Top-Talent Tim Stützle: Retter der Ottawa Senators?
23. März 2021Die Eishockeyhalle der Ottawa Senators unterscheidet sich deutlich von den Arenen der anderen sechs kanadischen Klubs in der Elite-Eishockeyliga NHL. Im Gegensatz zu den Spielstätten der Montreal Canadiens, Toronto Maple Leafs, Winnipeg Jets, Edmonton Oilers, Calgary Flames und Vancouver Canucks steht das Canadian Tire Centre nicht im Stadtzentrum, sondern in Kanata. Der Vorort liegt knapp 20 Autominuten südwestlich von Kanadas Hauptstadt.
Und noch etwas ist anders in Ottawa: Bei den Senators setzen sie nicht auf einen Profi aus einer großen Eishockeynation wie Kanada, den USA, Russland, Schweden oder Finnland, sondern auf einen 19-jährigen Deutschen, dessen Nachname für die meisten Kanadier mindestens genauso schwer auszusprechen ist, wie der seiner Heimatstadt Tönisvorst in der Nähe von Krefeld. Tim Stützle ist die große Hoffnung auf eine bessere Zukunft bei den Senators. "Der Wirbel um einen ist sehr, sehr groß. Aber es macht unglaublich Spaß. Ich genieße wirklich jede Sekunde", sagt der 19-Jährige im Gespräch mit der DW.
Jüngster NHL-Profi
Stützle ist der jüngste der rund 750 NHL-Profis und steht Gegnern gegenüber, die schon spielten, als er noch nicht geboren war. Beispielsweise dem 41-jährigen Joe Thornton von den Toronto Maple Leafs, der am 8. Oktober 1997 und damit drei Jahre, drei Monate und sieben Tage vor Stützles Geburt sein NHL-Debüt gab. Doch trotz seiner Unerfahrenheit kommt dem Teenager vom Niederrhein eine besondere Rolle zu: Ottawa hat ihn zum Retter erkoren.
Stützle soll das Team aus der tristen Gegenwart in eine erfolgreichere Zukunft führen. Eine Zukunft mit mehr Freude als Frust, mit regelmäßigen Playoff-Teilnahmen und vielleicht sogar der Chance, um den Stanley Cup zu spielen. Die älteste Vereinstrophäe der Welt konnten die Senators noch nie gewinnen. Eine Ehre, aber auch eine große Last für den 19-Jährigen, doch Stützle sagt selbstbewusst: "Deswegen wurde ich so hoch gedrafted."
Ottawa im Ligakeller
Die Draft ist die Verteilung der weltweiten Eishockey-Talente auf die 31 NHL-Klubs. Hier hatten die Senators im Herbst 2020 als Dritter Klub Zugriffsrecht und wählten den Deutschen. Durch das Draft-System soll möglichst eine Parität in der Liga entstehen - und jede Mannschaft, zumindest theoretisch, mal die Chance haben, Meister werden zu können. Bei der "Talentbörse" darf früh zugreifen, wer zuvor schlecht abgeschnitten hat. Und Ottawa war in der Vergangenheit schlecht. Seit 1992 spielen die Senators in der NHL. Nur einmal schafften sie es ins Finale - das war 2007. Die vergangenen drei Spielzeiten hat das Team aus Kanadas Hauptstadt kontinuierlich im Ligakeller verbracht.
Nun soll es Stück für Stück nach oben gehen. Mit einem Kader, dessen Kern sich aus jungen Spielern Anfang der Zwanziger zusammensetzt und dessen Aushängeschild der deutsche Stürmer werden soll. "Tims Fähigkeiten sind unglaublich. Für ihn ist alles möglich", sagt Senators-Trainer D.J. Smith. Deutschlands Eishockeystar Leon Draisaitl von den Edmonton Oilers bezeichnet Stützle im DW-Gespräch als "sehr, sehr talentierten Jungen", der alles habe, was man brauche und der "seinen Weg schon erfolgreich gehen" werde.
