Erdogan greift in der Geschäftswelt durch
4. August 2016Wenn jemand jemanden kennt, der Verbindungen zu Gülen-Anhängern hat, möge er sie den Behörden melden, forderte Präsident Recep Tayyip Erdogan vor den Vorsitzenden von Handelskammern und Börsen in Ankara. Die Gülen-Bewegung sei besonders stark im Wirtschaftssektor vertreten, meint der Präsident. Aus diesem Grund rief Erdogan Geschäftsleute dazu auf, auch in diesem Bereich Gülen-Gefolgsleute den Behörden zu melden. "Ich sage euch, das kann sogar euer Verwandter sein. Die, die bis jetzt gefasst wurden, sind nur die Spitze des Eisbergs", sagte er vor Geschäftsleuten.
Erdogan macht den in den USA lebenden Gülen und die von ihm inspirierte Bewegung für den Putschversuch im Juli verantwortlich. Er wirft Gülen vor, über seine Unternehmen und Einrichtungen in der Türkei eine Parallelstruktur geschaffen zu haben, mit der er den Staat habe übernehmen wollen.
Erdogan: "Gülen-Bewegung austrocknen"
Er wolle nicht nur die Verbindungen der Gülen-Bewegung in die türkische Geschäftswelt kappen lassen, sondern gleichzeitig auch deren Erlöse einkassieren. So wolle er die Bewegung seines Erzfeinds Fethullah Gülen austrocknen. Dazu gehörten von Gülen betriebene Unternehmen, Schulen und Wohltätigkeitsorganisationen. Das seien "Nester des Terrorismus", ein Krebsgeschwür, das sich überall ausgebreitet habe, so Erdogan. Bei ihrer Zerschlagung werde es "keine Gnade geben".
Die Behörden hatten bereits vor dem Putschversuch eine Bank beschlagnahmt und mehrere Medienunternehmen geschlossen oder übernommen. Sie sollen Verbindungen zu Gülen gehabt haben. Mehrere Geschäftsleute wurden inhaftiert.
Fehlende Beweise: USA wollen Gülen nicht ausliefern
Mittlerweile sind bereits mehr als 60.000 Bürger in Armee, Polizei, Justiz, Wissenschaft und Bildung wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung ihrer Ämter enthoben oder sogar festgenommen worden. Gülen, der in den USA im selbstgewählten Exil lebt, bestreitet die Vorwürfe Erdogans. Ein Auslieferungsersuchen der Türkei haben die USA abgelehnt. Die USA verlangen eindeutige Beweise, dass Gülen Drahtzieher des Putschversuches gewesen ist.
Darauf hat Erdogan mit harscher Kritik am größten NATO-Verbündeten USA und anderen westlichen Staaten reagiert. US-Außenminister John Kerry wird einem Medienbericht zufolge noch in diesem Monat die Türkei besuchen. Auch die EU kritisiert das harte Vorgehen Erdogans seit dem Putschversuch in der Türkei. Erdogan wiederholte vor den Wirtschaftsvertretern, dass die Regierung nach dem gescheiterten Staatsstreich gezwungen sei, die staatlichen Institutionen umzubauen. Auch die Streitkräfte müssten dringend eine neue Struktur erhalten.
Erdogan macht Gülen für Wirtschaftsschaden verantwortlich
Doch der Präsident lässt sich nicht beirren. Sein drastisches Vorgehen ist ein Schlag gegen die ohnehin schon angeschlagene türkische Wirtschaft. Nach Terroranschlägen und anhaltenden Kämpfen im Süden der Türkei bleiben die Touristen aus. Hinzu kommt, dass die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) nach dem Putschversuch die Bonitätsstufe der Türkei um eine Stufe gesenkt und den Ausblick auf "negativ" gesetzt hatte. Zudem stufte die Agentur das Land als Hochrisikoland ein. Die Folge: Für die Türkei ist es teurer geworden, sich am Kapitalmarkt zu finanzieren.
Notenbank soll Devisenreserven aufstocken
In seiner Rede forderte Erdogan zudem die Zentralbank auf, ihre Reserven an ausländischen Devisen auf mindestens 165 Milliarden Dollar aufzustocken und die Zinsen für Immobilienkäufe auf unter zehn Prozent zu senken. "Ihr werdet daran schon nicht verlieren", sagte er. Hohe Zinsen seien ein "Drangsal". Die jährliche Inflationsrate stieg im Juli unerwartet stark auf 8,8 Prozent. Das Handelsministerium rechnet nach einem Bericht der Zeitung "Hürriyet" in Folge des Putschversuches mit wirtschaftlichen Schäden von umgerechnet mindestens 90 Milliarden Euro. Die Türkische Lira brach ein. Erdogan hatte zuvor mehrfach bekräftigt, dass die Wirtschaft des Landes trotz des versuchten Militärputsches stark sei und bleibe.
Nach Regierungsangaben vom Dienstag wurden seit dem Putschversuch 58.611 Staatsbedienstete suspendiert, weitere 3499 wurden dauerhaft entlassen. Zusätzlich wurde mehr als 20.000 Lehrern an Privatschulen die Lizenz entzogen. Nach Angaben des Innenministeriums wurden 25.917 Menschen festgenommen, gegen 13.419 Verdächtige wurde Haftbefehl erlassen. Die Reisepässe von 74 .62 Personen wurden für ungültig erklärt, um die Flucht von Verdächtigen ins Ausland zu verhindern.
pab/kle (ap, dpa, rtr)