Nicht nur Aufatmen
7. September 2011Die obersten deutschen Richter billigten am Mittwoch (07.09.2011) die ersten Rettungspakete für Griechenland und den Euro. Ein Nein aus Karlsruhe hätte dramatische Folgen für die Euro-Stabilisierungsbemühungen gehabt. Doch auch wenn kaum jemand in Brüssel einen solchen Richterspruch erwartet hatte, gibt sich Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde erleichtert. "Die Kommission hat das Urteil mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. Es bestätigt die Verfassungsmäßigkeit der bisherigen Maßnahmen", meint sie in der gewohnt steifen Amtssprache ihrer Behörde.
Zwar gehe es hier zunächst um eine deutsche Verfassungsfrage, doch das Urteil habe "wichtige Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Union und ihrer Mitgliedsstaaten, die Schuldenkrise zu überwinden". Ahrenkilde hat keinerlei Zweifel, dass die deutsche Regierung das Urteil berücksichtigen werde und trotzdem "in der Lage sein wird, klar und bestimmt zu handeln."
Soll das Europaparlament die Hilfsgelder kontrollieren?
An der Fähigkeit zu handeln scheint allerdings Jo Leinen Zweifel zu haben, zumindest an der Fähigkeit zu schnellem Handeln. Der SPD-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Verfassungsausschusses beklagt in einer schriftlichen Stellungnahme: "Die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, vor jeder Hilfsmaßnahme im Euroraum und sogar vor der praktischen Verwendung der Mittel die Zustimmung des nationalen Parlaments einzuholen, wird in der Praxis auf große Schwierigkeiten stoßen."
Wenn auch die anderen nationalen Parlamente der Eurozone eine solche vorherige Zustimmung beanspruchten, seien rechtzeitige finanzpolitische Entscheidungen nicht möglich, glaubt der Europapolitiker. Ausweg für Leinen: die Kontrolle der Gelder für den europäischen Rettungsfonds soll in Zukunft beim Europaparlament liegen. Doch mit dieser Forderung dürfte er auf den erbitterten Widerstand nationaler Parlamente stoßen.
Europaabgeordnete beklagen National-Trend
Joseph Daul, Fraktionsvorsitzender der konservativen Volkspartei im Europaparlament, hat ähnliche Bedenken wie Leinen. "Dass die nationalen Parlamente ein Mitspracherecht haben, ist natürlich ganz normal. Aber so kommen wir nicht weiter. Wenn wir jeden Tag von 27 nationalen Verfassungsgerichten abhingen, würden wir in Europa nichts mehr erreichen."
Daul beklagt allgemein einen wachsenden Drang der Mitgliedsstaaten zu intergouvernementalem Handeln, wie es im EU-Jargon heißt, also zu Absprachen zwischen Regierungen, statt Politik zu vergemeinschaften. Ohne sie zu nennen, sind damit vor allem Angela Merkel und Nicolas Sarkozy gemeint. Genauso sehen es viele Sozialisten, Liberale und Grüne im Europaparlament. So wird auch aus der Reaktion auf das Karlsruher Urteil deutlich: In der Europapolitik gelten oft andere Loyalitäten als nur die parteipolitischen. Sondern die Fronten verlaufen häufig zwischen der europäischen Ebene und den Einzelstaaten.
Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Michael Borgers