Eishockeyprofi Braun: neues Leben nach Alkoholsucht
23. Januar 2024Nach und nach kommen die Spieler der Nürnberg Ice Tigers auf die Eisfläche. Die Temperatur in der Halle bewegt sich knapp unter dem Gefrierpunkt. Nach einer kurzen Aufwärmphase startet die Trainingseinheit der Eishockey-Profis. Abwehrspieler Constantin Braun ist mittendrin, macht ein paar Schüsse und wechselt mit Trainer Tom Rowe einige Worte auf dem Eis. Der 35 Jahre alte Verteidiger trägt als einziger ein rotes Trikot. Seine Mitspieler sollen intensive Zweikämpfe mit Braun vermeiden, daher läuft er an diesem Tag mit einer anderen Farbe auf.
Noch kann Braun nicht voll mit trainieren, denn beim letzten Spiel ist er von einem Puck im Gesicht getroffen worden und hat sich eine Gehirnerschütterung zugezogen. Seine Zähne konnten die Ärzte wieder richten, die Kopfschmerzen sind allerdings noch nicht ganz weg. "Mir geht es gut, ich befinde mich auf den Weg der Besserung", sagt Braun im Interview mit der DW und freut sich, bald wieder voll angreifen zu können.
Eine solche Verletzung gehört zu einem Sportlerleben. Seit fast 20 Jahren spielt Braun professionell Eishockey und eine solche "Kleinigkeit" wirft den 1,93 Meter-Hünen nicht so schnell aus der Bahn. An Erfahrung mangelt es dem Profi nicht: Sechs Mal wurde er mit den Eisbären Berlin Deutscher Meister in der DEL, und für die Nationalmannschaft schnürte er 98 Mal seine Schlittschuhe. Braun liebt Eishockey. Seitdem er vier Jahre alt ist, nimmt der Sport einen großen Teil in seinem Leben ein.
Braun: "Ich dachte, dass ich kein Problem habe"
Die Ice Tigers in Nürnberg sind seine vierte Profi-Station. Erst seit einigen Monaten steht er hier unter Vertrag, doch er fühlt sich bereits jetzt sehr wohl im Team. "Hockey spiele ich nur vier, fünf Stunden am Tag. Und da ist es wichtig, ein gutes Umfeld zu haben", sagt Braun. "So bekommt man keine Probleme." Doch die Geschichte von Constantin Braun dreht sich nicht nur um Eishockey, sie hat noch eine andere Seite. Der Verteidiger war jahrelang alkoholabhängig. "Vor sechs, sieben Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ich heute über das Thema Alkoholismus sprechen würde. Denn ich dachte, dass ich kein Problem habe", sagt Braun der DW.
Während seiner Zeit als Eishockeyprofi in Berlin begann die Abhängigkeit. Besonders im Sommer, also der eishockeyfreien Zeit, war es schwierig, der Sucht zu widerstehen. Er habe nach dem Workout morgens angefangen zu trinken, berichtet Braun. Während der Saison hatte er eine simple Regel: Einen Tag vor den Spielen keinen Alkohol - und das war auch nie ein Problem.
"In der Kabine war das nie ein Thema bei meinen Mitspielern, wenn ich mal ein bisschen nach Alkohol gerochen habe. Ich war dafür bekannt, gerne zu feiern und hin und wieder mal etwas zu trinken", erinnert sich Braun. "Ich habe freitags und sonntags immer gut gespielt, daher ist es niemandem aufgefallen."
Keiner in seinem Umfeld habe gedacht, dass er Alkoholiker sei. Auch in seinem engeren Umfeld sei die Abhängigkeit zunächst nicht aufgefallen. "Ich habe nie vor meiner Familie getrunken, weil mein Vater ein trockener Alkoholiker ist", sagt er. "Ich habe grundsätzlich immer alleine zu Hause getrunken." Das Paradoxe an Brauns Geschichte: Während der Eishockeyprofi immer weiter in die Abhängigkeit rutscht, hilft er seinem Vater, vom Alkohol loszukommen, und bringt ihn dazu, eine Therapie zu machen.
