"Ich will bei der EM auf dem Platz stehen"
11. Mai 2016DW: Emre Can, seit zwei Jahren spielen sie in England, jetzt erhalten sie den Publikumspreis Deutscher Fußball Botschafter 2016. Wie fühlt sich das an, wenn man von Fans aus Deutschland und in aller Welt gewählt wird?
Emre Can: Es ist mir eine große Ehre, den Publikumspreis Deutscher Fußball Botschafter zu bekommen. Klar, ich arbeite jeden Tag hart dafür, gebe alles im Spiel und im Training, und auch außerhalb des Platzes. Deswegen kann ich nur Danke sagen.
"Eine große Ehre"
Den Preis haben vor Ihnen Sami Khedira, André Schürrle und Mesut Özil gewonnen. Wie ist es in einer solchen Reihe zu stehen?
Es ist mir eine große Ehre, und es macht mich auch stolz, diesen Preis zu bekommen. Große Fußballer mit großen Namen haben diesen Preis schon bekommen und jetzt dazuzukommen, ist schon etwas Schönes.
Beim Deutschen Fußball Botschafter geht es darum, mit Fußball die Welt ein bisschen besser zu machen und seine Möglichkeiten als Profi oder Trainer aus Deutschland in der Welt einzusetzen. Welche Initiative oder welches Projekt liegt Ihnen besonders am Herzen?
Ich habe das selber noch nicht so erfahren, aber wenn man sieht, wie viele Menschen auf der ganzen Welt Fußball angucken und wie viele Menschen der Fußball zusammenbringt, das ist schon etwas Schönes. Da gibt es keine verschiedenen Kulturen und keinen Rassismus und keine Religion - da ist dann einfach nur Fußball. Das ist sehr, sehr schön. Am liebsten unterstütze ich Projekte, bei denen es um benachteiligte Jugendliche und Menschen mit Handicaps geht.
"Die ganze Stadt lebt einfach für den Verein"
Sie sind seit knapp zwei Jahren Profi in England. Was ist hier in Liverpool so ganz anders als in Deutschland?
Die haben hier einfach eine andere Mentalität. Ich erlebe das jeden Tag, wenn ich beispielsweise in ein Taxi einsteige, dann weiß der Taxifahrer Bescheid, was im Verein los ist. Die ganze Stadt lebt einfach für den Verein, und es ist mir eine große Ehre, bei diesem Klub Fußball spielen zu dürfen, weil ich glaube, dass nicht jeder dieses Glück hat. Es macht mir einfach einen Riesenspaß.
Was ist in der Premier League anders als in der Bundesliga?
Hier geht es in der Liga ab und zu härter zu und der Schiedsrichter lässt mehr durchgehen. Der Fußball ist hier schneller.
Die Rivalität zwischen dem deutschen und englischen Fußball ist legendär. Was sagen Menschen, wenn sie erfahren dass sie aus Deutschland kommen?
Die deutschen Spieler haben einen sehr, sehr hohen Stellenwert in England. Ich glaube, das ist in Deutschland ein bisschen anderes gegenüber den Engländern. Aber hier reden sie sehr oft über die deutsche Mentalität und ich glaube, die habe ich verinnerlicht.
Wenn man von außen drauf schaut, wirkt es, als hätte sich ganz England in Ihren Trainer Jürgen Klopp verliebt. Wie nehmen Sie das wahr? Was sagen die Menschen hier über ihn?
Ja, den Eindruck habe ich auch, dass sich alle Leute in ihn verliebt haben. Er ist einfach ein super Trainer, der viel Ahnung von Fußball hat. Aber auch außerhalb des Platzes ist er ein sehr bodenständiger Mensch, der - jeder weiß es - sehr emotional ist. Und er ist einfach sehr ehrlich, und das mögen die Fans hier.
"Klopp sagte mir, dass ich noch kein Leader bin"
Wie war Ihre erste Begegnung mit Jürgen Klopp? Was hat er zu Ihnen gesagt? Wie hat er Sie angespornt?
Er war ganz normal wie zu jedem Spieler, aber er hat zu mir einen Satz gesagt, der mich ein bisschen nachdenklich gemacht hat. Er hat beim ersten Mal, als wir uns getroffen haben, gesagt: 'Viele denken, dass du ein Leader bist, aber das bist du noch lange nicht, aber das schaffen wir, Emre.' Und so sehe ich das auch.
Ist es leicht, Kritik von ihm einzustecken?
Auf jeden Fall! Er ist ein sehr ehrlicher Typ. Was er mir beim ersten Treffen gesagt hat, war die Wahrheit. Aber ich weiß, dass ich mich, seit der der Trainer da ist, weiterentwickle. Unser Verhältnis ist sehr, sehr gut. Auch bei Klopps Vorgänger Brendan Rodgers habe ich auch auf der anderen Position [Anm.d.Red.: als Rechtsverteidiger] Erfahrungen sammeln dürfen, die sehr hilfreich waren.
