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Einsatz am Weinberg

Sebastian Wolfrum17. Oktober 2013

Tief im Südwesten Deutschlands wächst der bekannte badische Wein. In der kleinen Gemeinde Ihringen am Fuße des Kaiserstuhls hat DW-Reporter Sebastian Wolfrum bei der Weinlese selbst zur Schere gegriffen.

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Ein Mann füllt einen Bottich mit Trauben in ein großes Metallfass.
Bild: Stefanie Kiss

Am Anfang fühlt es sich gar nicht nach Arbeit an. Ein Schnitt und die Trauben fallen prall in meine Hand oder direkt in einen der roten Eimer, die unter den Reben stehen. Die Herbstsonne wärmt meinen Nacken. Bald hat der violette Saft, der einmal zu Spätburgunder, dem Vorzeigerotwein Südbadens werden soll, meine Finger verklebt.

Die hügelige Landschaft nahe der französischen Grenze und des Rheins erinnert mehr an die Toscana als an die Vorstellung von Süddeutschland. Vor mir auf den Höhen des Kaiserstuhls, einem kleinen Mittelgebirgszug, erstrecken sich die Weinterrassen. Wenig befahrene Landstraßen schlängeln sich durch das satte Grün, eine Postkartenidylle. Die Studentenstadt Freiburg mit ihrem mittelalterlichen Münster ist von hier nur 15 Autominuten entfernt.

Gar nicht so einfach

Nach etwa einer Stunde in leicht vornüber gebeugter Haltung meldet sich mein Kreuz. Ich bekomme eine Vorstellung davon, dass die Weinlese ein Knochenjob sein kann. Stefanie Kiss lächelt mir aufmunternd durch die Weinblätter zu. Bei der Frau auf der anderen Seite der Rebe sitzt jede Bewegung mit der kleinen Gartenschere. Für einen Moment wiegt sie die Trauben zufrieden in der Hand. Die Winzerin wird eine gute Ernte einfahren. Trotzdem wirkt sie angespannt. "Wir arbeiten das ganze Jahr auf diese vier Wochen der Ernte hin. Da entscheidet sich Vieles. Wenn es vorbei ist, fallen mir jedes Mal Zentner von Steinen vom Herzen", sagt die 37-Jährige. Ihrer Familie gehört ein Winzerhof in Ihringen. Der Wein hat einen guten Ruf, zum Leben reicht das Land allein der Familie aber nicht mehr. Deshalb vermieten sie Fremdenzimmer. Und so kommt es, dass neben Stefanie Kiss und ein paar Saisonarbeitern aus Polen auch Touristen bei der Weinlese mitarbeiten.

Ein Traubenmeer liegt im Bottich. Foto: DW
Die Acolon-Beeren werden zu Spätburgunder verarbeitetBild: DW/S. Wolfrum

Ich habe einen Moment nicht aufgepasst und mir in den Finger gezwickt. Man kann eigentlich nicht viel falsch machen beim “Herbsten“, wie die Weinlese im Badischen genannt wird. Nur schauen, wo man hinschneidet, sollte man schon. Mein nächstes Opfer ist der Draht, mit dem die Trauben nach oben gebunden werden. Schnipp, durch. Stefanie Kiss nimmt's gelassen, ich bin wohl nicht ihr erster etwas tollpatschiger Gast.

Die anderen Touristen müssen ein bisschen schmunzeln über den unerfahrenen Neuling. Bei den regelmäßigen Gästen sitzt die Erntetechnik. Viele machen seit Jahren Urlaub in der Gemeinde, in der sich alles um den gegorenen Traubensaft dreht. "Ich komme am liebsten im Herbst", sagt Klaus Schleiter aus Kassel. Der 69-Jährige reist seit 15 Jahren mit seiner Frau in die Gemeinde, in der an einstöckigen Fachwerkhäusern Wein statt Efeu rankt und die Wegweiser im Ortskern aus alten Holzfässern gefertigt sind. "Zur Erntezeit ist hier eine ganz besondere Stimmung. Man kann die Aufregung der Menschen richtig spüren", sagt er.

Arbeiter laden gefüllte Bottiche auf den Traktor. Foto: DW
Per Traktor werden die Trauben zu den Abgabestellen gefahren, wo der jeweilige Oechslegrad des Leseguts gemessen wirdBild: DW/S. Wolfrum

Viele Sonnenstunden und fruchtbare Böden

Neben den Trauben wächst und gedeiht in der Region Kaiserstuhl eigentlich alles, was heimisch und lecker ist. Im Frühjahr ist es der Spargel, im Sommer dann die Erdbeeren und Himbeeren. Später Äpfel, Birnen und Marillen, von denen ein guter Teil zu Schnäpsen destilliert wird. Im Herbst kommen die Kürbisse dran. Aber die wichtigsten Früchte, an denen das Herz und auch das Geld vieler Menschen der Region hängt, sind die Trauben für den Riesling, den Müller-Thurgau, den Grau- und den Spätburgunder.

Was den Weinbau ausmacht, können Gäste das ganze Jahr über miterleben. Die Schwiegermutter von Stefanie Kiss, Geschäftsführerin des Kaiserstuhl Tourismus, hat dazu das Programm "Dem Winzer über die Schulter geschaut" ins Leben gerufen. Es gibt Führungen über die Höfe, naturkundliche Wanderungen und Weinproben. Das Highlight für viele Urlauber ist aber bei der Ernte selbst dabei zu sein. "Ich habe gerade die ersten Buchungen für den Oktober 2015 vorliegen", sagt Elvira Kiss. Es sind vornehmlich Familien, die hier Urlaub machen, Rentner, die die Sonne genießen und Fahrradfahrer, die in ihren engen Hosen über die kurvigen Straßen durch die Weinberge flitzen. Die Trainingsbedingungen sind gut, die gefallene deutsche Radsportlegende Jan Ullrich hat in seiner aktiven Zeit zehn Jahre lang in der Nachbargemeinde Merdingen gelebt.

Straßenzug in der Gemeinde Ihringen. Foto: DW
Die Gemeinde Ihringen strahlt Gemütlichkeit ausBild: DW/S. Wolfrum

Weinlese light

Am Weinberg bei dem gefühlt zwanzigsten Kübel mit Trauben, den ich zu dem Sammelbottich trage, kribbelt es in den Schultermuskeln, die dünnen Eimerhenkel aus Draht schneiden in meine Hände. Und das, obwohl das “Herbsten“ für Touristen eher eine Weinernte light ist: Ich stehe nicht in den steilsten Hängen in der Umgebung und nach weniger als zwei Stunden ist dann auch Schluss - noch bevor sich das Ziehen in meinem Rücken und den Armen in einen ernsthaften Muskelkater verwandeln kann. Stefanie Kiss lädt zur Vesper im Weinberg. Zwei Bierbankgarnituren stehen zwischen den Reben, regionale Spezialitäten wie Käse, Speck, Weißwein und Bauernbrot sind auf karierten Tischdecken drapiert. Mir ist das sehr recht. Es soll sich ja nicht anfühlen wie Arbeit.

Foto: DW
Die Weinlese ist stark wetterabhängig - die Winzer versuchen, den idealen Zeitpunkt abzupassenBild: DW/S. Wolfrum