Erleichterung für Italien und Spanien
29. Juni 2012"Es war eine italienische Nacht." So fasste ein Gipfel-Beobachter die Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs der EU zusammen, die sich in Brüssel bis in den frühen Morgen hinzogen. "Erst hat Italien den Einzug ins Finale der Fußball-EM geschafft und dann hat Mario Monti seine Vorstellungen gegen Bundeskanzlerin Merkel durchgesetzt", sagte ein EU-Diplomat. Der italienische Ministerpräsident hat zusammen mit seinem spanischen Kollegen Mariano Rajoy erreicht, dass italienische und spanische Staatsanleihen aus gemeinschaftlichen Mitteln aus dem Rettungsfonds der Eurozone gekauft werden können. Als Gegenleistung für diese kurzfristigen Hilfen müssen keine zusätzlichen Sparprogramme beschlossen werden. Mario Monti erhofft sich so, die ständig steigenden Zinssätze für italienische und spanische Staatsanleihen drücken zu können. "Ein Kontrolle durch die Troika findet nicht statt", freute sich Monti. Das sei nach den Verfahrensregeln der Euro-Zone eh nicht vorgesehen, schränkte Bundeskanzlerin Angela Merkel ein.
Merkel: Keine Leistung ohne Gegenleistung
Die Troika - das sind die Finanzkontrolleure von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds - prüft in Griechenland, Irland und Portugal regelmäßig, ob Auflagen eingehalten werden. Italien und Spanien wollen sich der Troika nicht unterordnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte es immer abgelehnt, direkte Ankäufe von Staatsanleihen ohne strenge Kontrollen zuzulassen. Sie beharrte nach der langen Nacht darauf, dass die Troika auch Italien und Spanien kontrollieren wird, und zwar auf der Grundlage einer Beurteilung der Haushaltslage durch die EU-Kommission.
"Mit dessen Inhalt wird ein Memorandum of understanding festgelegt, in dem ein Zeiablaufplan festgemacht wird. Und die Troika überwacht dann, so wie es in EFSF und ESM immer üblich ist, die Erfüllung dieser Auflagen", sagte Merkel. Die Vertreter der Institutionen würden aber dazu nicht in das Empfängerland reisen, so die Kanzlerin weiter.
Sie schloss daraus, dass Deutschland als größter Mittelgeber für die Rettungsfonds nicht nachgegeben habe. "Insofern bleiben wir also vollkommen in unserem bisherigen Schema: Leistung, Gegenleistung, Konditionalität und Kontrolle. Insofern, glaube ich, haben wir etwas Wichtiges getan, aber sind unserer Philosophie "Keine Leitstung ohne Gegenleistung" auch treu geblieben." Merkel sagte weiter, sie habe "gedrückt", um einen Kompromiss zu finden.
Mehr Kontrolle in der Zukunft
Mario Monti, der italienische Ministerpräsident, und sein spanischer Kollege Mariano Rajoy hatten kurzfristige Hilfen verlangt und werden diese nach Einschätzung der Analysten wohl auch erhalten. Die Börsen in Italien verzeichneten am Freitag starke Kursanstiege. Als Gegenleistung willigten die südlichen Euro-Länder ein, im Rahmen einer noch zu schaffenden Wirtschafts- und Fiskalunion irgendwann mehr Souveränität an die EU zu übertragen, sich also in ihre Staatshaushalte und die Schuldenaufnahme hineinreden zu lassen.
Das gleiche Prinzip gilt auch für die so genannte Banken-Union, die jetzt aus der Taufe gehoben werden sollen. Banken sollen gegen Auflagen direkt Kapitalhilfen aus den europäischen Rettungsfonds erhalten können. So vermeiden die Mitgliedsstaaten, dass sie sich für die Rettung von Banken selbst beim Rettungsfonds verschulden müssen. Besonders Spanien hatte auf diese neue Form der Bankenrettung gedrängt. Spaniens Banken brauchen rund 60 Milliarden Euro.
Rompuy sieht "Durchbruch"
Der Vorsitzende des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, sagte der Zusammenhang zwischen maroden Banken und überbordender Staatsverschuldung werde jetzt aufgebrochen: "Wir haben etwas Neues beschlossen, und das ist ein Durchbruch. Banken können Kapital direkt erhalten, wenn sie Bedingungen einhalten, und zwar nachdem wir eine zentrale Bankenaufsicht geschaffen haben."
Die zentrale Bankenaufsicht, auf die besonders Deutschland Wert legt, soll aber erst Ende 2012 arbeitsfähig sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel beharrte auf dem Prinzip, dass es Geld erst gegen Kontrolle geben könne. Die Einzelheiten dieses komplizierten Verfahrens müssen jetzt die Finanzminister der Euro-Zone erarbeiten. Für spanische Banken wurde eine Sonderlösung gefunden. Sie erhalten schon in wenigen Wochen die benötigten Mittel in Höhe von 60 Milliarden, falls entsprechende Anträge gestellt werden.
Vergemeinschaftung von Schulden
Die Haftung sowohl für die Banken-Rekapitalisierung als auch für die Stützungskäufe für italienische und spanische Staatsanleihen übernehmen die Rettungsfonds der Euro-Zone. Damit werden die Schulden indirekt doch auf die Gemeinschaft aller Euro-Staaten übertragen. Diese Instrumente zur Vergemeinschaftung von Schulden wollte Angela Merkel eigentlich nicht anwenden. "Schließlich musste sie dem Druck nachgeben", sagten EU-Diplomaten in Brüssel.
Der französische Präsident Francois Hollande, der sich für gemeinschaftliche Schulden ausspricht, sieht den Kompromiss von Brüssel positiv. Alle Seiten hätten sich bewegt.
"Wir wollen eine Bankenaufsicht haben. Das wird noch eine Weile dauern, aber es wird ein dauerhaftes gutes Ziel sein", sagte Hollande. "Schließlich haben wir eine Vision für eine Wirtschafts- Währungsunion entwickelt. Das heißt wir arbeiten zusammen. Bei jedem Schritt der Integration wird es zusätzliche Solidarität geben. Die Bankenunion ist der erste sichtbare Schritt."
Die Vision für eine verstärkte Zusammenarbeit, die nach dem Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel in eine politische Union enden soll, ist in den Gipfelpapieren noch recht schwammig formuliert. Bis Oktober soll ein konkreter Entwurf vorliegen. Im Dezember sollen Entscheidungen fallen. Bis zur Verwirklichung der politischen Union werden noch zehn Jahre vergehen, schätzt der Vorsitzende des Europäischen Rates, Herman van Rompuy.