1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EM-Aus gegen Spanien: Toni Kroos spielt seinen letzten Pass

Thomas Klein aus Stuttgart
5. Juli 2024

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft verliert gegen Spanien im Viertelfinale der EM 2024. Für Toni Kroos ist es das letzte Spiel seiner beeindruckenden Karriere, die ein emotionales Ende findet.

https://p.dw.com/p/4hrBT
Toni Kroos schaut nach dem EM-Aus mit enttäuschter Miene auf die Ränge des Stuttgarter Stadions
Bitteres Ende einer großartigen Karriere: Toni Kroos nach dem EM-Aus gegen Spanien Bild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

Sein 83. gespielter Pass im Viertelfinale zwischen Deutschland und Spanien war die letzte Aktion von Toni Kroos an diesem Abend in Stuttgart - und auch die letzte seiner aktiven Fußball-Profikarriere. Das DFB-Team hatte gerade gegen Spanien nach Verlängerung knapp mit 1:2 (0:0, 1:1) verloren und war damit aus der Heim-EM ausgeschieden. Kroos' Blick senkte sich nach dem Schlusspfiff auf den Rasen, dann ließ er seine Augen durch die Arena in Stuttgart schweifen.

Er empfinde eine "gewisse Leere und eine große Enttäuschung", sagte Kroos den wartenden Journalisten. "Es ist weniger wegen meines Karriereendes, sondern in erster Linie, weil der Traum dieser Mannschaft geplatzt ist." Der Mittelfeldspieler hatte bereits vor der Europameisterschaft seine Laufbahn auf Vereinsebene beendet, jetzt ist auch in der Nationalmannschaft Schluss.

Kroos ein Vorbild für alle

Im Viertelfinalspiel gegen Spanien stand der Mittelfeldmann gleich von Beginn an im Fokus. Allerdings nicht wegen der für ihn typischen genauen Pässe. In den ersten Minuten kam Kroos erst gegen Pedri zu spät und holte ihn von den Beinen. Kurz danach stieg er Nico Williams auf den Fuß. Beide Aktionen des deutschen Mittelfeldlenkers hätten durchaus mit Gelben Karten bestraft werden können. Es ging ordentlich zur Sache, beide Teams schenkten sich nichts. Nach einiger Zeit beruhigte sich das Spiel, und auch Kroos wurde etwas ruhiger. Mit lauten "Toni, Toni"-Rufen feuerten die Zuschauer im Stuttgarter Stadion den 34-Jährigen bei jedem ruhenden Ball an.

Florian Wirtz bejubelt mit herausgestreckter Zunge seinen Treffer zum 1:1 gegen Spanien
Florian Wirtz traf zum zwischenzeitlichen Ausgleich gegen SpanienBild: Kai Pfaffenbach/REUTERS

Deutschland erspielte sich im weiteren Verlauf immer mehr Vorteile, doch das erste Tor (52. Minute) machte Dani Olmo für die Spanier. In den letzten Minuten der regulären Spielzeit warf das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann noch einmal alles nach vorne - und belohnte sich: Joshua Kimmich legte mit einem Kopfball für Florian Wirtz auf, und der traf zum 1:1 (89.).

Was dann folgte, hatte es bei einem Spiel der Nationalmannschaft jahrelang nicht mehr gegeben. Das Stuttgarter Stadion eskalierte völlig, die deutsche Bank stürmte auf den Platz. Alle ließen ihrer Freude freien Lauf. Als sich wohl jede und jeder bereits auf ein Elfmeterschießen eingestellt hatten, sorgte der Spanier Mikel Merino mit seinem Kopfball-Tor (119.) für die Entscheidung - und für das endgültige Ende der großartigen Karriere Kroos'. 

"Keiner war so erfolgreich", lobte Joshua Kimmich nach dem Spiel seinen Mitspieler. "Unabhängig von all seinen Erfolgen ist es beachtlich, was er für ein Typ und Mensch ist. Er ist ein Vorbild für uns alle in der Kabine."

Deutschlands erfolgreichster Spieler

Die Karriere von Kroos ist mehr als beeindruckend. Allein in der Bundesliga, der spanischen "La Liga" und der Champions League stand der Mittelfeldspieler insgesamt 630 Mal auf dem Platz, dazu kamen Pokaleinsätze - und 114 Spiele im deutschen Nationaltrikot. 

Toni Kroos mit Thomas Müller und anderen Mitspielern nach dem 2:1-Sieg gegen die Niederlande im März 2024
Toni Kroos (Mitte) war der Anführer der DFB-Elf und Vorbild für viele seiner MitspielerBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Der Weltmeister von 2014 zählte eher zu den ruhigen Spielern, er ließ lieber seine Leistungen auf dem Platz für sich sprechen. "Was sollen wir über Toni sagen? Fußballerisch brauchen wir nicht zu reden", sagte Antonio Rüdiger im DFB-Camp über den Spielmacher. "Er ist ein stiller Leader. Er ist keiner, der viel redet, aber auf dem Platz immer vorangeht." Kroos sei "einfach ein toller Typ" und ein "Vorbild für viele", sagte Bundestrainer Nagelsmann nach dem EM-Aus. "Wir hätten ihm gerne einen schöneren Abschied beschert, weil er es verdient hätte."

