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Im Kino: "El Club" über den Missbrauch durch Priester

Jochen Kürten5. November 2015

Das Thema ist nicht neu und auch das Kino hat sich schon öfter damit beschäftigt: Sexueller Missbrauch durch Priester. Doch der chilenische Regisseur Pablo Larraín findet einen ganz eigenen Zugang zu dem heiklen Thema.

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Filmstill El Club (Foto: © Piffl Medien)
Bild: Piffl Medien

Ein düsteres Haus am Ende der Welt. So wirkt das Heim für eine Handvoll Priester im Norden der chilenischen Küste. Fast wie das Szenario für einen Horrorfilm inszeniert Regisseur Pablo Larraín den Hauptschauplatz für "El Club". Die Bilder sind meist dunkel, das Licht im Haus scheint fahl, der Himmel über dem Pazifik reißt nur selten auf. Und auch wenn der Tag anbricht, hat der Zuschauer des Films kaum einmal das Gefühl, durchatmen zu können.

Zwielichtiger Rückzugsort für Priester

Es ist ein seltsamer Club, den uns Larraín vorstellt. Vier Priester im Ruhestand und eine strenge Haushälterin leben in dem stillen Haus am Rande der Welt. Die kirchlichen Würdenträger außer Diensten scheinen ein dunkles Geheimnis zu teilen. Larraín eröffnet dem Zuschauer erst nach und nach, was es mit dieser seltsamen Gemeinschaft auf sich hat. Offenbar dient das Haus der katholischen Kirche Chiles als Rückzugsort für Priester, die sich des sexuellen Missbrauchs und anderer schwerer Delikte schuldig gemacht haben.

Filmstill El Club (Foto: © Piffl Medien
Ein seltsamer Club in einem einsamen Haus an der chilenischen KüsteBild: Picture-alliance/dpa/Piffl Medien

Die Geschichte kommt in Gang, als ein fünfter Priester in das Haus einzieht, auch er ist offenbar in der Vergangenheit sexuell übergriffig geworden. Eines seiner früheren Opfer steht plötzlich vor der Tür. Das löst ein verhängnisvolles Geschehen aus. Irgendwann entsendet die Kirche dann noch einen Aufpasser aus der Hauptstadt an die Küste, der sich der Hausgemeinschaft mit der düsteren Vergangenheit annehmen soll.

Kirchliche statt staatliche Justiz

Er sei bei seinen Recherchen auf viele solcher Häuser der Kirche gestoßen, so Regisseur Pablo Larraín über seinen Film "El Club", nicht nur in Chile. Ihm sei es aber nicht in erster Linie um prominente Fälle gegangen: "Mich haben Priester aus den kleinen Orten interessiert, die keiner kennt, die sich schuldig gemacht haben und die aus dem Verkehr gezogen werden, bevor das ruchbar wird."

Filmstill El Club (Foto: © Piffl Medien
Auch die Haushälterin trägt ein Geheimnis mit sichBild: Piffl Medien

Dass die katholische Kirche mit solchen Häusern die staatliche Justiz umgeht und ihr eigenes Rechtssystem geschaffen und etabliert hat - das ist eines der Themen, die Pablo Larraín mit seinem Film "El Club" anspricht: "Die Kirche scheint mehr Angst vor der Presse zu haben, als vor der Hölle."

El Club: Unheimliche Gruppendynamik in der Einsamkeit

Doch Larraín erzählt in seinem Film auch noch eine andere Geschichte: die eines eingeschworenen "Clubs" mit ganz eigenen Regeln, einem Leben abseits der "normalen Welt". "Die einzelnen Bewohner des Hauses sind sehr verwundbar, fragil, sie wirken wie einfache, bescheidene Leute", sagt der Regisseur, "als Gruppe aber werden sie gefährlich, weil sie etwas zu verteidigen haben, ihre Art zu leben, die Straflosigkeit, ihre Art, die Welt zu sehen."

