Erdogan wütet gegen "Welt"-Reporter Yücel
4. März 2017Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (Archivbild) hat massive Vorwürfe gegen Deutschland erhoben: Der inhaftierte Journalist Deniz Yücel, der Türkei-Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt", sei ein "deutscher Agent", und die deutschen Behörden unterstützten den "Terrorismus" in der Türkei, sagte Erdogan in einer Rede in Istanbul.
"Als ein Vertreter der (verbotenen 'Kurdischen Arbeiterpartei') PKK, als ein deutscher Agent hat sich diese Person einen Monat lang im deutschen Konsulat versteckt", behauptete Erdogan mit Blick auf Yücel und fuhr in Bezug auf die deutschen Behörden fort: "Sie müssen wegen Unterstützung und Beherbergung von Terrorismus vor Gericht gestellt werden." Die Bundesregierung wies die Angriffe Erdogans postwendend zurück. Die Vorwürfe seien "abwegig", erklärte das Auswärtige Amt.
Yücel, der die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, war nach 13-tägigem Polizeigewahrsam am Montag in Untersuchungshaft genommen worden. Dem Reporter wird Terrorpropaganda und Aufwiegelung des Volkes vorgeworfen. Yücel hat die Anschuldigungen zurückgewiesen.
Keine "leisen Töne" mehr
Vor den Äußerungen Erdogans hatte Bundesjustizminister Heiko Maas in Berlin erklärt, angesichts der Verfolgung von Journalisten in der Türkei sei die "Zeit der leisen Töne" vorbei. Einen deutschen Staatsbürger wie im Fall Yücel in Untersuchungshaft zu stecken, "wegen einem Vergehen, das wir nicht nachvollziehen können, hat schon eine neue Qualität", betonte der SPD-Politiker der deutsch-türkischen Onlinezeitschrift "Özgürüz".
Die Bundesregierung könne dieses Verhalten nicht einfach hinnehmen. Die Bundesregierung müsse, "wenn es um die Grundwerte geht, immer klar Stellung beziehen", sagte Maas dem "Özgürüz"-Chefredakteur Can Dündar. Daher hätten die Bundeskanzlerin, der Außenminister und auch er selbst dies nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber der türkischen Regierung getan.
Erst am Donnerstagabend hatte Maas einen Brandbrief an den türkische Justizminister Bekir Bozdag geschickt. Darin rief der SPD-Minister die türkische Regierung auf, den Umgang mit Grundrechten und die Verhaftungen von Journalisten, Richtern und Anwälten zu überdenken. Außerdem forderte er die Freilassung Yücels.
Ärger um geplatzte Auftritte
Zur neuerlichen Eskalation zwischen Berlin und Ankara führte neben der Verhaftung Yücels die Absage von drei geplanten Wahlkampfauftritten türkischer Minister in Deutschland. Sie wollten für Zustimmung bei dem Referendum über das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem werben.
Die Stadt Gaggenau hatte am Donnerstag eine Veranstaltung mit dem türkischen Justizminister Bekir Bozdag wegen Sicherheitsbedenken abgesetzt. Am Freitagmorgen legte ein Anrufer mit einer Bombendrohung das Rathaus der badischen Stadt stundenlang lahm. Die Polizei fand bei der Durchsuchung des Gebäudes nichts Verdächtiges. Auch die Stadt Köln hatte einen Wahlkampfauftritt des türkischen Wirtschaftministers Nihat Zeybekci untersagt. Gleichfalls wurde ein alternativer Veranstaltungsort in Frechen verweigert.
Die Türken sind aufgerufen, am 16. April über die Verfassungsänderungen zur Einführung eines Präsidialsystems zu entscheiden. Die Machtfülle Erdogans würde dadurch zu Lasten des Parlaments deutlich ausgeweitet. Auch 1,4 Millionen in Deutschland lebende türkische Staatsbürger sind wahlberechtigt.
Dialogversuch in Berlin
Für Entspannung in der Krise des bilateralen Verhältnisses könnte ein Treffen der beiden Außenminister sorgen. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu mitteilte, kommt der türkische Ressortchef Mevlüt Cavusoglu nächste Woche mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel zusammen.
Das Treffen sei in Deutschland für den 8. März geplant, meldete Anadolu nach einem Telefonat der Minister unter Berufung auf diplomatische Kreise. Vom Außenministerium in Berlin gab es zunächst keine Stellungnahme dazu. Sprecher Martin Schäfer hatte aber zuvor gesagt, dass man sich um eine Gespräch mit Cavusoglu bemühe. "Es macht Sinn, miteinander das Gespräch zu suchen. Auch wenn es noch so schwierig ist", sagte Schäfer.
pab/wl (afp, dpa)