Uli Hoeneß: "Keinen Sinn, ihn zum Weltstar hochzujazzen"

Kroos auf dem Platz aus der Ruhe zu bringen, schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Wer ihn bei seinen Spielen beobachtete, wartete vergeblich darauf, dass  Kroos nervös wurde - egal welcher Gegenspieler gerade versuchte, ihn an einem Pass zu hindern. Das ist bemerkenswert, denn Kroos' Karriere hatte 2007 beim FC Bayern München mit einem lauten Knall begonnen.

"Lassen Sie den schön mal unten!", polterte der damalige Bayern-Boss Uli Hoeneß, nachdem Kroos bei seinem internationalen Debüt im damaligen UEFA-Pokal gegen Roter Stern Belgrad eine Glanzleistung gebracht hatte. "Toni ist im Moment noch 17 Jahre", so Hoeneß. "Da macht es keinen Sinn, ihn jetzt hier zum Weltstar hochzujazzen." Sieben Jahre, einen Champions-League-Triumph und den WM-Titel 2014 später, wechselte Kroos zum spanischen Renommierklub Real Madrid - auch weil sich sein Berater und der FC Bayern bei seinem Gehalt nicht einigen konnten.

Toni Kroos 2017 im Trikot von Real Madrid mit dem Champions-League-Pokal
Toni Kroos gewann sechs Champions-League-Titel, fünf davon mit Real Madrid (hier 2017)Bild: Alberto Lingria/Pressefoto ULMER/picture alliance

In Madrid wurde Kroos endgültig zum Weltklassespieler. Er gewann weitere fünf Mal die Königsklasse, wurde viermal spanischer Meister und 2018 zu Deutschlands "Fußballer des Jahres" gekürt. Selbst Uli Hoeneß fühlte sich vor einigen Jahren genötigt, seine Meinung über den einstigen Schützling zu revidieren: "Ein Verein muss manchmal harte Entscheidungen treffen - und das war eine. Vielleicht die falsche", räumte der frühere Bayern-Präsident ein. 

Rekord-Passquote bei EM-Eröffnungsspiel

Zuletzt zog Kroos auch wieder in der Nationalmannschaft die Fäden im Mittelfeld. Im Sommer 2021 war der Weltmeister zurückgetreten, doch Bundestrainer Julian Nagelsmann überzeugte Kroos zu einer Rückkehr ins DFB-Team. Und der "stille Leader" wurde innerhalb kürzester Zeit zum Dreh- und Angelpunkt im deutschen Spiel. Mit seinen Pässen dirigierte er das deutsche Spiel und gab seinen Mitspielern die Sicherheit, die lange Zeit gefehlt hatte.

Beim glanzvollen EM-Auftaktsieg gegen Schottland brachte Kroos 101 von 102 Pässen an den Mann. Es war die höchste Passquote, die seit 1980 ein Spieler mit mehr als 100 Pässen in einer EM-Partie erreicht hatte. In seinem letzten Profijahr bei Real Madrid hatte Kroos eine durchschnittliche Passquote von 95 Prozent.

Kroos: "Es wird viel um Kinder gehen"

Doch damit ist jetzt Schluss. Der letzte Pass ist gespielt. Tore, Titel und Passquoten - all das dürfte Kroos in Zukunft nicht mehr sonderlich interessieren. Mit 34 Jahren hängt er seine Fußballschuhe an den Nagel. Er habe keine Angst vor dem Karriere-Ende, hatte er bereits vor dem Viertelfinale gegen Spanien gesagt.

Toni Kroos applaudiert nach dem Spiel gegen Spanien den Fans
Toni Kroos hängt nach dem Spiel gegen Spanien seine Fußballschuhe an den NagelBild: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

"Es ist eine Entscheidung, die ich selbst getroffen habe. Es wird die Momente geben, wo ich den Fußball vermissen werde", erklärte Kroos. "Egal, was danach kommt oder welche Hobbys ich mir zulegen werde, es wird nichts geben, was ich so gut können werde wie Fußballspielen."

Dennoch wird der Fußball auch weiterhin eine große Rolle spielen. In Madrid will er eine Fußball-Akademie eröffnen. "Es wird viel um Kinder gehen", sagte Kroos - auch um seine eigenen drei Kinder. Die seien in den vergangenen Jahren häufig zu kurz gekommen.

Die Nationalmannschaft will er in Zukunft als Fan begleiten. Und Kroos ist sich sicher, dass dem DFB-Team eine positive Zukunft bevorsteht. In der Kabine verabschiedete sich der Ex-Weltmeister mit einer Rede von seinen Teamkollegen und bedankte sich für die schönen Wochen bei der Heim-EM. "Die Mannschaft glaubt an sich. Und ich hoffe, dass sie auch in Zukunft an sich glaubt, wenn ich dann zuschaue."

---------

Deutschland – Spanien 1:2 (1:1, 0:0) n.V.

Tore: 0:1 Olmo (52.). 1:1 Wirtz (89.), 1:2 Merino (119.)

Zuschauer in Stuttgart: 51.000 (ausverkauft)