EZB: Ende der Geheimniskrämerei?
26. September 2012Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, erwägt nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung offenbar, die geheimen Protokolle der Ratssitzungen öffentlich zu machen. Bei anderen Zentralbanken wie der Fed in den USA oder der Bank of England ist das längst der Fall, sie veröffentlichen die Dokumente einige Wochen nach den Sitzungen. Die EZB hält die Papiere dagegen unter Verschluss - 30 Jahre lang.
Das liegt an der besonderen Natur der EZB. "Die Diskussionen sind in der EZB sicher schwieriger, weil dort auch unterschiedliche nationale Interessen zur Sprache kommen", sagt Thomas Hartmann-Wendels, Direktor des Instituts für Bankwirtschaft an der Universität Köln. "Das ist in einer Zentralbank, die nur einen Staat vertritt, nicht in dem Maße der Fall."
Schutz vor dem Pranger
Bei der Gründung der EZB 1998 wurde daher beschlossen, die Protokolle der Ratssitzung 30 Jahre geheim zu halten. Das sollte gewährleisten, dass die Ratsmitglieder nicht als Interessenvertreter von Nationalstaaten, sondern als neutrale Europäer um das richtige Zinsniveau streiten konnten. Die lange Verschlusszeit der Protokolle war zu ihrem Schutz gedacht, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "So wollte man sicherstellen, dass die Vertreter der einzelnen nationalen Zentralbanken nicht zu Hause von ihrem eigenen Publikum an den Pranger gestellt werden, wenn sie sich für Dinge entschieden haben, die im europäischen Interesse richtig sind, aber vielleicht ihrem eigenen Land gegen den Strich gehen."
Dieses Argument ist laut Krämer heute nicht mehr haltbar. Die Zentralbank habe sich gewandelt, und die Festlegung der Leitzinsen für den Euroraum sei nicht mehr ihre einzige Aufgabe. "Vielmehr finanziert sie mittlerweile de facto mit der Notenpresse teilweise die Staatsausgaben der Peripherieländer", sagt der Chefvolkswirt der Commerzbank. "Deshalb vertreten die nationalen Notenbanken im EZB-Rat zunehmend auch ihre nationalen Interessen. Aber wenn das so ist, dann hat die Öffentlichkeit auch ein Anrecht darauf zu wissen, wer was vertritt und mit welchen Argumenten."
Schädlich für offene Diskussionen?
Der Kölner Wirtschaftsprofessor Hartmann-Wendels ist dagegen skeptisch. Er glaubt, dass eine Veröffentlichung der Protokolle schädlich wäre für kontroverse Diskussionen in der Zentralbank. Schließlich wolle niemand durch allzu deutliche Kritik die Finanzmärkte verunsichern. "Man wird also nicht mehr so offen und so frei diskutieren können, sondern man muss dann sehr vorsichtig argumentieren. Und ob das der Entscheidungsfindung dient, ist fraglich", so Hartmann-Wendels.
Der letzte große Streit im EZB-Rat ging um die Entscheidung, erneut Staatsanleihen überschuldeter Länder zu kaufen. EZB-Chef Draghi sagte nach der Sitzung nur, dass es eine Gegenstimme gab. Namen nannte er nicht, auch wenn klar war, dass Jens Weidmann, der Chef der Deutschen Bundesbank, mit Nein gestimmt hatte. Hartmann-Wendels sieht eine Veröffentlichung der Protokolle daher als Versuch, Weidmann einen Maulkorb anzulegen. "Ich denke, mit diesem Mittel will man ihn im Rat etwas zum Schweigen bringen oder zumindest dazu, seinen Widerstand weniger deutlich zu äußern."
Recht der Bürger auf Information
Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer hält das für abwegig. "Er [Jens Weidmann] wird ja nicht zum Schweigen gebracht. Ganz im Gegenteil: Jeder könnte in den Protokollen nachlesen, welche Zentralbank welche Position hat."
Krämer verweist darauf, dass die Bundesbank ihre Opposition gegen den Anleihenkauf nach der letzten Ratssitzung selbst mit einer Pressemeldung publik gemacht hat. "Das Stimmungsbild dringt ohnehin nach draußen. Die professionellen Beobachter der Zentralbank haben ein ganz gutes Gefühl dafür, welche Diskussionen dort stattfinden", so Krämer. "Aber es geht ja hier auch darum, die Bürger zu informieren. Deshalb halte ich es für eine gute Idee, dass die EZB offensichtlich erwägt, Sitzungsprotokolle öffentlich zu machen."
Offiziell hat sich die EZB noch nicht dazu geäußert, ob sie die Protokolle freigeben wird. Nach Angaben ihres Sprechers müsste eine solche Entscheidung vom Rat der Zentralbank getroffen werden, mit einfacher Mehrheit.