"Junge Menschen geben alles"
12. September 2016Der mexikanische Komponist Enrico Chapela ist einer der wichtigsten Vertreter zeitgenössischer Musik in Lateinamerika. Seine Ausbildung erhielt der 42-Jährige in Mexiko-Stadt, Paris und London. Sein bekanntestes Werk ist das mehrfach ausgezeichnete Orchesterstück "Ínguesu", das den Verlauf eines Fußballspiels samt Spielerwechseln, Toren und Roten Karten musikalisch abbildet.
Im Rahmen des jährlichen Campusprojekts hat ihn die Deutsche Welle beauftragt, ein Werk zu komponieren, das sich sowohl an den Klangwelten seiner Heimat Mexiko als auch an der Musik Beethovens orientiert. Am 15. September 2016 wird das Werk "Zimmergramm" auf dem Beethovenfest in Bonn uraufgeführt. Die Komposition für Orchester, Chor und Solisten nimmt Bezug auf eine Episode der deutsch-mexikanischen Geschichte im Jahr 1917, in der es um Agenten, Revolution und Freiheit geht - und um ein geheimes Telegramm.
Die DW hat Enrico Chapela in Mexiko-Stadt getroffen.
Deutsche Welle: Was bedeutet es für Sie, ein Werk für das Beethovenfest zu komponieren?
Enrico Chapela: Es ist etwas ganz Besonderes für mich. Beethoven war schon immer einer meiner Lieblingskomponisten. Seinetwegen wusste ich schon als Kind, dass ich Komponist werden möchte.
Ihr Werk soll von Beethoven und auch von der Musik Mexikos beeinflusst sein. Wie gelang es Ihnen, beides zu vereinen?
In diesem Fall habe ich versucht, meine eigene Kompositionssprache, die stark von der mexikanischen Musik beeinflusst ist, so zu orchestrieren, wie es Beethoven getan hätte. Das war eine große Herausforderung - aber ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden.
Sie erzählen in Ihren Werken immer eine Geschichte, wie zum Beispiel in "Ínguesu" vom Fußballspiel zwischen Mexiko und Brasilien beim FIFA Confederations Cup 1999. Was ist die Geschichte Ihres neuen Auftragswerkes "Zimmergramm" für das Beethovenfest Bonn?
"Zimmergramm" basiert auf einer Geschichte, die sich im Ersten Weltkrieg zugetragen hat. Der damalige Staatssekretär im Reichsaußenministerium Arthur Zimmermann schickte im Januar 1917 ein verschlüsseltes Telegramm an den deutschen Gesandten in Mexiko, in dem er dem mexikanischen Präsidenten Venustiano Carranza ein Bündnis gegen die Vereinigten Staat vorschlug. Dafür versprach er, dass die Staaten New Mexico, Arizona und Texas wieder in den Besitz Mexikos kommen würden.
Die Musiker des Bundesjugendorchesters sind zwischen 14 und 19 Jahre alt. Hatten Sie schon einmal für so ein junges Orchester komponiert?
Dies ist das zweite Stück, das ich für ein Jugendorchester geschrieben habe. Das erste war "Ínguesu" für das Carlos-Chávez-Sinfonieorchester. Heute habe ich 15 Jahre mehr Erfahrung und weiß viel besser, wie ich für die einzelnen Orchestergruppen schreibe. Ich habe sehr gerne wieder für ein Jugendorchester komponiert, weil diese jungen Menschen alles geben. Sie studieren das Werk von einem Tag auf den anderen und ich bin sicher, dass es gut klingen wird. Vielleicht sogar besser als mit einem professionellen Orchester, das gewerkschaftlich organisiert und manchmal weniger begeistert ist als junge Leute.
Wie würden Sie Ihr Werk "Zimmergramm" beschreiben?
Dieses Stück ist in zwei Tonsprachen geschrieben. Die erste stellt mit den "Sonos Mexicanos" die Verbindung zur populären Musik Mexikos her. Der Chor singt hier und liefert den historischen Kontext: der Erste Weltkrieg und die mexikanische Revolution. Das ist wie tonale Musik: mexikanische Musik mit einer Anmutung in der Orchestrierung wie bei Beethoven. Und wir haben die Szenen mit den Solisten, die den Präsidenten Carranza und den deutschen und amerikanischen Botschafter darstellen. Der eine bietet den Pakt an und der andere droht mit einer Invasion. Diese Szenen mit den Solisten sind in einer modernen Tonsprache gehalten.
Haben Sie ein Lieblingsstück von Ludwig van Beethoven?
Ich habe nicht wirklich ein einzelnes Lieblingsstück. Beethoven ist einer meiner liebsten Komponisten. Aber der erste Satz der fünften Sinfonie, der zweite langsame Satz der dritten und das Scherzo und der zweite Satz der neunten Sinfonie wären vielleicht meine Lieblingssätze von Beethoven.
Das Gespräch führte Kathrin Lemke.