Traum-Tor als Premierentreffer
Der junge Deutsche mit der Rückennummer 18 ist natürlich noch kein vollständig etablierter Spieler, aber Ottawa setzt auf ihn. Trainer Smith bringt ihn regelmäßig im Powerplay und auch wenn das Team in der Schlussphase zurückliegt und den Torwart rausnimmt, um ihn durch einen sechsten Feldspieler zu ersetzen. "Ich habe versucht, mich so schnell wie möglich zu etablieren und jetzt auch so langsam eine Führungsrolle zu übernehmen und in den wichtigen Situationen auf dem Eis zu sein", sagt Stützle.
In bislang 31 NHL-Spielen hat er sechs Tore erzielt und zwölf weitere vorbereitet. Sein Premieren-Treffer gegen Toronto war sogar eines der schönsten Saison-Tore. Er hätte "auf jeden Fall noch ein paar Tore mehr schießen können", sagt Stützle. Dennoch sei er "soweit eigentlich ganz zufrieden", zumal es ihm ohnehin wichtiger sei, "mit der Mannschaft zu gewinnen."
NHL-Debüt am 19. Geburtstag
Der Saisonstart sei "sehr schwer" gewesen, sagt Stützle. Nach dem Sieg gegen die Maple Leafs zum Auftakt gab es für Ottawa neun Niederlagen in Folge. Aber mittlerweile findet sich das junge Senators-Team besser zurecht. Nachdem die Bilanz nach 15 Saisonspielen nur zwei Siege bei 13 Niederlagen auswies, gewann Ottawa von den anschließenden 19 Partien immerhin neun. "Wir sind in den meisten Spielen im Spiel, haben als Mannschaft einen riesen Schritt nach vorne gemacht”, resümiert Stützle.
Die Frage nach seinem bisherigen Highlight beantwortet er indes eher zögerlich. Stützle spricht dann von "coolen road trips" bei den Auswärtsreisen, vom "Spaß mit den Jungs” und davon, dass ihm im "sehr, sehr kalten Winnipeg” auf dem Weg zur Arena die Augen "fast eingefroren” wären. Nach einigem Nachdenken legt sich Stützle dann aber doch fest: Der 15. Januar 2021 sei der "bislang schönste Tag" seiner Karriere gewesen. An jenem Freitag wurde er 19 Jahre alt und gab sein NHL-Debüt beim 5:3-Erfolg gegen die Maple Leafs. Im Februar erhielt er dann die Auszeichnung zum "Rookie des Monats”. Unter so vielen jungen Spielern ausgewählt zu werden, bedeute ihm "sehr viel", sagt Stützle.
Im Gegensatz zu den NHL-Neulingen aus Kanada und den USA war Stützle, der nie in einer der nordamerikanischen Junioren-Ligen gespielt hat, bis vor drei Monaten nur Experten und Nachwuchs-Scouts ein Begriff. Trotz der Umstellung auf die kleinere Eisfläche und die härtere Spielweise im nordamerikanischen Eishockey, schaffte Stützle in Ottawa auf Anhieb den Sprung zum Stammspieler. Der 19-Jährige profitiert dabei auch von der Erfahrung, die er im Vorjahr im Männerteam beim DEL-Klub Adler Mannheim als Profi sammelte. "Ich konnte dort unheimlich viel lernen und war deshalb vielleicht auch schon einen Schritt weiter, als wenn ich woanders noch ein Jahr gegen Junioren gespielt hätte", sagt Stützle.
Bester Stürmer der Junioren-WM
Ende Dezember 2020 spielte er dann erstmals in Nordamerika - als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft bei der U20-Weltmeisterschaft in Edmonton. Die Senators-Verantwortlichen und -Fans vernahmen mit Freude, was dieser junge Deutsche da leistete. Fünf Spiele, fünf Tore, fünf Vorlagen: Erstmals schaffte es Deutschland ins U20-WM-Viertelfinale - und erstmals wurde mit Stützle ein Deutscher zum besten WM-Stürmer gewählt.
Als er anschließend nach Ottawa kam, sei der Hype "sehr, sehr groß" gewesen, erzählt Stützle. "Für mich ist es eine Ehre, dass ich so hoch angesehen werde. Ich versuche einfach, das auch zu bestätigen und die Leute vielleicht auch zu beeindrucken.” Bislang ist ihm das gelungen, auch wenn damit erst der Anfang als großer Hoffnungsträger der Senators gemacht ist.