Erdogan ist begeistert von Russland
13. August 2016Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat erneut mit der Aufkündigung des Flüchtlingspakts mit der EU gedroht. Die Türkei werde sich nur an ihre Verpflichtungen halten, wenn die EU die geforderte Visa-Freiheit für türkische Bürger umsetze, sagte Erdogan (Artikelbild) in einem Interview mit dem Fernsehsender RTL.
Die EU habe beim Flüchtlingspakt ihre "Versprechen nicht gehalten", sagte der türkische Staatschef. "Rücknahmeabkommen und Visa-Befreiung, das muss gleichzeitig geschehen. Nur wenn das gleichzeitig geschieht, werden wir damit beginnen. Also, wir können nicht sagen, wir beginnen mit dem Rücknahmeabkommen, aber dafür gibt es keine Visa-Befreiung - das ist nicht prinzipientreu."
Wiederholte Warnungen
Ankara hatte bereits mehrfach gewarnt, das Abkommen platzen zu lassen, falls der Visa-Zwang für Türken nicht abgeschafft wird. Die EU verlangt dafür aber eine Änderung der weit gefassten Anti-Terror-Gesetzgebung in der Türkei. In dem Flüchtlingspakt von März hat sich Ankara verpflichtet, alle Flüchtlinge zurückzunehmen, die von der Türkei auf die griechischen Ägäis-Inseln übersetzen, wenn ihr Asylantrag dort abgelehnt wurde.
Wegen der repressiven Reaktion Erdogans auf den Putschversuch Mitte Juli hatten sich die Beziehungen zwischen Brüssel und Ankara zuletzt erheblich eingetrübt. Erdogan kritisierte in diesem Zusammenhang die Reaktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Ja, sie hat natürlich ihr Bedauern ausgedrückt im Zusammenhang mit dem Putschversuch", sagte er dem Sender RTL.
Vergleich mit der DDR
Aber sie habe sich auch für die Menschen eingesetzt, die nach dem Putsch entlassen wurden. Merkel habe ihm bei einem Telefonat gesagt: "Für die Menschen, die entlassen werden, sollte es so gestaltet werden, dass sie sich nicht sorgen müssen." Diese Aussage sei bedauerlich, sagte Erdogan nach einer Übersetzung des Senders. Es müsse der Türkei überlassen bleiben, wie sie ihr Recht anwende. In der Ex-DDR seien nach der Wiedervereinigung auch Tausende entlassen worden, rechtfertigte Erdogan die Entlassung oder Festnahme von etwa 60.000 Menschen seit dem Putschversuch.
Erdogan beklagte auch einen mangelnden Rückhalt durch die EU. "Gegenüber einem Putschversuch hätte ich mir gewünscht, dass Europa auf der Seite der Türkei steht. Genauso, wie man in Paris zusammengekommen ist, wie man dort kondoliert hat, hätte man auch in die Türkei sicherlich Vertreter schicken sollen", sagte der Präsident offenbar mit Blick auf die internationale Solidarisierung nach den Anschlägen in Paris.
Erdogan kündigte eine neue Phase der Zusammenarbeit mit Russland an. Bei seinem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin am Dienstag in St. Petersburg sei es ihm darum gegangen, etwas wiedergutzumachen. "Wir wollen militärisch, politisch, wirtschaftlich, kulturell, im Tourismusbereich, in verschiedenen Bereichen, mit einer neuen Begeisterung diese Phase neu beginnen", sagte Erdogan.
Kein Respekt vor der deutschen Justiz
Zur möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe sagte Erdogan, über die Forderung von Millionen Türken habe allein das Parlament zu entscheiden. "Manche haben den Bruder verloren, die Schwester verloren, das Kind verloren. Und jetzt wollen sie natürlich, dass die Todesstrafe wieder eingeführt wird." Die Europäische Union, die für einen solchen Fall mit dem Abbruch der Beitrittsgespräche gedroht hat, halte die Türkei doch sowieso nur hin, klagte Erdogan.
Auch die deutsche Justiz kam schlecht weg. Unter Hinweis auf das vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Verbot einer Live-Schalte von Erdogan zu einer Demonstration von Türken in Köln am 31. Juli sagte er: "Ich glaube nicht an die deutsche Justiz und habe auch keinen Respekt vor der deutschen Justiz in diesem Zusammenhang." Merkel habe ihm gesagt, die deutsche Justiz sei unabhängig. "Aber was für eine unabhängige Justiz ist das? Eine unabhängige Justiz muss fair entscheiden und urteilen."
stu/SC (afp, dpa)