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Erinnerungen an den Prager Frühling

Ian Willoughby /cb
5. Januar 2018

Der Versuch Alexander Dubceks, "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" in der Tschechoslowakei einzuführen, scheiterte. Aber der Prager Frühling weckte in den Menschen das Verlangen nach Freiheit. Ian Willoughby aus Prag.

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Prager Frühling - Alexander Dubcek
Bild: picture alliance/CTK/J. Dezort

Am 5. Januar 1968 wurde Alexander Dubcek zum Ersten Sekretär der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei gewählt. Damit begann ein dramatischer Befreiungsprozess in dem totalitären Staat.

Obwohl der Prager Frühling letztendlich von russischen Truppen zerschlagen wurde, gab die Bewegung vielen Tschechen und Slowaken zwei Jahrzehnte nach der erzwungenen Einführung des Kommunismus das Gefühl, dass eine bessere Zukunft möglich war.

"Man konnte wirklich fühlen, dass nach der Wahl von Dubcek ein frischer Wind wehte", sagt Marta Kubisova. Sie war im Januar 1968 als Mitglied der Band Golden Kids einer der größten Popstars des Landes und wurde zum Symbol des Prager Frühlings.

Sängerin Marta Kubisova
Marta Kubisova war eines der Gesichter des Prager FrühlingsBild: picture alliance/CTK/J. Dezort

"Es war eine unvergessliche, wunderbare Zeit. Die Menschen konnten frei atmen und hatten das Gefühl, dass nach 20 Jahren endlich etwas Gutes und Erfreuliches passierte."

Sozialismus mit menschlichem Antlitz

Dubceks Aufstieg war nicht das einzige Ereignis, das den Weg für den Prager Frühling freimachte, sagt Historiker Petr Blazek. Es begann bereits 1956, als der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow seinen Vorgänger Josef Stalin verurteilte. Dann folgte die Freilassung vieler politischer Gefangener in der Tschechoslowakei in den frühen 1960ern, eine Versammlung von Autoren 1967, bei der sich Widerstand regte und eine extrem schlecht gehende Wirtschaft, die nach Reform schrie.

Dubcek, der einen Teil seiner Kindheit in der Sowjetunion verbracht hatte, ersetzte Hardliner Antonin Novotny auf dem Führungsposten - und der Kontrast war bemerkenswert. "Dubcek hatte eine viel, viel offenere Herangehensweise und war in der Öffentlichkeit als lächelnder Politiker bekannt", sagt Blazek.

Dubcek landete einen PR-Coup, indem er seinen Reformplänen einen einprägsamen Namen gab, der auf der ganzen Welt bekannt wurde: "Sozialismus mit menschlichem Antlitz".

Prager Frühling - Dubcek, Svoboda, Husak, Kriegel und Piller auf der Maiparade
Alexander Dubcek (Mitte) gab vielen Menschen Hoffnung auf einen echten Wandel in der TschechoslowakeiBild: picture alliance/CTK/J. Finda

Wie viele in der Tschechoslowakei war auch Sängerin Marta Kubisova eine überzeugte Unterstützerin Dubceks. Trotzdem war sie skeptisch, was seine großen Pläne anging.

"'Sozialismus mit menschlichem Antlitz' klang toll", sagt Kubisova. "Aber zu dem Zeitpunkt hatte ich schon Erfahrungen mit den Kommunisten gemacht, deswegen dachte ich nicht allzu viel darüber nach, was es wirklich bedeuten könnte."

Der Historiker Jan Adamec erklärt, dass das Motto ein "wirklich gutes Beispiel für politisches Marketing" sei. Es sei so vage gewesen, dass viele Interpretationen möglich waren: Von einer kommunistischen Diktatur mit "menschlichen" Anklängen bis hin zu einer liberalen Demokratie mit sozialistischen Elementen.   

Das Ende der Zensur

Bei Historikern ist immer noch umstritten, ob Dubcek den Prager Frühling tatsächlich anführte, oder ob er nur von den Ereignissen um ihn herum mitgerissen wurde, sagt Adamec. Die Ziele von Dubcek und anderen Politikern im Reformflügel der tschechoslowakischen Kommunisten, so Adamec, seien tatsächlich nicht sehr ambitioniert gewesen.

"Sie wollten eine neue, fortschrittliche Führung, aber ich würde nicht sagen, dass sie von den Dingen träumten, die dann 1968 passierten", sagt Adamec. "Je mehr sie sich für Reformen einsetzten, desto mehr wurden sie lediglich zu Zuschauern von dem, was damals vor sich ging." 

Die radikalste Veränderung, die Dubcek einführte, war die Abschaffung einer Säule des kommunistischen Regimes: Zensur. Dieser Schritt im April 1968 sollte später eine entscheidende Rolle bei Dubceks Untergang spielen.

Prager Frühling -Einmarsch
Die Tschechoslowaken protestierten gegen die Besetzung durch die Sowjetunion mit Schildern wie diesem: "Unbefugtes Betreten verboten"Bild: picture alliance/akg-images

"Wenn man den Menschen in einer ehemals zensierten Gesellschaft Meinungsfreiheit zugesteht, wird man auch selbst konstant kritisiert", sagt Adamec. "Dubcek wurde dafür kritisiert, zu radikal zu sein, und dafür, nicht radikal genug zu sein."

Die Prager Regierung hatte nie geplant, die Führungsrolle der kommunistischen Partei aufzugeben. Aber Monat für Monat beobachtete man in der UdSSR und anderen Staaten des Sowjetblocks entsetzt, wie die Forderungen des Volkes nach einem Wandel immer stärker wurden. Auch tschechoslowakische Apparatschiks waren besorgt.

Am 21. August 1968 marschierten Truppen des Warschauer Pakts unter Führung der Sowjetunion in die Tschechoslowakei ein und schlugen den Prager Frühling nieder. So begannen zwei Jahrzehnte sowjetischer Besatzung.

Sowjetische Panzer im Land

Historiker Blazek hält Alexander Dubcek für einen Versager, der weder die Konservativen noch die Reformer im eigenen Land zufrieden stellen konnte, und die erwartbare Reaktion aus dem restlichen Sowjetblock nicht vorhersah.

"Er war ein seltsamer Mann, der in der Öffentlichkeit gut ankam und viele Menschen für sich gewinnen konnte", sagt Blazek. "Aber ich persönlich halte Dubcek nicht für einen der großen tschechoslowakischen Politiker des 20. Jahrhunderts."

Während der Invasion unterstützte Sängerin Marta Kubisova Dubcek, dessen Zeit damals fast schon um war. Sie nahm in aller Eile die zu Herzen gehende Ballade "A Prayer for Marta", zu deutsch "Ein Gebet für Marta", auf. Das Lied, in dem sie Frieden und ein Ende des Hasses fordert, wurde zu einem Symbol für den Prager Frühling.

Kurz nach seinem Erscheinen wurde es aus dem Radio verbannt; die Sängerin durfte in den folgenden 20 Jahren bis 1989 nicht mehr auftreten.

Der Prager Frühling dauerte etwas mehr als sieben Monate an und endete mit vielen gebrochenen Herzen sowie einer Auswanderungswelle. Aber dieser kurze Vorgeschmack von Freiheit reichte aus, um die Hoffnung zu erhalten, dass der Kommunismus eines Tages enden würde, versichert Kubisova.

"Der Prager Frühling war es wert, weil er uns stärker gemacht hat. Es war die Chance, einmal frische Luft zu atmen, die in uns ein noch größeres Verlangen nach Freiheit weckte", sagt die Sängerin. "Das hat uns die folgenden zwei Jahrzehnte begleitet."