Erdogans Spiel mit der Kritik
30. April 2014Bundespräsident Joachim Gauck hatte sich auf seiner viertägigen Türkei-Reise ein umfassendes Bild gemacht. Nicht nur mit den offiziellen Staatsvertretern, wie dem türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül und dem Premierminister Recep Erdogan, war er zu gemeinsamen Gesprächen zusammengekommen, auch mit Regierungsgegnern hatte er sich ausgetauscht. So traf Gauck sich mit Mitgliedern von NGOs, die vor einem Jahr bei den Protesten im Gezi-Park dabei gewesen waren. "Wir bilden uns aus beiden Informationen unser Bild", sagte Gauck am Dienstagnachmittag (29.04.2014) in Istanbul. Der Bundespräsident betonte, er frage auch in anderen Ländern nicht nur bei den Regierenden, sondern auch bei den Regierten nach. "Ich habe mir erlaubt, das zu tun, was ich immer tue. Nämlich die kritischen Themen, die in einer Gesellschaft diskutiert werden, aufzunehmen. Das ist normal unter Freunden." Außerdem habe er nichts erfunden, sondern sich sogar beherrscht, sagte der Bundespräsident.
Vorrausgegangen war eine Ansprache Gaucks an der Technischen Universität des Nahen Ostens (ÖDTÜ) am Dienstag in Ankara. "Ich gebe zu, dass mich diese Entwicklungen erschrecken. Vor allem weil die Meinungs- und Pressefreiheit zensiert werden", sagte Gauck. Deutschland sorge sich darum, was in der Türkei passiere, so der Bundespräsident. Weiterhin hatte der deutsche Vertreter den erhöhten Einfluss der Regierung innerhalb der Justiz gerügt. Doch dem türkischen Premier Erdogan stieß die Kritik des deutschen Gastes übel auf. "Wir können keine Einmischung in unsere innenpolitischen Angelegenheiten akzeptieren", entgegnete Erdogan.
Von "Bomben-Fragen" bis zum "Hitler-köpfiger Hans"
In der türkischen Presselandschaft zeigte sich ein gespaltenes Bild über den Besuch Gaucks. "Vom deutschen Bundespräsidenten kommen Bomben-Fragen", titelte die konservative Zeitung "Milliyet", und die liberale Zeitung "Radikal" schrieb von einer "lächerlichen Reaktion Erdogans". Völlig konträr reagierten hingegen die regierungsnahen Medien. So schrieb die Tageszeitung "Sabah": "Erdogan sagt zum deutschen Bundespräsidenten: du bist eines Staatsmannes unwürdig". Die als radikal islamisch-konservativ geltende Zeitung "Yeni Akit" titelte sogar mit "Hitler-köpfiger Hans", illustriert mit einem Bild Gaucks mit Nazi-Armbinde. Weiter heißt es, Gauck solle auf sein eigenes Land schauen - in Anspielung auf die NSU-Mordserie. Außerdem warf die Zeitung Deutschland unter anderem vor, den Muezzin-Aufruf zum Gebet zu verbieten und das Kopftuchverbot bei muslimischen Lehrerinnen an deutschen Schulen eingeführt zu haben.
Allerdings hätten viele regierungsnahe Medien über Gaucks kritische Äußerungen gar nicht berichtet, schreibt Serkan Demirtas, Kolumnist der englischsprachigen "Hürriyet Daily News". "Vor allem Gaucks Lob über die türkische Flüchtlingspolitik - in Bezug auf die Syrer im Land - wurde von diesen Medien überbetont, ohne die politischen Gespräche überhaupt zu erwähnen", schreibt Demirtas in seiner Kolumne. Die Kritik von Gauck sei außerdem drei Tage nach derselben Kritik von Hasim Kilic, dem Präsidenten des Verfassungsgerichtes, gefallen. "Zwei hochrangige Kritiken nacheinander sind wohl zu viel für die Regierung", so Demirtas. Dabei sei die Art und Weise, wie Erdogan seine Worte wähle, alles andere als höflich gegenüber einem Staatsgast gewesen, schreibt der Kolumnist weiter.
"Erdogan ist nicht kritikfähig"
Erdogans Reaktion habe sie nicht überraschend, sagt die Politikwissenschaftlerin Senem Aydin. "Die Themen, die der deutsche Bundespräsident angesprochen hat, wurden intern und extern schon oft angesprochen. Es ist also nicht verwunderlich, dass der türkische Premier so heftig reagiert. Es ist seine Art und Weise auf Kritik gegen seinen Regierungsstil zu reagieren", sagt Aydin gegenüber der Deutschen Welle. Die EU habe in den vergangenen Jahren ähnliche Beschwerden angebracht, wenn es um die türkische Demokratie ging. "Es ist egal, ob die Kritik von außen oder von innen kommt. Erdogan und sein engster Kreis mögen keine Einwende", sagt die Politologin.
Außerdem möge die türkische Regierung es gerne, Kritik von außen als ausländische Verschwörung abzutun, so Aydin. "Ich finde die Kritik von Gauck ist durchaus angebracht. Immerhin ist die Türkei ein EU-Kandidat. Eine Kritik aus einem EU-Land muss respektiert werden", findet die Politologin. Jeder habe das Recht einander zu kritisieren. "Doch man muss die Fähigkeit besitzen, damit umzugehen. Der türkische Premier hat diese Fähigkeit nicht", so Aydin. Außerdem interessiere es Erdogan überhaupt nicht, was Deutschland oder die EU denke. "Er schmettert einfach alle Kritiken ab", so die Politologin.