Kipchoge toppt Marathon-Rekordzeit
12. Oktober 2019Als die Gruppe hochkarätiger Langstreckenläufer sich auf der langen, eben erst mit frischem Asphalt versehenen Wiener Hauptallee dem Ziel näherte, ließen sich diejenigen ein wenig zurückfallen, die ein schwarzes Trikot trugen. Der besondere Moment sollte dem Mann in Weiß gehören, er sollte die Ziellinie alleine überqueren. Mit einem Lächeln im Gesicht flog Eliud Kipchoge förmlich über die letzten der 42.195 Meter. Immer wieder zeigte er mit ausgestrecktem Finger in Richtung der begeisterten Zuschauer und in den Himmel.
Und als er mit 1:59,40 Stunden tatsächlich eine neue Rekordzeit über die Marathonstrecke aufgestellt hatte - als erster Mensch der Welt unterhalb der magischen Zwei-Stunden-Marke - schlug er sich auf die Brust und fiel seiner Frau in die Arme, die im Zielraum mit einer kenianischen Flagge auf ihn wartete.
"Ich bin der erste Mensch", sagte Kipchoge im Ziel, "aber ich möchte viele Menschen inspirieren und zeigen, dass kein Mensch begrenzt ist."
Rekord, aber kein offizieller Weltrekord
Der 34 Kenianer war zwar gerade den schnellsten Marathon aller Zeiten gelaufen, einen neuen offiziellen Weltrekord hatte er aber nicht aufgestellt. Der Grund: Die Rahmenbedingungen waren nicht so, wie in einem normalen Marathonlauf. Der Veranstalter und Sponsor des Rekordrennens, der britische Chemiekonzern Ineos, hatte dafür gesorgt, das alles für einen neuen Rekord perfektioniert worden waren. So wurde Kipchoge, der beim Berlin-Marathon 2018 mit 2:01,39 Stunden auch den regulären Marathon-Weltrekord aufstellte, von insgesamt 41 Tempomachern begleitet, die selbst allerdings nicht über die gesamte Distanz dabei waren, sondern regelmäßig ausgetauscht wurden. Zudem gab ein Auto das Tempo vor und spendete leichten Windschatten. Außerdem musste sich Kipchoge Essen und Verpflegung nicht an festen Stationen abholen, sondern bekam sie auf Verlangen laufend angereicht.
Auch Ort und Zeit waren genau berechnet und kalkuliert worden. Um Punkt 8.15 Uhr war Kipchoge, der Marathon-Olympiasieger von Rio, auf die flache Strecke im Prater, einer bekannten Grünanlage mit Vergnügungspark in Wien, gegangen. Aus meteorologischer Sicht war dies der ideale Zeitpunkt.
Sponsor Ineos schafft perfekten Rahmen
Zwei Jahre zuvor hatte es auf der Formel-1-Rennstrecke von Monza einen ähnlichen Versuch gegeben. Damals war der Kenianer 25 Sekunden zu langsam gewesen. "Ich kann sagen, dass ich müde bin. Es war ein harter Lauf", sagte der 34-Jährige nachdem es nun geklappt hatte und erinnerte daran, dass es keine reine Einzelleistung war: "Denkt daran, die Tempomacher gehören zu den besten Athleten der Welt. Ich schätze sie dafür, dass sie den Job gemacht haben."
Mehrere Olympiamedaillengewinner und Weltmeister waren unter den sogenannten "Hasen", die Kipchoge dabei halfen, die nötige Durchschnittsgeschwindigkeit von etwas mehr 21 Stundenkilometern zu halten - beispielsweise Bernard Lagat und Paul Chelimo. Möglich wurde dieses Aufgebot von Edelhelfern auch mit der Unterstützung des Sponsors. Ineos, ein Chemieunternehmen im Besitz von Sir Jim Ratcliffe, dem reichsten Mann Großbritanniens, sponsert auch das Radsportteam, das zuvor als Team Sky mehrfach den Tour-de-France-Sieger stellte, zuletzt mit dem Kolumbianer Egan Bernal. Zudem gehört Ratcliffe der französische Erstliga-Fußballklub OGC Nizza. Ratcliffe hatte die Zwei-Stunden-Marke im Marathon die "letzte große Barriere in der Leichtathletik" genannt. Der 66-Jährige, der selbst an Ironman-Triathlons antritt, war vom Rennen seines Rekordmannes begeistert: "Der letzte Kilometer, auf dem er tatsächlich nochmal beschleunigt hat, war übermenschlich", sagte Ratcliffe.
Lob für den "Helden"
Auch andere lobten die Leistung Kipchoges: Der in Kenias Hauptstadt Nairobi geborene viermalige Tour-de-France Sieger Chris Froome, der ebenfalls an der Strecke in Wien war, schrieb bei Twitter von einer "epischen" Leistung, die "so inspirierend" sei. Der frühere Rad-Weltmeister Mark Cavendish nannte den Rekordlauf "die beeindruckendste sportliche Leistung der Geschichte".
In Kipchoges Heimat Kenia verfolgten tausende Menschen das Rennen live. In der Hauptstadt Nairobi brachten Fans den Verkehr teilweise zum Erliegen, als sie auf einer großen Leinwand den Zieleinlauf sahen und frenetisch bejubelten. Auch in Kipchoges Heimatstadt Eldoret bejubelte eine riesige Menschenmenge seinen Rekord.
"Sie haben Geschichte geschrieben und Kenia stolz gemacht. Ihr Sieg heute wird Dutzende künftiger Generationen dazu inspirieren, groß zu träumen und nach Größe zu streben", schrieb Kenias Präsident Uhuru Kenyatta auf Twitter. Boniface Mwangi, ein preisgekrönter kenianischer Fotograf, Politiker und Aktivist ergänzte: "Wir sollten uns die gesamte Straße vom Flughafen nach Nairobi in einer Reihe aufstellen. Empfangen wir ihn wie den Helden, der er ist."
asz/mp (sid, dpa, AFP)