"Die Zeit beim FC Bayern hat mich weit gebracht"
Schon mit 15 Jahren sind sie von Eintracht Frankfurt zum FC Bayern München gegangen, um Profi zu werden. Was haben Sie durch den Fußball fürs Leben gelernt, das Sie jungen Spielern gerne mitgeben würden?
Man muss immer an sich glauben! Ich glaube, das ist das Wichtigste. Und man muss immer Gas geben, egal in welcher Trainingseinheit oder in welchem Spiel. Damals war es so: Ich bin mit 14 oder 15 Jahren ins Internat des FC Bayern gezogen. Das hat mich sehr weitergebracht. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb. Ich musste sehr schnell selbstständig werden, musste sehr schnell erwachsen werden. Für dein Leben bringt dich das weiter.
Sie waren mit 17 Jahren Kapitän der deutschen U17, spielten mit 18 beim FC Bayern. Sie wollen auf dem Platz immer den Ton angeben. Woher kommt das?
Ich bin einfach so ein Typ. Ich glaube aber, dass ich außerhalb des Platzes ein anderer bin als auf dem Platz. Auf dem Platz bin ich ein bisschen lauter und außerhalb des Platzes ein bisschen ruhiger. Ich bin nicht der Ruhigste, aber auch nicht der Ausgeflippteste. Ich bin halt einfach so.
"Zidane ist mein Vorbild"
Wer war ihr Vorbild als Kind?
Zinedine Zidane. Es hat einfach Spaß gemacht, ihm zuzusehen. Wenn man ihn Fußballspielen sah, bekam man ein Lächeln ins Gesicht. Wenn man sah, wie er den Ball gestreichelt hat. Er war ein großartiger Fußballer.
In einem Interview haben Sie gesagt, man könne immer noch mehr dazulernen. Was ist dies "mehr"? Will man nur als Fußballer besser werden? Hat man überhaupt Zeit, darüber nachzudenken, was man abgesehen vom Fußball noch machen will?
Ich spreche jetzt drei verschiedene Sprachen - Türkisch, Englisch und Deutsch - aber ich würde gerne noch eine weitere Sprache dazulernen. Ich glaube, es ist immer wichtig, auch außerhalb des Platzes etwas zu machen und nicht nur zu faulenzen und zu Hause rumzusitzen.
Nächsten Monat werden Sie, wenn es nach Ihnen geht, wenig Zeit haben, zu Hause rumzusitzen. Wir haben ein EM-Turnier vor der Nase. Welche Rolle wollen Sie dabei spielen?
Ich möchte zur EM. Und ich will dort auch spielen. Es ist nicht mein Ziel, zur EM zu fahren und zu sagen: 'Ok ich sitze auf der Bank.' Mein Ziel ist es, auf dem Platz zu stehen, wobei ich immer die Entscheidung des Trainers respektiere.
"Jetzt wollen wir die Europa League gewinnen"
Vorher steht aber mit dem FC Liverpool noch das Finale in der Europa League gegen den FC Sevilla an. Wie sehr freuen Sie sich auf das Finale?
Die Freude ist groß. Wenn man sieht, wo wir in der Europa League schon gespielt haben: in Russland und vielen anderen Ländern. Unser großes Ziel war es immer, in Basel im Finale zu stehen und das haben wir erreicht. Wenn man sieht, was wir in dieser Europacup-Saison schon für Spiele erlebt haben, gegen Dortmund zum Beispiel. Da haben wir sehr viel Leistung abgerufen und haben alles gegeben. Ich glaube, das Finale haben wir uns wirklich verdient. Und jetzt wollen wir dort auf jeden Fall gewinnen.
Emre Can, geboren im Januar 1994 in Frankfurt am Main, wurde in den Jugendabteilungen von Eintracht Frankfurt und Bayern München als Fußballer ausgebildet. 2012 erhielt er einen Profivertrag bei den Bayern. Mit 17 wurde er als bester deutscher Spieler seines Jahrgangs mit der Fritz-Walter-Medaille ausgezeichnet Sein Pflichtspieldebüt feierte Can im DFL-Supercup gegen Borussia Dortmund. Um mehr Spielzeit zu bekommen, ging Can 2013 zu Bayer 04 Leverkusen. Auch dort zog es ihn nach nur einer Saison wieder weg. Can nahm das Angebot des FC Liverpool an und spielt seitdem in der Premier League. Im DFB-Trikot durchlief Can, der aufgrund seiner türkischen Wurzeln auch für die Türkei hätte spielen dürfen, alle Nachwuchsteams ab der U15. Für die deutsche A-Mannschaft debütierte er im September 2015 im EM-Qualifikationsspiel gegen Polen. Can hat bislang fünf Länderspiele bestritten.
Das Interview führte Matthias Frickel.