Wegen Fehlgeburt in Haft
13. Februar 2022"Elsy kehrt nach Hause zurück", mit diesen Worten feierte am Mittwoch die Zivilgesellschaft El Salvadors in den sozialen Netzwerken die Freilassung von Elsy, die zehn Jahre und sieben Monate wegen einer Fehlgeburt im Gefängnis verbracht hatte.
Die damals 28-Jährige alleinerziehende Mutter arbeitete gerade als Haushaltsangestellte als sie einen Notfall im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft erlitt. Sie suchte Hilfe, doch statt medizinisch versorgt zu werden, wurde sie wegen des Verdachts auf Abtreibung verhaftet und wegen "schweren Mordes" zu 30 Jahren Haft verurteilt.
Morena Herrera ist eine der bekanntesten Frauenrechtsaktivistinnen des Landes und setzt sich seit Jahren für die Rechte von Frauen ein, die aufgrund der restriktiven Abtreibungsgesetze El Salvadors zu hohen Haftstrafen verurteilt werden. Sie ist Mitbegründerin und Sprecherin der Frauenrechts-NGO Colectivo Feminista para el Desarrollo Local (CFDL), die in einer jahrelangen juristischen Auseinandersetzung die Verminderung des Strafmaßes für Elsy erreicht hat. "Sie wurde in einer Notsituation denunziert und in Folge eines sehr unfairen Verfahrens voller Unregelmäßigkeiten und ohne ihre Rechte als Angeklagte zu wahren verurteilt", sagt Morena Herrera im Gespräch mit der DW.
Elsy ist die fünfte wegen einer Fehlgeburt verurteilte Frau, die seit Dezember letzten Jahres freigelassen wurde. Am 23. Dezember wurden Karen, Kathy und Evelyn aus dem Gefängnis entlassen, und am 17. Januar 2022 wurde Kenia nach neun Jahren Inhaftierung freigelassen. Die Vornamen sind Pseudonyme, die von den Menschenrechtsorganisationen genutzt werden, um die Identität der Opfer zu schützen. Nach Angaben von CFDL wurden in den letzten zwei Jahrzehnten in El Salvador rund 181 Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten hatten, strafrechtlich verfolgt.
In El Salvador ist Abtreibung ausnahmslos verboten. Frauen mit Schwangerschaftskomplikationen, die zu Fehl- und Totgeburten führen, werden häufig verdächtigt, eine Abtreibung vorgenommen zu haben. Sie werden wegen schweren Mordes angeklagt, worauf eine 30-jährige Gefängnisstrafe steht. Die gesetzliche Grundlage ist eine Verfassungsreform aus dem Jahr 1998, die "menschliches Leben ab Empfängnis" unter Schutz stellt - mit gravierenden Folgen für die Frauen.
Auch Minderjährige müssen ihr Kind austragen - selbst nach einer Vergewaltigung
"Die Strafe ist nicht aufgrund des Strafmaßes drakonisch, sondern auch aufgrund der Konsequenzen. Das fängt schon mit der Stigmatisierung der Frau an, wenn sie in einem Krankenhaus in Verdacht gerät, einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen zu haben", so Morena Herrera. In Fällen, in denen ein Schwangerschaftsabbruch medizinisch geboten ist, um das Leben der Frau nicht zu gefährden, zögert das medizinische Personal den Eingriff oft gefährlich lange heraus, um sich nicht selbst strafbar zu machen, erklärt Herrera weiter. Außerdem führe das Abtreibungsverbot bei vielen verzweifelten Frauen offensichtlich zu lebensgefährlichen Abtreibungsversuchen abseits der Krankenhäuser, so Herrera.
Sexuelle Gewalt und Vergewaltigung von Minderjährigen sind in El Salvador keine Seltenheit. "Aber auch für vergewaltigte Minderjährige sieht das Gesetz keine Ausnahme vor", erläutert Aktivistin Herrera. "Wir betreuen derzeit ein 12-jähriges blindes Mädchen, das vergewaltigt wurde und aufgrund der Rechtslage zum Austragen des Kindes gezwungen wurde."
Internationale Menschrechtsorganisationen wie Amnesty International fordern seit langem eine öffentliche Debatte im Land und konkrete Maßnahmen, die dazu beitragen könnten, die Kriminalisierung von Frauen zu verringern. "Was uns in El Salvador fehlt, ist eine Gesetzgebung zugunsten einer umfassenden Sexualerziehung zur Verhinderung von Gewalt an Frauen. Es fehlt an Maßnahmen um alle Arten sexueller Gewalt oder ungewollter Schwangerschaften zu vermeiden", erklärt Keiky Cáceres von der Frauenrechts-NGO Colectiva Amorales im Gespräch mit der DW.
Präsident Bukele - der coolste Diktator der Welt?
Eine Änderung der aktuellen Abtreibungsgesetze ist nicht in Sicht. Und das, obwohl Präsident Nayib Bukele auf dem internationalen Politparkett das Bild eines progressiven, unorthodoxen Vorwärtsdenkers pflegt, der im Schnellschritt Bitcoin als offizielle Währung des Landes neben dem US-Dollar etabliert hat. In den sozialen Netzwerken nennt er sich auch schon mal "CEO of El Salvador" oder "coolster Diktator der Welt" - wegen seines autoritären Regierungsstils.
"Der ist überhaupt nicht cool", platzt es aus Keiky Cáceres heraus. "Er ist extrem konservativ und ultrareligiös. Er verletzt konsequent die Regeln der Gewaltenteilung und der Trennung von Kirche und Staat", so Aktivistin Cáceres.
Seine Position machte Präsident Bukele im März 2020 in einem Instagram-Interview mit dem puerto-ricanischen Rapper Residente deutlich: "Ich bin nicht für Abtreibung, und ich glaube, dass wir eines Tages erkennen werden, dass es sich bei Abtreibungen um einen großen Völkermord handelt."
Hoffnung auf den Gerichtshof
Morena Herrera gibt sich trotz dieser Aussagen und den erschütternden Schicksalen der Frauen und Mädchen, die sie betreut, optimistisch. Die 62-jährige Mutter von vier Töchtern ist überzeugt, dass sich bald etwas ändern wird. Sie setzt ihre Hoffnung auf ein bald erwartetes Urteil des Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Erst im November 2021 hatte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte El Salvador im Zusammenhang mit dem Tod einer Frau wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte verurteilt. Die Frau hatte 2008 eine Fehlgeburt und war zu 30 Jahren Haft verurteilt worden. Sie starb 2011 im Gefängnis an einer Krebserkrankung.
Eine neuerliche Verurteilung durch den Interamerikanischen Gerichtshof wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte könnte, so hofft Morena Herrera, die Regierung von Bukele dazu zwingen, das restriktive Abtreibungsverbot zu kippen.