Stromriesen kämpfen ums Überleben
19. August 2013Noch vor zweieinhalb Jahren war die Welt für Deutschlands Stromkonzerne in Ordnung. Die "großen Vier" - E.on, RWE, Vattenfall und EnBW - kontrollierten 80 Prozent der Stromproduktion. So groß war die Macht der Stromriesen, dass der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, lautstark seine Befürchtungen äußerte, dass die Energiekonzerne den Strompreis durch gezielte Verknappung von Kraftwerkskapazitäten spürbar nach oben treiben könnten.
Doch das ist Vergangenheit. Heute müssen E.on, RWE und Co. darum bangen, ob sie den Strom ihrer Kohle- und Gaskraftwerke überhaupt noch verkaufen können. Durch den Boom von Wind- und Solarstrom, der vorrangig ins Netz eingespeist wird, ist der Markt für konventionellen Strom drastisch geschrumpft. Vor allem Gaskraftwerke stehen immer länger still. Parallel dazu sanken die Preise an den Strombörsen. Eine Megawattstunde zur Lieferung 2014 kostet derzeit nicht viel mehr als 36 Euro. Das sind 40 Prozent weniger als vor der Reaktorkatastrophe in Fukushima im Frühjahr 2011.
"Die größte Branchenkrise seit Jahrzehnten"
Für die Energiekonzerne ist das ein Albtraum. "Wir erleben die größte Branchenkrise seit vielen Jahrzehnten", klagte in dieser Woche RWE-Finanzvorstand Bernhard Günther. RWE habe im ersten Halbjahr 2013 im Bereich der konventionellen Stromerzeugung fast zwei Drittel seines operativen Ergebnisses eingebüßt. "Viele unserer Kraftwerke schreiben inzwischen rote Zahlen", klagte er. Der Essener Konzern will deshalb in Deutschland und den Niederlanden Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 3100 Megawatt vom Netz nehmen. Das entspricht beinahe der Leistung von drei großen Kernkraftwerken.
Auch Rivale E.on prüft die Stilllegung unrentabler Anlagen. Konzernchef Johannes Teyssen beklagte sich bei der Präsentation der Quartalszahlen ebenfalls in dieser Woche lautstark über die niedrigsten Großhandelspreise für Strom seit 2005 und warnte in einem Brief an die Aktionäre, "dass zumindest für dieses und auch das kommende Jahr eine Erholung nicht in Sicht ist".
"Das Leiden ist echt"
Doch sind die Klagen der Konzerne überhaupt ernst zu nehmen? Oder ist es mehr Theaterdonner, der rechtzeitig vor der Bundestagswahl das richtige Klima für Einschnitte bei der Förderung von Wind- und Sonnenstrom schaffen soll? Thomas Deser, Portfoliomanager beim Fonds-Anbieter Union Investment, hat keinen Zweifel: "Das Leiden der Energiekonzerne ist echt." Wie ernst die Lage sei, zeige sich auch daran, dass die Unternehmen fast zehn Prozent der Belegschaft entlassen müssten und dass RWE gezwungen sei, Firmenteile wie RWE DEA zu verkaufen, die zu behalten strategisch Sinn machen würde, so Deser gegenüber der DW. "Das ist ein ganz harter Kampf gegen den Abstieg." Auch der Professor für Energiewirtschaft an der Universität Duisburg-Essen, Christoph Weber, ist überzeugt, dass für die Energieversorger mit den aktuellen Preisen "kein Geld zu verdienen ist".
Dabei ist schon jetzt absehbar, dass sich die Situation für die Unternehmen noch weiter zuspitzen wird. Denn die Stromkonzerne verkaufen ihre Produktion zum größten Teil Jahre im Voraus. Im Augenblick profitieren sie dadurch noch von den höheren Preisen der Vergangenheit. "Doch dieser Vorteil wird von Jahr zu Jahr abschmelzen. Die Krise trifft uns über kurz oder lang mit voller Wucht. Nun müssen wir mit aller Kraft gegensteuern", schrieb RWE-Chef Peter Terium in dieser Woche in einem Aktionärsbrief.
Kein Kapazitätsdefizit in Deutschland
Mitten in der Energiewende und ungeachtet aller Diskussionen über einen möglichen Blackout im deutschen Stromnetz planen die Stromriesen deshalb nun die Stilllegung unrentabler Kraftwerke. Aber was vor zweieinhalb Jahren noch den Strompreis hätte nach oben treiben können, ist heute kein Zeichen der Macht mehr, sondern eher ein Signal der Schwäche.
"Wir haben entgegen dem, was häufig befürchtet wurde, kein Kapazitätsdefizit in Deutschland, sondern wir haben Überkapazitäten", dämpft etwa Christoph Weber entsprechende Befürchtungen. Über Kraftwerksstillegungen nachzudenken, sei da schlicht naheliegend. Lediglich in einzelnen Regionen - vor allem in Süddeutschland - könne es Engpässe geben, meint Weber. Doch hat die Bundesnetzagentur, die zusammen mit den Netzbetreibern Kraftwerksstillegungen genehmigen muss, bereits signalisiert, dass sie dort wohl kein grünes Licht für die Abschaltung weiterer Kraftwerke geben werde.
Einige Beobachter, darunter der Energieexperte des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Holger Krawinkel, sehen E.on, RWE und Co angesichts des Booms dezentraler, erneuerbarer Energien am Ende ihres Weges angelangt. "Die Zeit der großen Stromkonzerne ist einfach vorbei", meint Krawinkel. Er hält wenig von den Klagen der Konzerne: "Die verhalten sich wie Dampflok-Fabrikanten, die vorm Auto warnen."
E.on zeigt Mut zum Risiko
Die Konzerne sehen ihre Zukunftschancen naturgemäß anders. Allerdings setzten E.on und RWE auf völlig unterschiedliche Strategien, um die Herausforderungen der Energiewende zu bewältigen. E.on hat dabei den riskanteren Weg eingeschlagen. Der Konzern engagiert sich in den Wachstumsmärkten Brasilien, Russland und Türkei. Das verspricht im Erfolgsfall höhere Wachstumschancen, steigert aber auch die Unwägbarkeiten. Das musste der Konzern erst kürzlich erfahren, als sein brasilianischer Partner, der Milliardär Eike Batista, plötzlich in finanzielle Turbulenzen geriet. RWE konzentriert sich dagegen auf Deutschland und die angrenzenden Länder. Das soll die Risiken verringern und eine zwar niedrigere, aber besser kalkulierbare Rendite sichern.
Welcher Plan am Ende besser funktioniert, wird erst die Zukunft zeigen. Fondsmanager Deser glaubt: "Beide Strategien haben ihre Berechtigung und können mit dem notwendigen Quentchen Glück erfolgreich sein."