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Katars Emir sieht "beispiellose Kampagne"

Jonathan Crane
25. Oktober 2022

Der Emir von Katar wehrt sich gegen die Kritik am Gastgeberland der Fußball-WM 2022 und spricht von "Erfundenem und Doppelmoral". Human Rights Watch sieht in Katar Willkür und Gewalt gegen die LGBTQ-Szene.

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Fußball Fan mit Regenbogenfahnen
Die Behandlung der LGBTQ-Gemeinschaft in Katar gibt weiterhin Anlass zur SorgeBild: Frank Hoermann/Sven Simon/IMAGO

Bei einer Fernsehansprache beklagte Scheich Tamim bin Hamad Al-Thani, dass noch kein Endrunden-Ausrichter derart heftig angegangen worden sei. "Seitdem wir die Ehre haben, die Weltmeisterschaft auszurichten, ist Katar einer beispiellosen Kampagne ausgesetzt, wie sie noch kein Gastgeberland jemals erlebt hat", sagte Al-Thani in der Hauptstadt Doha. "Wir haben Teile der Kritik zunächst in gutem Glauben sogar als positiv und nützlich erachtet, um Aspekte bei uns zu entwickeln, die entwickelt werden müssen", sagte der Emir: "Aber uns wurde bald klar, dass die Kampagne weitergeht, sich ausdehnt, Erfundenes und Doppelmoral einschließt - bis sie einen Grad an Heftigkeit erreichte, die leider viele Fragen über die wahren Gründe und Motive hinter dieser Kampagne aufwirft."

Bezug nahm er dabei wohl auch auf einen am Montag veröffentlichten Bericht von Human Rights Watch (HRW). Darin berichtet die Menschenrechtsorganisation über Willkür und Gewalt im Umgang mit der LGTBQ-Szene im Emirat. Man habe "sechs Fälle von schweren und wiederholten Schlägen und fünf Fälle von sexueller Belästigung in Polizeigewahrsam zwischen 2019 und 2022 dokumentiert", erklärte HRW. 

Scheich Tamim bin Hamad Al Thani  bei einem Besuch in Deutschland
Scheich Tamim bin Hamad Al Thani beklagt eine "beispiellose Kampagne" gegen KatarBild: Bernd Elmenthaler/IMAGO

Vier Transgender-Frauen, eine bisexuelle Frau und ein homosexueller Mann berichteten, wie Mitglieder der Abteilung für präventive Sicherheit des Innenministeriums sie in einem Gefängnis in Doha festgehalten und misshandelt hätten.

Detaillierte Schilderungen von Misshandlungen

Dort "belästigten sie die Gefangenen verbal und setzten sie körperlichen Misshandlungen aus, die von Ohrfeigen bis zu Tritten und Schlägen reichten, bis sie bluteten", so HRW. Eine bisexuelle Frau aus Katar berichtete, sie sei so lange geschlagen worden, bis sie "mehrmals das Bewusstsein verlor". Dem Bericht zufolge berichtete eine transsexuelle Frau aus Katar, wie sie einmal zwei Monate lang in einer unterirdischen Zelle festgehalten worden sei, ein anderes Mal sechs Wochen lang. "Sie schlugen mich jeden Tag und rasierten mir die Haare. Sie zwangen mich auch, mein Hemd auszuziehen und machten ein Foto von meinen Brüsten", sagte sie. Alle Inhaftierten wurden laut HRW gezwungen, ihre Telefone zu entsperren, um den Geräten Kontaktinformationen anderer LGBTQ-Personen zu entnehmen.

"Ich habe viele andere LGBTQ-Personen gesehen, die dort festgehalten wurden: zwei marokkanische Lesben, vier philippinische Homosexuelle und einen nepalesischen Schwulen", sagte die transsexuelle Frau. "Ich wurde drei Wochen lang ohne Anklage inhaftiert, und die Beamten haben mich wiederholt sexuell belästigt. Eine Bedingung für meine Freilassung war die Teilnahme an Sitzungen mit einem Psychologen, der mich 'wieder zu einem Mann' machen würde." Homosexuelle Handlungen sind in Katar verboten und können mit bis zu sieben Jahren Haft bestraft werden. 

