Energiewende nicht in Sicht
22. April 2014"Sicher ist sicher", so lautet Polens Motto in Sachen Energieversorgung. Spätestens seit der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin 2005 beschlossen, die Ostsee-Pipeline zu bauen, vertraut das Land nicht mehr auf seine Nachbarn, sondern schmiedet eigene Pläne. Die Krim-Krise nahm die polnische Regierung gar zum Anlass, Deutschland für seine Abhängigkeit vom russischen Gas zu kritisieren. "Damit hängt auch Europas Energiesicherheit an den russischen Pipelines", sagte Premierminister Tusk im März dieses Jahres beim Antrittsbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Warschau.
Wie Polen mit seiner eigenen Abhängigkeit von Russland zurechtkommt, zeigt sich regelmäßig bei EU-Verhandlungen - wenn die Regierung in Warschau die polnische Kohleindustrie schützt. In diesem Punkt erntet das Land immer wieder Kritik, vor allem aus Deutschland. Der ehemalige EU-Industriekommissar Günter Verheugen (SPD) findet diese allerdings nicht uneingeschränkt gerechtfertigt. "Polen hat einen steigenden Energiebedarf und das muss die EU berücksichtigen", sagt er und ergänzt: "Die Deutschen sollen nicht nur an die eigenen Befindlichkeiten denken, sondern einsehen, dass es im polnischen Interesse liegt."
Fast 90 Prozent des Stroms werden in Polen immer noch aus Kohle generiert. Aber Alternativen müssen gefunden werden, denn die Vorräte sind endlich und werden immer teurer. Außerdem muss das Land seine CO2-Emissionen senken. Auch deshalb hat es gerade mehrere Baustellen.
Riesige Investitionen
In den nächsten fünf Jahren baut Polen für umgerechnet sieben Milliarden Euro umweltfreundlichere Kohlekraftwerke. 2015 geht auch das Flüssiggas-Terminal in Swinemünde ans Netz. Es ist das wichtigste strategische Energieprojekt Polens. Die 750-Millionen-Euro-Anlage an der Ostsee soll zu einer wichtigen Drehscheibe für Gaslieferungen aus aller Welt werden. Dafür werden 1200 Kilometer neue Gasleitungen durchs Land gebaut.
"Das ist wichtig, nicht nur für Polen, sondern auch fürs Baltikum", sagt der Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann (CDU). "Es ist nicht akzeptabel, dass die Balten immer noch zu 100 Prozent vom russischen Gas abhängig sind. Wenn man dort dichtere Netze hat, können sie auch Gas aus dem Westen beziehen", sagt der Politiker.
Umstrittene Quellen
Polen geht deshalb den Weg der Diversifizierung mit einem Mix aus mehreren Energieträgern. Viele Hoffnungen setzt man dort derzeit auf das "Fracking" - eine Methode, die vor allem in den USA angewendet wird. In Europa ist sie eher umstritten. Dabei werden Löcher zwischen ein paar Hundert und ein paar Tausend Meter tief in die Erde gebohrt, um unter hohem Druck mit chemischen Substanzen versetztes Wasser einzupumpen. Im Idealfall wird dadurch Gas freigesetzt und anschließend gefördert.
In Frankreich wurde die Methode verboten. Polen will seine Ressourcen mit dieser Technologie erschließen. Obwohl die Fracking-Lobby in Warschau viele Anhänger hat, fehlt aber noch ein entsprechendes Gesetz, das die Förderung regeln würde.
Ungewiss ist auch die Zukunft eines anderen umstrittenen Energieprojekts. Die Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk plant, in dem bislang Atomstrom-freien Land zwei Kernkraftwerke zu bauen. Obwohl mittlerweile klar ist, dass angesichts von Baukosten im zweistelligen Milliardenbereich die Atomkraft viel zu teuer sein würde, hält Tusk an dem Plan fest.
"Die Regierung weiß aber noch nicht, wer dafür bezahlen soll", sagt Energie-Experte Andrzej Ancygier von der Hertie School of Governance in Berlin. Er verweist darauf, dass immer mehr Parteien sich von dem Projekt distanzieren. Auch die Standortfrage wird stets verschoben, ebenso der Baubeginn.
Aus Fehlern der anderen lernen
Trotzdem denkt Warschau nicht an eine "Energiewende". Regierungschef Tusk warnte jüngst sogar vor "zu viel Förderung von erneuerbaren Energien". Seiner Meinung nach bremse das die Wirtschaft.
Dementsprechend stammen in Polen nicht mehr als 15 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen. Nach Meinung des Energie-Experten Ancygier fördere die polnische Regierung lieber die großen Konzerne, statt kleineren Energieunternehmen und Gemeinden mehr Chancen zu bieten.
Auf Angebote der Zusammenarbeit aus Deutschland im Bereich erneuerbarer Energien geht Polen nur so wenig wie möglich ein. Experten halten das für einen Fehler. Zwar sind die entsprechenden Investitionen erst einmal teuer, doch es ist eine Investition in die Zukunft mit vielen Vorteilen und Arbeitsplätzen. Dafür müsse das Land allerdings die Chancen erkennen, die damit zusammenhängen. Etwa für die Industrie.
Andrzej Ancygier erinnert dabei an das Beispiel Großbritanniens, das es als eines der windreichsten Länder der Welt nicht schaffte, eine eigene Windpark-Industrie aufzubauen und die Teile bis heute aus dem Ausland importiert. "Deutsche und Chinesen verdienen sich eine goldene Nase daran", so Ancygier.
Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Wellmann meint, dass Polen den Zug in die neuen Technologien verpassen könne. "Wäre ich ein junger Ingenieur, würde ich dahin gehen, wo die Zukunftsmusik spielt. Und das sind Themen wie Elektromobilität und Speichertechnik - diese Industrie lässt sich heute von erneuerbaren Energien nicht mehr trennen".