Energiesparen im Geschäft: Tür zu, Licht aus
26. September 2022Die Energiekosten des Einzelhandels sind seit Beginn des Jahres um 150 Prozent gestiegen. In einer Umfrage des Handelsverbands Deutschland (HDE) sieht jedes zweite Unternehmen seine Existenz bedroht..
Der Einzelhandel setzt nun auf Energiesparmaßnahmen, um durch den Winter zu kommen. So werden zum Beispiel die Geschäfte weniger geheizt. "Jedes Grad weniger kann den Energieverbrauch um bis zu sechs Prozent senken", sagt Patrick Schütz vom Handelsverband Deutschland. Die ersten Supermärkte überlegen sogar, ihre Öffnungszeiten zu verkürzen.
Freiwillige Maßnahmen sind das eine. Die Bundesregierung setzt aber auch auf Zwang. Sie hat eine Verordnung erlassen, die seit dem 1. September in Kraft ist: Die Verkaufsräume der Geschäfte dürfen nur noch auf maximal 19 Grad geheizt werden. Beleuchtete Außenreklame muss von 22 Uhr bis 6 Uhr abgeschaltet werden, und die Ladentüren dürfen nicht mehr dauerhaft offen stehen.
"Tür zu, Geschäft offen"
Gerade geschlossene Eingangstüren sieht Carina Peretzke vom Handelsverband Nordrhein-Westfalen sehr kritisch: "Wenn die Tür zu ist, kommen weniger Kunden rein." Psychologisch würden geschlossene Türen als Barriere wahrgenommen.
Um trotzdem die Leute in die Läden zu locken, hat die Klimaoffensive des HDE auf Initiative des Handelsverbands Nordrhein-Westfalen die Plakatkampagne "Tür zu, Geschäft offen" gestartet. Die bunten Plakate sollen darauf hinweisen, dass die Geschäfte trotz geschlossener Tür geöffnet sind. Bisher sei die Kampagne beim Handel sehr gut angekommen, sagt Patrick Schütz.
Auch die Kunden und Kundinnen zeigen zum großen Teil Verständnis für die Maßnahmen, da das Thema Energiesparen auch für sie privat immer wichtiger wird. Dies zeigt eine Umfrage der DW in der Bonner Innenstadt: "Fürs Energiesparen ist es richtig. Es macht die Innenstadt zwar schon etwas trauriger. Aber ich denke, da haben wir gar nicht die Wahl, groß nachzudenken", so eine Passantin.
Kaufkraft im "Allzeittief"
Das Grundproblem für den Handel liegt jedoch momentan woanders, glaubt Carina Peretzke, denn auch die Kaufkraft befinde sich nach über zwei Jahren Corona-Pandemie und steigenden Kosten momentan in einem "Allzeittief". Vor allem der stationäre Einzelhandel leide darunter: "Es gibt im Grunde keine Rücklagen mehr, die sind aufgebraucht. Jetzt haben wir höhere Kosten, und die Kunden haben diese Kosten ja auch, dadurch halten sie sich beim Einkaufen zurück."
Das wird auch deutlich, wenn man mit Leuten in der Bonner Innenstadt spricht. Viele achten jetzt eher darauf, was sie kaufen, und überlegen, ob sie es wirklich brauchen. Auch bei Lebensmitteln greifen die Menschen vermehrt zu Angeboten und neigen verstärkt dazu, im Discounter einkaufen zu gehen.
Beleuchtung und Sicherheit
Einen anderen wichtigen Aspekt sieht der Dortmunder Stadtentwickler Stefan Kruse: Die Innenstädte werden durch weniger Beleuchtung dunkler, gerade wo jetzt im Herbst die Tage kürzer werden. Dies sei auch eine Frage der Sicherheit.
Wenn man zum Beispiel nach einem Restaurantbesuch nach Hause gehe, "dann überlege ich es mir vielleicht beim nächsten Mal, ob ich durch diese dunklen Gassen gehe", so Kruse. Eine Angestellte eines Textilgeschäfts in der Nähe des Hauptbahnhofs teilt diese Einschätzung. "Da wird mir schon etwas mulmig", sagt die junge Frau.
Innenstadt neu denken
Seit Jahren geht die Zahl kleiner, inhabergeführter Geschäften in den Innenstädten zurück. Ein Trend, der sich schon durch die Corona-Lockdowns und die damit verbundenen Einnahmeeinbußen noch einmal verschärft hat, dürfte sich jetzt durch die Energiesparmaßnahmen fortsetzen.
Fast überall findet man in den Innenstädten deutscher Großstädte die gleichen Einkaufsketten. Dies macht die Innenstädte für Stefan Kruse "langweilig" und "austauschbar".
Doch nicht nur die kleinen Läden ziehen sich zurück. Große Ketten setzen seit der Pandemie vermehrt auf Onlinehandel. Daher werden auch immer mehr große Flächen frei. Für den Stadtentwickler ist klar, das Konzept Innenstadt muss auf lange Sicht anders gedacht werden. Gerade wenn große Kaufhausketten ihre Standorte räumen, entstehen riesige Leerräume, aus denen nach Meinung von Kruse Multifunktionsflächen geschaffen werden sollten.
Räume, in denen Handel, Bildung, Gastronomie und Kultur zusammenrücken. Doch solche Pläne sind nicht von heute auf morgen umzusetzen, und gerade in den derzeitigen Situationen fehlt an vielen Stellen das Geld für solche Projekte.
Ein älterer Herr, der am frühen Abend mit seiner Frau durch die Bonner Friedrichstraße flaniert, zeigt sich trotz allem vorsichtig hoffnungsvoll: "Ich denke, der Mensch hat auch die Fähigkeit, kreativ mit solchen nicht so schönen Sachen umzugehen. Wir lassen uns davon nicht unterkriegen."