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Erdbeben: Türkeistämmige leisten Hilfe

7. Februar 2023

Mehr als drei Millionen Türkeistämmige leben in Deutschland. Nach dem schweren Erdbeben in der Türkei fürchten viele um Angehörige - und wollen helfen.

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Freiwillige Helfer in Berlin an einer Sammelstelle für die Erdbebenopfer
Freiwillige Helfer in Berlin an einer Sammelstelle für die ErdbebenopferBild: Julius-Christian Schreiner/dpa/picture alliance

Bis drei Uhr am Morgen habe er geholfen, Lastwagen mit warmer Kleidung, Decken und Babynahrung zu beladen, erzählt Yasin Kesginlikimiloglu der DW am Telefon. Der 38-Jährige Bauingenieur lebt in der Nähe von Stuttgart im Süden Deutschlands, seine Familie stammt aus der Türkei. Auf dem Parkplatz eines Möbelhauses im Stuttgarter Stadtteil Zuffenhausen war er die ganze Nacht mit hunderten anderen Freiwilligen auf den Beinen. Sie alle hat das Schicksal der Menschen im Erdbebengebiet an der türkisch-syrischen Grenze nicht mehr losgelassen. 

Freiwillige beladen Lastwagen mit Hilfsgütern für die Türkei

"Die Nachrichten von der Katastrophe verbreiten sich in den WhatsApp-Gruppen wie Lauffeuer" sagt Kesginlikimiloglu. "Und jeder, der etwas daheim hat, packt Sachen in sein Auto und fährt an die Sammelstellen, wo Lastwagen bereitstehen. Zehn Leute standen jeweils im LKW drin und der Rest war draußen und hat Kartons und Beutel weitergereicht, von Hand zu Hand."

Sorge um Familienangehörige

Acht Lastwagen seien so in Stuttgart beladen worden und bereits unterwegs in Richtung der Türkei. Die Speditionen und Fahrer verlangten kein Geld, oft würden Lastwagen aus Deutschland ansonsten unbeladen in die Türkei fahren. Aus anderen Städten in Deutschland habe er von ähnlichen Aktionen gehört, sagt Familienvater Kesginlikimiloglu. "Auch wenn wir hier 4000 Kilometer entfernt sind, können wir etwas Gutes tun für die Menschen, die vom Erdbeben betroffen sind. Viele konnten nicht mal mehr Kleider zusammenpacken, als sie aus den Häusern gerannt sind." 

Yasin Kesginlikimiloglu beim nächtlichen Beladen von Lastwagen zur Erdbebenhilfe in der Türkei
Yasin Kesginlikimiloglu (Mitte) beim nächtlichen Beladen von Lastwagen zur Erdbebenhilfe in der TürkeiBild: Privat

Er selbst habe keine Angehörigen im Erdbebengebiet, doch er höre von vielen, die sich Sorgen um ihre Familien machten. "Etwa mein Nachbar. Er stammt aus Kahramanmaraş. Dort sind das Haus seines Bruders und seiner Schwester total zerstört. So zerstört, dass es nicht mehr bewohnbar ist."

Flüge in die Türkei sind ausgebucht

Auch Gökay Sofuoğlu musste um Familienangehörige bangen. "Ich habe gestern mit großer Mühe meine Schwester in Kayseri erreichen können. Das liegt nicht direkt im Erdbebengebiet, aber ist benachbart und auch betroffen", sagt der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland der DW. "Da war schon schwer genug. Wie viel größer muss die Verzweiflung für Menschen aus Kahramanmaraş oder Malatya sein?" Er höre von vielen, die in die Türkei fliegen wollten, um Angehörige im Erdbebengebiet zu suchen. Doch die Flüge seien ausgebucht. 

Gökay Sofuogl, Bundesvorsitzender Türkische Gemeinde
Vorsitzender der Türkischen Gemeinde: Gökay Sofuoğlu vertritt türkischstämmige Deutsche und in Deutschland lebende TürkenBild: picture alliance/dpa

Die vielen Privatinitiativen, die derzeit Spenden sammelten, seien begrüßenswert, sagt Sofuoğlu. "Das läuft gerade auf Hochtouren, dass sehr viele Vereine, Einrichtungen und Organisationen versuchen, Spenden zu sammeln. Für die schnelle Hilfe ist das natürlich wichtig. Die Leute brauchen jetzt Hygienematerial, Bettdecken und Schlafsäcke."

Langfristige Hilfe nötig

Sofuoğlu ruft dazu auf, dieetablierten Hilfsorganisationen mit Spenden zu unterstützen. So komme Soforthilfe besonders effektiv an. "Das andere ist natürlich, dass sehr viele Menschen jetzt ihre ganze Existenz verloren haben und langfristige Hilfe notwendig ist." Es bestehe die Gefahr, dass die Hilfsbereitschaft nach zwei oder drei Tagen abnehme, wenn die Medienaufmerksamkeit nachlasse. "Wir sind auch gerade dabei, langfristige Hilfe zu organisieren, vielleicht in Form von Patenschaften oder Existenzgründungshilfen."

Nach dem verheerenden Erdbeben im Nordwesten der Türkei im Jahr 1999 hatte es schon einmal solch ein Programm gegeben. Menschen aus Deutschland hatten als Paten Personen in der Türkei monatlich Geld geschickt.

20 Tonnen Hilfsgüter per Flugzeug geliefert

Zahlreiche Anrufe verzweifelter Menschen erhält derzeit Hakan Demir, der für die Regierungspartei SPD im Bundestag sitzt. "Viele schildern mir, dass sie bereits Verwandte verloren haben und dass Verwandte unter den Trümmern liegen. Sie sind natürlich total aufgelöst und bitten mich, dass Deutschland, dass wir als Deutscher Bundestag, als Bundesregierung schnell agieren und auf die Situation der Menschen vor Ort aufmerksam machen", sagt er gegenüber der DW.

Hakan Demir, Abgeordneter der SPD, spricht im Bundestag
Hakan Demir ist Abgeordneter der SPD im Deutschen BundestagBild: picture alliance/Geisler-Fotopress

Deutschland helfe, erst am Morgen sei eine Maschine mit 20 Tonnen Einsatzmaterial und Spezialkräften im Auftrag der Bundesregierung in die Türkei geschickt worden. "Natürlich haben wir eine sehr enge Verbindung zur Türkei und eine große Community, die aus der Türkei stammt, die Verwandte in dem Land hat." Doch auch unabhängig davon sagt Demir: "Immer, wenn in der Welt wie jetzt in der Türkei oder auch an der Grenze zu Syrien humanitäre Katastrophen geschehen, ist Deutschland mit dabei und unterstützt."

Hilfe, nicht nur für die Türkei

Das gelte auch für die Gemeinschaft der Türkeistämmigen, sagt Yasin Kesginlikimiloglu, der Helfer aus Stuttgart. "Unsere Community hat die gleiche Solidarität auch bei der Flutkatastrophe 2021 gezeigt, als man Hilfsgüter sammeln musste oder auch vor Ort Suppen verteilt hat. Für uns als dritte oder vierte Generation ist Deutschland unsere Heimat. Und die gleiche Solidarität haben wir auch für die Ukraine gezeigt oder als die Flüchtlinge hierhergezogen sind."

Auch heute Abend wolle er wieder auf dem Parkplatz in Zuffenhausen Lastwagen mit Hilfsgütern beladen, sagt Kesginlikimiloglu. Angesichts der Bilder aus dem Erdbebengebiet könne man doch gar nicht anders, als zu helfen.