Filmstill El Club (Foto: © Piffl Medien
Eines der Opfer steht plötzlich vor dem Haus und sorgt für Unruhe bei den PriesternBild: Fabula

Schließlich steht "El Club" für seinen Regisseur noch für etwas Drittes: "Es ist fast wie ein kleines Chile, das durch die Straflosigkeit miteinander verbunden ist." Larraín spielt damit auf die Geschichte seines Landes an, auf die Zeit der Diktatur: "Schauen Sie sich die jüngste chilenische Geschichte an, Pinochet ist als freier Mann gestorben, als Millionär." Das sei keine Metapher, sondern Realität, so der Regisseur. "Es kommt mir vor, als sei die Kirche mit der Zeit mehr zu einer Korporation als zu einer religiösen Gemeinschaft geworden. Es geht hier um ein System der Straflosigkeit, dem System der Diktatur sehr ähnlich."

Auszeichnung bei der Berlinale

Dass der Film, der nun (5.11.) in den deutschen Kinos startet, viel mehr erzählt als "nur" die Geschichte einer Handvoll chilenischer Priester mit dunkler Vergangenheit, das überzeugte im Februar dieses Jahres offenbar auch die Jury der Berliner Filmfestspiele. Sie verlieh "El Club" mit der Auszeichnung "Großer Preis der Jury" einen Silbernen Bären.

Filmstill El Club (Foto: © Piffl Medien
Mit Windhundrennen vertreiben sich die ehemaligen Priester die üppige FreizeitBild: Fabula

Auch die internationale Presse war angetan. "Im ersten Teil voller Momente pechschwarzen Humors, bewegt sich die Geschichte über immer raueres Terrain auf eine Auflösung zu, die weit entfernt vom Vorhersehbaren ist", schrieb "The Hollywood Reporter". Das Fachmagazin "Variety" verwies vor allem auf die filmische Umsetzung, das ästhetische Konzept des Regisseurs: "Die starken, unentrinnbaren Cinemascope-Bilder von Kameramann Sergio Armstrong entführen uns in die hermetische Welt dieses Clubs, bis wir uns selbst in seinen Mauern eingeschlossen fühlen."

Gewagtes ästhetisches Konzept

In der Tat ist es bemerkenswert und durchaus auch gewöhnungsbedürftig für den Zuschauer, sich in der düsteren Film-Welt des Regisseurs und seiner Protagonisten zu Recht zu finden. Um die Stimmung einer fast geschlossenen Welt und die fatale Atmosphäre zu beschwören, griff Pablo Larraín auf ein ungewöhnliches technisches Mittel zurück. Er und sein Kameramann Armstrong setzten für den Film sowjetische anamorphe Objektive ein, die in den 1960er Jahren benutzt wurden: "Wir wollten einen Look mit intensiven, manchmal leicht verschwommenen Bildern, einer Textur von Abend- und Morgendämmerung, von Licht und Schatten, vom Halbdunkel."

Deutschland Berlinale 2015 El Club (Pressekonferenz) (Foto: Photo by Pascal Le Segretain/Getty Images)
Regisseur Pablo Larraín (zweiter von rechts) bei der Pressekonferenz nach der Berliner UraufführungBild: Le Segretain/Getty Images

Pablo Larraín fügt dem Thema, das in den letzten Jahren einige bemerkenswerte Filme hervorgebracht hat, mit "El Club" eine interessante Variante bei. Zuletzt hat sich der deutsche Regisseur Gerd Schneider mit dem Missbrauch katholischer Priester in Deutschland auseinandergesetzt. 2002 konnte der britische Regisseur Peter Mullen für sein Missbrauchs-Drama "Die unbarmherzigen Schwestern" den Goldenen Löwen der Filmfestspiele in Venedig mit nach Hause nehmen.

Tradition: das Thema Missbrauch im Kino

Für Aufsehen dürfte demnächst die Hollywood-Produktion "Spotlight" sorgen, die sich des Missbrauchs von Minderjährigen innerhalb des Bostoner Erzbistums vor rund 15 Jahren annimmt. Das hatte weltweit für Schlagzeilen gesorgt und auch im Vatikan ein gewaltiges Beben ausgelöst. Der Chilene Pablo Larraín ist das heikle Thema zurückhaltend und ohne jede Spekulation angegangen. Trotzdem war "El Club" für den 39jährigen Filmemacher das Eintrittsticket für die möglicherweise ganz große Karriere. Seinen nächsten Film dreht Larraín in den USA. Dort startet "El Club" am 11. November in den Kinos.