Braun: "Ich musste mein Leben neu lernen"
Der Weg in die Abhängigkeit war bei Braun schleichend. Erst ein Bier am Abend, dann zwei oder drei - irgendwann beim Abendessen unter der Woche noch eines und dann auch morgens. Doch irgendwann war das Maß voll, es ging nicht mehr. Brauns Körper litt, sein Brustkorb schmerzte, wenn die Abstände zwischen den Räuschen zu groß wurden. "Es gab einen Moment, als ich festgestellt habe, dass ich ein Problem habe", sagt Braun. "Von dem Punkt dauerte es dann zwei Wochen, bis ich mir Hilfe gesucht habe." Aber der Prozess bis dahin habe Jahre gedauert, so der Eishockeyprofi. "Das Schlimmste war, sich selbst diese Schwäche einzugestehen."
Nachdem er seinem Vater geholfen hat, trocken zu werden, muss er sich nun selbst eingestehen, dass auch er sein Problem nicht alleine in den Griff bekommt. "Mein Vater hat mich damals sehr unterstützt, weil er viel während seiner Therapie erlebt hat. Das war sehr hilfreich für mich", sagt Braun. Er sucht sich Hilfe, geht zu Ärzten, aber spricht auch mit dem früheren Fußball-Profi Uli Borowka, der ebenfalls alkoholkrank war.
Zudem geht Braun 2018 mit seiner Krankheit an die Öffentlichkeit. "Ich wollte mich nicht verstecken und eine normale Therapie machen, ohne die Angst zu haben, dass mich vielleicht jemand erkennt", sagt Braun. "Einer der Gründe für die Therapie war, dass ich Dinge jahrelang versteckt habe." Der Gang an die Öffentlichkeit habe ihm viel Druck genommen.
"Dann bin ich für sechs Monate in eine Klinik gegangen, 600 Kilometer entfernt von Berlin. Ich wollte so weit weg wie möglich, um zu verhindern, in alte Gewohnheiten zu verfallen", erinnert sich Braun im DW-Interview. "Danach bin ich zurückgegangen und musste mein Leben neu lernen. Ich musste zum Beispiel lernen einzukaufen, ohne zum Alkoholregal zu gehen." Dieser mitunter harte und energieraubende Prozess habe zwei, drei Jahre gedauert, doch danach sei alles gut gewesen.
20 Therapeuten im Team
Mittlerweile ist Braun seit fünf Jahren trocken und hat seitdem keinen Alkohol mehr angerührt. Doch in einer Gesellschaft, in der Alkohol zum Alltag gehört und vor allem akzeptiert wird, ist es nicht immer leicht, der Versuchung zu widerstehen - dessen ist sich der 35-Jährige bewusst und hat für sich einen Weg gefunden, der funktioniert. "Immer wenn ich mit meinem Team unterwegs bin, habe ich 20 Therapeuten bei mir. Sie passen auf, dass ich nicht in riskante Situationen gerate. Das nimmt mir Druck und ich kann darauf vertrauen, dass mir nichts passiert." Mit den "Therapeuten" meint er seine Teamkollegen.
Die Offenheit, über das Thema - sein Thema - zu sprechen, hilft Braun bis heute. "Wenn ich in eine Bar gehe und mir ein Getränk angeboten wird, sage ich, dass ich ein trockener Alkoholiker bin", erzählt er. "Und ab diesem Punkt werde ich nicht mehr gefragt. Das habe ich in der Therapie gelernt: Lass die Menschen wissen, dass du ein trockener Alkoholiker bist."
Brauns Geschichte ist besonders. Im deutschen Profisport ist Alkoholsucht nach wie vor ein Tabuthema. Wie der Ex-Fußballer Borowka ist der Eishockeyprofi einer der wenigen, die offen über ihre Krankheit reden. "Die Gesellschaft ist noch nicht bereit für 'Helden', die offen mit einem Alkoholproblem umgehen. Viele denken, dass es eine Schwäche ist. Dabei ist es eines der stärksten Dinge, die du tun kannst. Denn du musst es dir selbst eingestehen und deinen inneren Dämon bezwingen, der dich in diese Situation gebracht hat." Und, so Braun, "wenn du das geschafft hast, bist du einer der stärksten Menschen auf dem Planeten."