Protestierende bei einer Pride-Parade in Amsterdam
Menschen in Amsterdam protestieren für Rechte der Mitglieder der LGBTQ-GemeinschaftBild: Peter Dejong/AP Photo/picture alliance

Gegenüber der DW erklärte ein Vertreter der katarischen Regierung, dass der Bericht "Behauptungen enthält, die kategorisch und eindeutig falsch sind". Es gebe keine "Bekehrungszentren", wohl aber eine Rehabilitationsklinik, die Menschen mit Verhaltensstörungen wie Drogenabhängigkeit, Essstörungen und Gemütskrankheiten unterstütze. Diese Klinik arbeite "nach den höchsten internationalen medizinischen Standards". "Katar duldet keine Diskriminierung. Unsere Politik und unsere Verfahren werden durch die Verpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte für alle untermauert", fügte der Beamte hinzu. "Von den Behauptungen haben wir zum ersten Mal erfahren, als sie bereits in den Medien auftauchten. Hätte sich HRW zuerst an uns gewandt, hätten wir diese widerlegen können." Der Golfstaat stand schon mehrfach unter anderem wegen seines Umgangs mit queeren Menschen in der Kritik.

Die Welt schaut zu

"Während Katar sich auf die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft vorbereitet, verhaften und misshandeln Sicherheitskräfte LGBTQ-Personen, einfach weil sie so sind, wie sie sind. Offenbar gehen sie davon aus, dass die Übergriffe nicht kontrolliert und nicht gemeldet werden", sagte HRW-Mitarbeiterin Rasha Younes, die sich auf LGBTQ-Rechte spezialisiert hat. "Die Welt schaut zu."

Nasser Mohamed ist ein offen homosexueller Aktivist. Vor einiger Zeit beantragte er in den Vereinigten Staaten politisches Asyl, aus Angst in seiner Heimat wegen seiner Sexualität verfolgt zu werden. Er stellte den Kontakt zwischen den Opfern und HRW her. 

Fußball-Fans mit Deutschlandfahnen halten Schilder mit einer Botschaft zu den Menschenrechten in Katar hoch
Viele Fußballfans sind besorgt über die LGBTQ-Rechte in KatarBild: Nick Potts/PA Wire/dpa

"LGBTQ-Menschen werden jetzt quasi in eine 'Blase' gebracht, die darauf trainiert ist, Schwule zu beschimpfen und deren Anwesenheit als Angriff wahrzunehmen", sagte Mohamed Anfang Oktober der "Press Association": "Ich glaube nicht, dass es Leute geben wird, die sie beschützen, sollten sie angegriffen werden."

"Alle Fans sind willkommen"

Die Organisatoren der Fußball-WM haben mehrfach betont, dass alle Fans in Katar willkommen seien, unabhängig von ihrer Sexualität. Auch seien Regenbogen-Flaggen bei dem Turnier erlaubt. Aber ist dem wirklich so? Ein WM-Sicherheitsbeamter hatte Anfang des Jahres gegenüber "Associated Press" erklärt, Regenbogenfahnen könnten "zur eigenen Sicherheit" der Fans konfisziert werden. Bei einem Besuch in Deutschland im Mai stellte der katarische Emir Al-Thani außerdem deutlich klar, dass er "erwarte, dass die Menschen unsere Kultur respektieren". Eben solche Kommentare führen dazu, dass viele LGBTQ-Fans dem Turnier fernbleiben werden.

HRW-Mitarbeiterin Younes sagte der DW, sie halte es zwar für unwahrscheinlich, dass die katarischen Behörden während der WM LGBTQ-Fans verhaften werde. Dennoch habe sie große Bedenken. "Die Dokumente von Human Rights Watch zeigen, dass die Sicherheitskräfte Menschenrechtsverletzungen begehen können, auch gegen LGBTQ-Personen, ohne dafür belangt zu werden", so Younes. "In Kombination mit dem repressiven Klima in Katar in Bezug auf die freie Meinungsäußerung gibt diese Straffreiheit Anlass zur Sorge um die Sicherheit von LGBTQ-Personen."

Der Weltfußballverband FIFA reagierte zunächst nicht auf die Bitte der DW um eine Stellungnahme und ging auch nicht direkt auf die Anschuldigungen von HRW ein. Nach der Veröffentlichung schrieb die Organisation in einer Erklärung, dass Katar sich der Menschenrechtsanforderungen der FIFA voll bewusst sei und sich verpflichte, "sicherzustellen, dass jeder das Turnier in einer sicheren und einladenden Umgebung genießen kann (...), einschließlich der Mitglieder der LGBTIQ+-Gemeinschaft".