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"Eisenzeit": eine deutsch-russische Ausstellung

10. November 2020

1600 Objekte, fünf Jahre Vorbereitung: In der Petersburger Eremitage eröffnet eine deutsch-russische Ausstellung der Superlative - überschattet von Corona.

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Skythisches Gefäß (@: Eremitage/St.Petersburg)
Dieses skythische Gefäß ist ein frühes Beispiel der Schmiedekunst in der Eisenzeit Bild: Terebenin V/Eremitage/St. Petersburg

Ab 10. November gibt es nach vielen abgesagten Ausstellungen endlich wieder eine Vernissage im russischen "Museum Nummer Eins": In der Sankt Petersburger Eremitage wird die Schau "Eisenzeit. Europa ohne Grenzen" eröffnet. Es ist die dritte Folge in der Reihe groß angelegter deutsch-russischer Forschungs- und Ausstellungsprojekte unter dem Obertitel "Europa ohne Grenzen": 2007 wurden die Schau "Merowingerzeit" zunächst in Sankt Petersburg und dann in Moskau präsentiert, 2013 folgte "Bronzezeit. Europa ohne Grenzen" Zur Eröffnung letzterer kamen keine Geringeren als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Präsidenten Wladimir Putin. Nun also die "Eisenzeit", ebenso unter dem immer trotziger klingenden Motto "Europa ohne Grenzen".

Oberkustos des  Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte Nawroth beim Einpacken der Objekte für die Ausstellung in Russland (Copyright: Janine Schmitz/ photothek.net)
Manfred Nawroth, Oberkustos des Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte, beim Einpacken der Objekte für die Ausstellung in RusslandBild: Janine Schmitz/photothek.net

Kooperation wird großgeschrieben

"Dieses Projekt hat zwei Besonderheiten: Die eine ist die kulturpolitische Relevanz, die andere die wissenschaftliche Dimension, die historische Erzählung", unterstreicht Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, im DW-Gespräch. Die Stiftung hat das Projekt, unterstützt von russischen Kollegen, vor 15 Jahren maßgeblich mitinitiiert.

 Mikhail Piotrowski und Hermann Parzinger schauen sich an (Copyright: Eremitage St. Petersburg)
Kollegen unter sich: Mikhail Piotrowski und Hermann ParzingerBild: Eremitage St. Petersburg

Die kulturpolitische Bedeutung ist offensichtlich: Das tiefgreifende Forschungs- und Ausstellungsprojekt bedeutet einen Durchbruch im verfahrenem Beutekunst-Konflikt zwischen Deutschland und Russland. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Russen viele Kulturschätze aus deutschen Museen, Bibliotheken und Archiven in die Sowjetunion abtransportiert. Zwar wird der Anspruch des russischen Staates auf die "kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter", welche die Duma 1998 per Gesetz zum nationalen Eigentum Russland erklärte, von Deutschland weiterhin nicht anerkannt, aber internationale Projekte erlauben es, diese Kulturschätze nach 80 Jahren Depot-Dasein wieder in den Kreislauf der Forschung zu holen, zu restaurieren, zu erforschen und auch auszustellen. 

Gürtelblech aus Stična
Dieses Gürtelblech aus Stična gehört zu den Beutekunst-ObjektenBild: Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte/Foto: K. Goeken

Ein freundschaftliches und offenes Klima hat sich bei der Kooperation zwischen den deutschen und russischen Kollegen etabliert. "Mit diesem Ausstellungsformat haben Deutschland und Russland ein neues Kapitel der kulturellen Zusammenarbeit geschrieben, das der Fachebene freie Hand gibt und die politischen Fragestellungen nach der Rückführung in den Hintergrund rückt", so Hermann Parzinger. Auch Mikhail Piotrowski, Direktor der Eremitage würdigte das Projekt als eine "herausragende gemeinsame Leistung der deutschen und russischen Kollegen". "Europa ohne Grenzen" gehört außerdem zum Programm des Deutschlandjahres in Russland, das trotz Pandemie stattfindet.

Daneben ist auch die wissenschaftliche Bedeutung des Projektes nicht von der Hand zu weisen: Die internationale Fachwelt schaut auf die historische Entwicklung des gesamten Raumes zwischen Mittelmeer und Ural, der - trotz heutiger Aufteilung in Ost und West - auf Jahrtausende gemeinsamer Geschichte zurückblickt.

"Linsenflasche von Matzhausen" - eine Flasche mit Tiermotiven  (Copyright: Janine Schmitz/ photothek.net)
"Linsenflasche von Matzhausen" - fünf Tierpaare sind auf dem kunstvollen Gefäß abgebildetBild: Janine Schmitz/photothek.net

 Eine Ära der kulturellen Verschmelzung

Eisenzeit: Das ist die Epoche im ersten vorchristlichen Jahrtausend, in der europäische Völker neben Bronze auch Eisen als Material für Waffen und Geräte entdeckten. Es ist aber vor allem auch die Zeit, als die Stämme kulturell aus der Anonymität der prähistorischen Zeit heraustraten. Skythen und Griechen, Etrusker und Kelten trafen aufeinander, es kam zur gegenseitigen Beeinflussung, die über den Mittelmeerraum hinaus tief nach Norden und Osten hineinwirkte. Handel, Migrationen, kulturelle Verschmelzung: "Es waren Prozesse, die die Gesellschaften verändert haben und aus heutiger Sicht hochmodern sind", so der Prähistoriker und Skythen-Forscher Parzinger. "Die Eisenzeit ist eine unglaublich spannende Zeit voller Dynamik."

