EU-Finanzspritze für Kiew
5. März 2014Mit erheblich mehr finanziellen Mitteln als bislang vorgesehen will die Europäische Union der Übergangsregierung in Kiew unter die Arme greifen. "Das Paket bringt über die nächsten Jahre insgesamt mindestens elf Milliarden Euro aus dem Budget der Europäischen Union und anderen europäischen Finanzinstitutionen", kündigte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Brüssel an. Bis auf 600 Millionen Euro, die der Ukraine bereits vor dem Machtwechsel zugesagt waren, sei das alles frisches Geld, das von der EU selbst, der Europäischen Invesititionsbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung als Kredite zur Verfügung gestellt werden soll. José Manuel Barroso sagte, es sei angesichts des drohenden Staatsbankrotts in der Ukraine wichtig, dass die Hilfen schnell fließen können. Ein Team der Europäischen Kommission ist bereits in der ukrainischen Hauptstadt, um den Bedarf zu ermitteln und Konditionen für die Kredite auszuhandeln. Voraussetzung für eine schnelle Auszahlung der Hilfen sei, dass sich die ukranische Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington auf ein Reformprogramm einige. Das könne in wenigen Wochen der Fall sein, hieß es vom IWF in Washington.
Die EU-Kommission will außerdem eine internationale Geberkonferenz organisieren, um weitere finanzielle Hilfen für die bedrängte Ukraine aufzutreiben. Die EU prüft außerdem, ob die Gasversorgung der Ukraine auf Umwegen über geeignete Pipelines der EU-Staaten sichergestellt werden könnte, falls Russland nicht mehr direkt liefern sollte. José Manuel Barroso sagte mit ernster Miene, er sei schockiert von den Ereignissen der letzten Tage, also der russischen Machtübernahme auf der Krim. Die Logik des Kalten Krieges, in dem sich Machtblöcke gegenüberstehen, müsse durch Kooperation und Dialog ersetzt werden. "Ich denke, die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden weiter gemeinsam handeln. Jeder weiß, was auf dem Spiel steht. Es ist das erste Mal seit vielen, vielen Jahren, dass wir wirklich eine Bedrohung der Stabilität oder gar des Friedens auf diesem Kontinent wahrnehmen", so Barroso weiter. Die Staats- und Regierungschefs der EU müssen am Donnerstag (06.03.2014) bei ihrem Sondergipfel in Brüssel dem Hilfspaket noch zustimmen.
Sanktionen gegen Russland werden geprüft
Die EU will auf ihrem Gipfeltreffen, für das nur vier Stunden vorgesehen sind, ebenfalls über Sanktionen gegen Russland beraten, sollte Moskau keine Schritte zur Deeskalation der Spannungen auf der Krim-Halbinsel unternommen haben. Der französische Außenminister Laurent Fabius kündigte in einem Interview an, die Staats- und Regierungschefs könnten bereits konkrete Beschlüsse zu Sanktionen fassen. Bislang hatten sich Großbritannien und Deutschland, die starke wirtschaftliche Interessen in Russland haben, gegen harte Sanktionen gewehrt. Das russische Parlament soll bereits ein Gesetz über Sanktionen vorbereiten, um diese als Vergeltung gegen europäische und amerikanische Strafmaßnahmen einzusetzen, meldet eine russische Nachrichtenagentur. Beim Außenministertreffen der EU am Montag (03.03.2014) hatten sich Polen und Schweden für Sanktionen gegen die Führung um Russlands Präsident Wladimir Putin ausgesprochen, Deutschland war dagegen.
Diese Uneinigkeit schwäche natürlich die EU-Position, sagt der Russland-Experte Stefan Meister im Gespräch mit der DW. "In der Hinsicht reagiert Putin eigentlich nur darauf, wenn ihn jemand wie Frau Merkel anruft, die er für ein Schwergewicht hält. Aber wenn er nach Brüssel schaut, dann hat er eher das Gefühl, das nicht so entscheidend ist, was da besprochen und entschieden wird", so Stefan Meister von der Denkfabrik "European Council on Foreign Affairs." Am Gipfeltreffen der EU wird auch der neue ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk teilnehmen.
Kein direktes Treffen von Ukraine und Russland in Paris
In Paris ist der erste Versuch gescheitert, den russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinen ukrainischen Amtskollegen Andrej Deschtschiza an einen Tisch zu bringen. Der britische Außenminister William Hague und US-Außenminister John Kerry wollten Lawrow und Deschtschiza am Rande einer länger geplanten Konferenz zum Libanon in der französischen Hauptstadt treffen. Lawrow schlug die Einladung allerdings aus. Er sprach vor seiner Abreise nach Paris von einem Militärputsch in Kiew und sagte, Russland erkenne die Übergangsregierung in Kiew nicht an. Großbritannien, die USA und Russland sind nach einem Abkommen von 1994 Garantiestaaten für die Souveränität der Ukraine, die damals auf ihre Atomwaffen verzichtete.
US-Außenminister John Kerry will den russischen Außenminister auf jeden Fall zu einem bilateralen Gespräch treffen, um über Wege aus der Krim-Krise zu sprechen. "Wir möchten eine Deeskalation. Wir streben keine große Konfrontation an. Russland kann, falls es eine Deeskalation will, seine Truppen in die Kasernen zurückziehen und das Truppenabkommen von 1997 beachten", sagte Kerry am Dienstagabend in Kiew. Das Truppenabkommen erlaubt es Russland, Teile seiner Schwarzmeerflotte auf der Krim zu stationieren, allerdings unter Beachtung der Rechte des Gastlandes. In Paris wollte sich auch der französische Staatspräsident François Hollande in die Gespräche mit dem russischen Außenminister einschalten.
OSZE schickt Mililtärbeobachter auf die Krim
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat unterdessen die erste Beobachter-Mission in Richtung Krim geschickt. Die Mission besteht aus 35 unbewaffneten Offizieren, die aus 18 Mitgliedsländern der OSZE stammen - auch aus Deutschland und den USA. Die OSZE erklärte in Wien, die Soldaten sollten gemäß der Charta der OSZE ein Lagebild über die Truppen erstellen, die sich derzeit auf der Krim befinden. Russland hatte bestritten, dass reguläre Truppen der russischen Armee stationiert wurden. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte von "Selbstverteidigungs-Truppen" der russischen Bewohner der Krim gesprochen.
Am späten Nachmittag wird der NATO-Russland-Rat zusammentreten, in dem die Allianz normalerweise über die militärische Kooperation mit dem russischen Botschafter bei der NATO spricht. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte zu der Sitzung eingeladen. Hauptsächlich wird es wohl darum gehen, Russland die scharfe Verurteilung des Vorgehens in der Ukraine von Angesicht zu Angesicht mitzuteilen. Die NATO könnte die Zusammenarbeit in dem 2002 geschaffenen Gremium auch aussetzen. Diesen Schritt hatte die NATO bereits 2008 unternommen, als Russland in einen Krieg mit Georgien verwickelt war. Nach einem halben Jahr Stillstand wurden Gespräche im März 2009 wieder aufgenommen, ohne dass Russland seine Truppen aus Georgien abgezogen hätte.