken an den erfolgreiche Vorstoß ägyptischer Truppen acht Jahre zuvor im Oktoberkrieg 1973. Die ägyptische Nationalhymne ertönt. Wie jedes Jahr ist die Ehrentribüne gegenüber dem Grabmal des unbekannten Soldaten voll besetzt und das ägyptische Fernsehen will die Siegesparade bis weit über die Grenzen des Landes hinaus ausstrahlen. Die ersten Militärkonvois sind an der Tribüne vorbeigefahren, da fällt das Fernsehbild aus, stattdessen kann der Nahe Osten aber hören, was niemand erwartet hatte - Schüsse.
Es dauert eine Weile, bis Klarheit geschaffen wird: Soldaten und Offiziere der Ehrenparade waren von ihren Fahrzeugen gesprungen und hatten das Feuer auf die Tribüne eröffnet. Dutzende von Toten und Verwundeten wurden gezählt, das bekannteste Todesopfer ist der ägyptische Staatspräsident Anwar al-Sadat.
Die Täter - so sollte sich später herausstellen - waren islamistische Fanatiker aus der Gruppe "Islamischer Dschihad". Sie hatten die Armee unterwandert und sich dadurch Zugang zu Präsident Sadat verschafft, der ihnen mehr als verhasst war. Sie hatten ihm den Friedensschluss mit Israel 1979 in Camp David nicht verziehen. Die Täter wurden später sämtlich gefasst und hingerichtet. Und der Leichnam des Präsidenten kehrte zurück an die Stelle, wo Sadat der Tod ereilte: Gegenüber der Ehrentribüne hat er am Grab des unbekannten Soldaten seine letzte Ruhestätte gefunden.
Hinwendung zum Westen
Als 20-jähriger hatte Sadat 1938 die Militärakademie Kairo absolviert und bald darauf schloss er sich im Zweiten Weltkrieg einer Gruppe ägyptischer Offiziere an, die sich mit deutscher Hilfe des britischen Einflusses entledigen wollten. Er geriet in Gefangenschaft, konnte fliehen und gehörte nach dem Krieg der Gruppe junger Offiziere an, die zusammen mit Gamal Abdel Nasser Ägypten verändern wollten. 1952 stürzten sie König Faruk und Nasser kam an die Macht. Sadat war unter ihm zweimal Vizepräsident und er wurde sein Nachfolger, als Nasser 1970 überraschend starb.
Unter Anwar al-Sadat erlebte Ägypten die wohl gravierendsten Veränderungen: Die Planwirtschaft wurde stufenweise reduziert, die Allmacht des Staates weniger sichtbar gemacht und das Land begann, sich dem Westen zu öffnen. Am deutlichsten wurde dies, als Sadat 1972 über 18.000 sowjetische Militärberater des Landes verwies und sich auch sonst aus der Abhängigkeit von Moskau abkoppelte.
Ein Jahr später eröffnete Sadat zusammen mit Syriens Präsident Hafez el Assad den Oktoberkrieg gegen Israel: Zum ersten Mal gelang es beiden Staaten, militärische Erfolge gegen Israel zu erringen. Keinen Sieg zwar - weil Israel erfolgreich zurückschlug - aber doch zumindest einen so großen Erfolg, dass - zumindest Ägypten - einen ganz neuen Weg einschlagen konnte: den eines Friedensprozesses mit Israel.
Vier Jahre nach dem Oktoberkrieg verkündete Sadat, er werde "bis ans Ende der Welt gehen, selbst in die Knesset (das israelische Parlament) in Jerusalem", um Frieden zu bekommen. Sadat machte ernst damit: Er besuchte Jerusalem und schlug einen Frieden vor, der dann 1979 in Washington auch tatsächlich unterzeichnet wurde: der Frieden von Camp David. Im Beisein von Präsident Jimmy Carter und Israels Ministerpräsident Menachem Begin verkündete Präsident Sadat stolz:"Dies ist ein historischer Wendepunkt von großer Bedeutung für alle friedliebenden Völker. Die unter uns, die dieser Vision verbunden sind, können sich der geheiligten Dimension unserer Mission nicht entziehen."
Isolation in der arabischen Welt
Andere konnten nicht verstehen, was Sadat da tat: In der arabischen Welt kam es zu einem Aufschrei der Empörung. Man brach die diplomatischen Beziehungen mit Ägypten ab - und die Arabische Liga wurde von Kairo nach Tunis verlegt. Ganz besonders die Palästinenser - damals noch unter einem militanten Yasser Arafat - lehnten ab, was Sadat für sie in Camp David ausgehandelt hatte.
Es sollte eine Autonomie für die palästinensischen Gebiete eingerichtet werden, aus der später ein eigener Staat entstehen würde. Hätten die Palästinenser damals zugestimmt - der Nahe Osten sähe heute anders aus. Vierzehn Jahre später erst war Arafat an dem Punkt angelangt - trotzdem ist auch 27 Jahre nach Camp David diese Idee noch nicht verwirklicht worden. Enttäuscht wandte Sadat sich von den Palästinensern und der Autonomie-Idee ab und konzentrierte sich auf Ägypten. Denn da glaubte er sich jeder Unterstützung sicher: "Das ägyptische Volk mit seinem einmaligen Erbe und historischen Verständnis hat von Anfang an Wert und Bedeutung dieses Unterfangens verstanden."
Weite Kreise des Volkes hatten dies aber keineswegs verstanden. Der Widerstand gegen den Frieden und gegen Sadat war - besonders in wichtigen Berufsgruppen wie den Juristen - immer stark. Zu ihnen gesellten sich die Anhänger der Islamisten, die - teilweise nach Aufenthalten in Afghanistan - in Ägypten besonders militant waren. Es kam zu einer Reihe von Anschlägen und Überfällen, Sadat verstärkte die Sicherheitsvorkehrungen, die Spannungen stiegen.
Dies, gekoppelt mit den desaströsen Folgen der Wirtschaftsliberalisierung für die Armen, verschärfte die Lage in Ägypten. Demokratische Ansätze wurden schnell vergessen - und sie sind auch unter Sadats Nachfolger Husni Mubarak nicht wirklich wieder aufgelebt. Die Reichen wurden reicher und die Armen ärmer. Für viele das Ergebnis der engen Allianz, die Sadat in ihren Augen mit den USA und Israel eingegangen war. Kaum jemand in Ägypten sah Sadat deswegen so, wie er im Westen gesehen wurde und wie US-Präsident Ronald Reagan ihn nach dem Attentat würdigte. "Präsident Sadat war ein mutiger Mann, dessen Vision und Weisheit Nationen und Völker einander näher brachten. In einer Welt voll des Hasses war er ein Mann der Hoffnung."