Elektrostimulation: Querschnittsgelähmte laufen wieder
9. Februar 2022Schon länger gibt es Experimente mit Elektrostimulation, bei denen Ärzte die Muskulatur der unteren Extremitäten von Querschnittsgelähmten zu aktivieren versuchen. Erste Erfolge hatte die Methode 2018 gezeigt, als ein Ärzteteam von der Mayo-Klinik in Rochester, Minnesota, USA, einem Patienten Elektroden in der Nähe des Rückenmarks implantiert hatten. Damals musste der Patient ein Jahr lang intensiv trainieren, konnte aber mit therapeutischer Unterstützung erst eigene Schritte machen und dann über 100 Meter weit gehen.
Anfangs griffen die Mediziner zur Behandlung des Querschnittsgelähmten auf Stimulationselektroden zurück, die eigentlich für die Schmerzbehandlung entwickelt worden waren. Solche Schmerzschrittmacher haben schon seit über zehn Jahren vielen Patienten geholfen, von opiathaltigen Schmerzmitteln loszukommen. Sie gehören heute zur Standard-Behandlung von chronischen Schmerzen nach schweren Bandscheibenvorfällen.
Bessere Stimulationselektroden und gezielte Steuerung
Seitdem hat die Technologie einen regelrechten Quantensprung erlebt: Die Schweizer Neurowissenschaftler und Ärzte Jocelyne Bloch und Grégoire Courtine hatten etwa zeitgleich mit ihren Kollegen der Mayo-Klinik ähnliche Erfolge mit einer Operation erzielt. Allerdings verbesserten die Forschenden aus der Schweiz die Technologie. Sie entwickelten eine längere und breitere Stimulationselektrode, speziell für die Behandlung Querschnittsgelähmter. Und ihr Team entwickelte eine besonders für diesen Zweck gedachte Steuerung für die Elektro-Impulse, die der Stimulator abgibt.
Der 2010 nach einem missglückten Salto-Sprung gelähmte Athlet und Sportlehrer David Mzee konnte nach der Implantation eines Elektrostimulators wieder gehen. Neun Jahre später trat Mzee bei der Berliner Falling Walls Konferenz auf und betrat dort unter dem Beifall des Publikums, nur auf einen Rollator gestützt, den Saal. Seitdem zeigt er auch bei Sportveranstaltungen sein Können.
Mzee ist einer von drei Patienten, die von den Ärzten in Lausanne die neue Elektrode implantiert bekommen haben. Während Mzee nach seinem Unfall noch Gefühle in den Beinen gespürt hatte und damit nur teilweise gelähmt war, waren die zwei anderen Patienten unterhalb der Wirbelsäule vollständig gelähmt.
Bemerkenswert ist, dass trotzdem alle drei bereits wenigen Stunden nach der Operation wieder aufstehen und erste Schrittbewegungen machen konnten, berichten die Neurowissenschaftler der Technischen Hochschule Lausanne jetzt in einem Artikel in der Fachzeitschrift Nature.
Der Rollstuhl bleibt wichtiges Hilfsmittel
Mittlerweile hätten die drei Patienten auch wieder laufen, schwimmen und sogar Radfahren gelernt. Allerdings sind diese Bewegungen noch stark eingeschränkt. Radfahren im echten Straßenverkehr oder auch Schwimmen in natürlichen Gewässern wäre viel zu gefährlich. Von den ersten Schritten zum selbstständigen Laufen ist es ein weiter Weg. Es erfordert monatelanges, tägliches Training und trotzdem bleiben die Bewegungen mühsam und wirken starr.
Während teilweise Gelähmte gewisse Kontrollfunktionen durch die Elektrostimulation langsam zurückgewinnen können, ist dies für vollständig Gelähmte nicht möglich. Sie benötigen immer den Elektrostimulator, um sich bewegen zu können.
Laufen können sie auch stets nur sehr langsam. In der Praxis bedeutet dies, dass die Patienten im Haushalt wieder selbstständiger werden und Bewegungen ausführen können, die ihnen vorher nicht möglich waren.
Auf der Straße und gerade wenn sie längere Wege zurücklegen wollen, werden sie meistens noch auf einen Rollstuhl zurückgreifen müssen. Die Rekord-Strecken, die einzelne Patienten bisher am Rollator zurückgelegt haben, liegen bei wenigen hundert Metern.