Schmuck, Waffen, Geschirr, prächtige Beigaben aus Fürstengräbern und kunstvolle Alltagsgegenstände - insgesamt 1600 Objekte werden nun in der Eremitage ausgestellt. Ungefähr die Hälfte davon, knapp 750, kommen aus dem Beutekunst-Kontext: Sie wurden 1939 nach Ausbruch des Krieges in Bunkern, Schlosskellern oder Stollen in Deutschland versteckt und 1945 von den sowjetischen Trophäenkommissionen aufgesammelt und abtransportiert.

Bei der Vorbereitung der Ausstellung wurden zahlreiche Fundstücke aus deutschen Sammlungen vor allem in drei russischen Häusern - der Petersburger Eremitage, dem Moskauer Puschkin Museum und dem Historischen Museum - geortet, gesichtet und von deutschen und russischen Restauratoren-Teams für die Schau vorbereitet.

Bronzerner Maskengürtelhaken
Teils Tier, teils Mensch: antropomorphe und zoomorphe Elemente vereinen sich im Gesicht des Eisenzeit-Wesens, abgebildet auf einem in Bayern gefundenen GürtelhakenBild: Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte/Foto: C. Plamp

Fast 600 Ausstellungsobjekte, zum Teil jüngste Funde aus aktuellen Grabungen, haben die russischen Häuser beigesteuert. Vor allem handelt es sich dabei um prächtige Skythen-Funde aus der nördlichen Schwarzmeer-Region. Weitere 250 Objekte sind Leihgaben aus Berlin, die meisten aus dem Museum für Vor- und Frühgeschichte.

Ganz besonders freuen sich die Wissenschaftler auf die Zusammenführung der Fundkomplexe - also der Objekte, die als Konvolut bei Ausgrabungen entdeckt, dann aber auseinandergerissen wurden. "Für uns Archäologen sind die Objekte aber vor allem als Komplex interessant", so Manfred Nawroth, Ausstellungsmacher und Oberkustos am Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte. "Nur so kann man mit Objekten eine lebendige und schlüssige Geschichte erzählen."

Ein Paradebeispiel sind die Funde aus dem keltischen Fürstengrab von Besseringen im Saarland: Die bereits im 19. Jahrhundert endeckten archäologischen Schätze kamen zunächst in die Königlichen Museen zu Berlin und sind heute kriegsbedingt auf drei Häuser in zwei Ländern verteilt. Der prächtige goldene Halsreif des keltischen Aristokraten kam nach 1945 ins Moskauer Puschkin-Museum, eine bronzene Kanne in die Eremitage. Die bronzenen Teile des Prunkwagens werden in Berlin aufbewahrt. Bei der Ausstellung kommt es nun zur Wiedervereinigung der Objekte.

Bronzene Teile liegen in einer Schublade, eine Hand zielt darauf (Copyright: Janine Schmitz/ photothek.net)
Blieben in Berlin: bronzene Relikte aus BesseringenBild: Janine Schmitz/photothek.net

Corona gegen Archäologie

Beide Vorgänger-Ausstellungsprojekte, "Merowinger" und "Bronzezeit", haben sich nicht nur als wissenschaftliche Meilensteine, sondern auch als internationale Publikumsmagnete erwiesen. Auch "Eisenzeit. Europa ohne Grenzen", prominent untergebracht in dem modernen "Manege"-Ausstellungsraum der Eremitage, hätte durchaus Potenzial dazu - wäre da nicht die Pandemie, die Russland wie Deutschland weiterhin fest im Griff hält.

Nicht einmal die deutschen Ausstellungsmacher konnten nach Russland reisen: "Das ist schon bitter", sagt Manfred Nawroth. "Zum ersten Mal können wir bei der Eröffnung einer so wichtigen Ausstellung mit unseren Objekten nicht dabei sein." Auch russische Besucher werden angesichts der Pandemie wohl kaum in Scharen in die Eremitage strömen - trotz freiem Eintritt. Abhilfe verspricht der virtuelle Rundgang in deutscher und russischer Sprache, an dem zurzeit mit Hochdruck gearbeitet wird.

Bis zum 28. Februar ist die Ausstellung in der Eremitage zu sehen, vom 15. April bis zum 15. Juli 2021 ist die Schau im Historischen Museum am Roten Platz in Moskau geplant. In Deutschland kann "Eisenzeit. Europa ohne Grenzen", wie alle Ausstellungen mit Beutekunst-Objekten, nicht gezeigt werden.