"Erdoğan-Türkei gehört nicht zu Europa"
1. April 2014Wie es so ihre Art ist, versuchte die CSU-Landesgruppenchefin in Berlin, Gerda Hasselfeldt, die Wogen wieder zu glätten beziehungsweise erst gar nicht aufwallen zu lassen. Am Montagabend hatte ihr Generalsekretär Andreas Scheuer den Stopp der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei gefordert: "Allmählich dämmert es, dass die Erdogan-Türkei nicht zu Europa gehört", hatte der CSU-Generalsekretär in München gesagt. "Ein Land, in dem die Regierung ihren Kritikern droht und demokratische Werte mit Füßen tritt, kann nicht zu Europa gehören." Mehr als eine privilegierte Partnerschaft komme für die Türkei nicht infrage. Die CSU lade jeden ein, der für die EU-Vollmitgliedschaft der Türkei gekämpft habe, "davon endlich abzurücken und sich jetzt dem richtigen Kurs der CSU anzuschließen". Die Bemerkung richtete sich an SPD und Grüne. Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel befürwortet wie die CSU eine privilegierte Partnerschaft.
Akuten Handlungsbedarf sehe sie nicht, sagte Hasselfeldt am Dienstag (01.04.2104) vor Journalisten. "Unsere Haltung war von Anfang an, dass die Türkei nicht in die EU aufgenommen werden soll und dass wir das Prinzip der privilegierten Partnerschaft verfolgen." Was sich derzeit in der Türkei abspiele, erfülle sie mit Sorge. Man werde aufmerksam auf die Entwicklung schauen, so Hasselfeldt. Mehr war nicht von ihr zu hören, die Journalisten wollten auch nicht weiter nachfragen.
Auch bei der Schwesterpartei CDU hielt sich die Erregungskurve in Grenzen. Unions-Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer äußerte sich jedoch kritisch über die Einschränkungen für soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook in der Türkei. In einer Demokratie müsse es möglich sein, über diese Kanäle seine Meinung zu äußern, so Grosse-Brömer in Berlin.
"Kein Bild einer modernen Türkei"
Von den anderen Parteien im Bundestag - SPD, Grüne und Linkspartei - war zunächst nichts zur Äußerung Scheuers zu hören. Die Türkei ist dieser Tage dennoch auf der europäischen Agenda. Nach den Kommunalwahlen hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan in der Nacht zum Montag in seiner Siegesrede in Ankara gesagt, er werde seine Widersacher "bis in ihre hinterletzten Verstecke" jagen. Seine Gegner würden für Anschuldigungen und Kritik der vergangenen Monate "den Preis bezahlen" müssen.
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, sagte in einem Zeitungsinterview, die Drohungen Erdogans in Richtung Opposition stünden nicht "im Einklang mit dem Bild einer modernen Türkei". Es sei nötig, die Achtung der Grundrechte und der Meinungsfreiheit in den Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union zu thematisieren. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Philipp Mißfelder (CDU), äußerte sich besorgt. "Das Verhältnis zum NATO-Partner ist schwierig, weil wir die Türkei als wichtigen Verbündeten brauchen und die Entwicklung im Land nicht gleichgültig betrachten."
Alternative EWR-Beitritt?
Entschieden wird ein möglicher EU-Beitritt in Brüssel. Erst im vergangenen Herbst waren nach dreijähriger Pause die Beitrittsverhandlungen wieder aufgenommen worden. Begonnen hatten diese im Jahr 2005. Die Gespräche sind in 35 Kapitel unterteilt, mehr als ein Dutzend aber sind vor allem wegen der ungelösten Zypernfrage gesperrt. Die Türkei hält den Nordteil der Mittelmeerinsel seit 1974 besetzt.
Man könne es "nicht unbeteiligt hinnehmen", wenn in Fragen grundsätzlicher Werte große Unterschiede zwischen der EU und der Türkei klafften, sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn dem Berliner "Tagesspiegel". Der Forderung Scheuers aber erteilte Asselborn eine Absage. Diese Position teile er nicht.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, machte in derselben Zeitung einen Gegenvorschlag. Es sei an der Zeit darüber nachzudenken, ob eine Mitgliedschaft der Türkei im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mittelfristig nicht eine sinnvollere Lösung für die Türkei sei. Allerdings, so relativierte Brok, sei damit eine spätere EU-Mitgliedschaft nicht ausgeschlossen. Dem EWR gehören auch Staaten an, die nicht Mitglied der EU sind, wie zum Beispiel Norwegen.
Kritik von Google
Sorgen macht sich auch Google. Der kalifornische Konzern erhielt nach eigenen Angaben mehrere Hinweise, dass die Regierung in Ankara die Website-Anfragen von türkischen Google-Nutzern umleitet. Die "Mehrheit" der türkischen Internetanbieter hätten dazu sogenannte DNS-Server manipuliert, schrieb Google-Ingenieur Steven Carstensen am Wochenende auf dem Firmenblog. "Stellen Sie sich vor, dass jemand Ihr Telefonbuch durch ein anderes ersetzt, das genau so aussieht wie zuvor, außer das einige Einträge die falschen Nummern anzeigen", schrieb Carstensen. Die Regierung kann damit den Zugriff von Nutzern auf unliebsame Internetseiten blockieren.