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Einfühlsame Reportage: "Home made in India"

Sabine Peschel
2. September 2017

Wie kriegt man es hin, gleich zwei Kulturen in einer Beziehung zu pflegen? Christopher Kloeble verrät es in seinem neuen Buch. Seit sechs Jahren lebt der Autor mit seiner Frau Saskya zwischen Indien und Deutschland.

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Christopher Kloeble
Bild: Jens Oellermann

Man sollte rote Linsen im Haus haben, wenn man anfängt, Christopher Kloebles Buch "Home made in India" zu lesen. Denn wenn man seine "Liebesgeschichte zwischen Delhi und Berlin" wieder aus der Hand legt, wird man große Lust auf ein hausgemachtes Dal verspüren. Man wird "Indian Ocean" auf YouTube suchen und sich einem Land plötzlich sehnsuchtsvoll nahe fühlen, von dem man vorher vielleicht nie wusste, ob man es jemals kennenlernen wollte. So wie Christopher Kloeble anfangs selbst, ehe er 2011 einer gewissen Saskya Iris Jain begegnete.

Christopher Kloeble ist in einem Dorf in Oberbayern aufgewachsen, in Königsdorf, wo er und seine Eltern immer als "Zug'roaste" (Zugereiste) gelten, als Menschen "von woanders". Diese Erfahrung, nicht dazuzugehören, macht er auch am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und allein unter vielen Menschen in Berlin. Das Schreiben wird zu seinem "Ort, an dem ich mich zu Hause fühle".

Saskya Jain und Christopher Kloeble Buch Home made in India
Saskya Jain und Christopher Kloeble bei ihrer Hochzeit in Delhi Bild: christopherkloeble.de

Eine unwahrscheinliche Liebesgeschichte beginnt

Seinen 29. Geburtstag verbringt der junge Autor in New York, und der Tag endet melancholisch: mit der Trennung von seiner amerikanischen Freundin aus dem "heimeligen Iowa". Am nächsten Abend ist er in einer Bar in Brooklyn mit Saskya, seiner neuen Literaturagentin verabredet. Sie vertritt die englische Übersetzung von Kloebles Familienepos "Meistens alles sehr schnell". Er ahnt es noch nicht, aber für den Autor beginnt ein neuer Lebensabschnitt.

Saskya Jain stammt aus einer angesehenen indischen Gelehrtenfamilie. Ihre Mutter Jutta, eine Kunsthistorikerin, hat österreichische Vorfahren, der Vater Jyotindra, Professor für Kunstgeschichte, gehört zur Weltelite der Museumsmacher. Saskya hat an der Freien Universität Berlin studiert und in Boston ihren Master in Literatur gemacht. Deutsch, Englisch und Hindi sind die Familiensprachen.

Eine romanhafte Reportage

Die selbstbewusste junge Frau empfängt ihren neuen Freund im Januar 2012 in Delhi, im Dezember heiratet das Paar. Für beide beginnt ein geteiltes Leben zwischen der deutschen und der indischen Hauptstadt. Ihre Aufgabe, kulturelle Differenzen zu überbrücken, ist nur scheinbar leicht lösbar für so weltgewandte Menschen. Helfen kann dabei vor allem eines: "Jugaad", wie es unübersetzbar auf Hindi heißt. "Es beschreibt die Fähigkeit, etwas aus dem zu machen, was einem gegeben wurde", erklärt Kloeble. Das Konzept funktionierte für ihn, schon ehe er wusste, was es war, in seiner Jugend als dicker, oft gehänselter Sänger im Tölzer Knabenchor oder als Sohn gutbetuchter westdeutscher Eltern im linken Studentenmilieu von Leipzig. In Indien hat er endlich den Namen dafür gefunden.

Indien Delhi Straßenszene
Auf den Straßen Delhis herrscht geordnetes Gewimmel Bild: Imago/alimdi

Kloebles im August erschienene Reportage ist formal ein Sachbuch. Sein Bericht liest sich aber wie ein Roman, locker erzählt, ungeheuer anschaulich, gelegentlich frech, im Grundton liebevoll und ernsthaft - keinesfalls ein essayistisches Reisebuch. Mit ihm lernen wir Indien von innen kennen, zunächst aus der ängstlichen, aber begeisterungswilligen Perspektive eines Neuankömmlings, dessen Vorwissen noch von Dschungelbuch- und Indiana Jones-Klischees geprägt ist. Wir folgen dem Schriftsteller zum "Litfest" in den Diggi Palace zu Delhi und begegnen beim Empfang "den üblichen Blaublütigen" der Literaturszene, "Rushdie, Naipaul, Franzen". Wir gehen mit dem Autor auf der Suche nach dem nächsten Postamt fast verloren und erfahren, warum es im Verkehrsdschungel der indischen Hauptstadt gut ist, sich immer nur eine einzige Sache vorzunehmen.

Einfühlsam und mit dem Blick nach zwei Seiten

Autorenpaar Saskya Jain und Christopher Kloeble
Das Autorenpaar: Auch Saskya Jain schreibtBild: Privat

Kloeble schreibt über seine wachsende Liebe zu Delhi - und seine gelegentlichen Hassanfälle. "In Delhi gibt es eine Haltung, eine Lebensweise, gegen die kommen die einfachen Leute kaum an. Sie vereint in sich die Eigenschaften eines Egoisten, Ignoranten, Opportunisten und findet sich in allen Gesellschaftsschichten." Dass sein Blick dabei nicht nur liebevoll oder kritisch beobachtend auf Indien fällt, sondern immer wieder auch intensiv auf Deutschland, macht sein Buch so besonders. Die deutsche Kolonialgeschichte spielt dabei genauso eine Rolle wie die angeblich libanesischen Nachbarn, die AfD wählen und keine Flüchtlinge mehr ins Land lassen wollen. Geschichte wird im Vertrauten konkret und sehr persönlich: Wenn der Autor sich an seine Kindheit erinnert, mit den Eltern hadert, oder wenn Saskya sich in Berlin von deutschen Besserwissern über Indien belehren lassen muss.

Wie findet man eine Heimat?

Buchcover Home made in India von Christopher Kloeble
Bild: dtv

Vor allem aber schreibt Christopher Kloeble über seine Begegnungen mit Menschen, die zu engen Freunden und mit der Zeit zu seiner indischen Großfamilie werden. Saskyas "von deutscher Kultur durchdrungene Familie", schräge Nachbarn, afghanische Flüchtlingsfrauen, die darauf sparen, ein Modelabel zu eröffnen, Prinzessin Siddhi, die vornehme Politikerin, Künstler und Intellektuelle. Im Zentrum des Buchs steht eine Frage: Was ist Heimat? An seinem Schluss hat PIO Kloeble - eine "Person of Indian Origin", wie es ihm sein schnell erlangter indischer Pass attestiert - eine vorläufige Antwort gefunden, als ihm Delhi in Deutschland fehlt: "Vielleicht ist das eine gute Definition von Heimat: ein Ort, den man, trotz allem, vermisst." 

Und auch als Leserin, die noch nie in Indien war, vermisst man diesen Ort am Ende - und kocht sich vielleicht ein indisches Linsengericht.

Die Buchpremiere von "Home made in India" feiert Christopher Kloeble am 8. September 2017 auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin.

Christopher Kloeble: Home made in India, dtv premium, 288 Seiten, ISBN 978-3423261722