Wie Varoufakis Brüssel eint
5. Juli 2015Über eine halbe Million Menschen folgen dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis beim Kurznachrichtendienst Twitter. In regelmäßigen Abständen tut er dort seine Meinung kund, zwitschert Artikel oder seine eigenen Aufsätze. Nach einem informellen Treffen der Eurogruppe zur griechischen Schuldenkrise in Riga Ende April setzte er einen Tweet mit einem Zitat von Franklin D. Roosevelt, dem ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten, ab. "Sie sind vereint in ihrem Hass auf mich, und ich begrüße ihren Hass." Als Roosevelt das im Madison Square Garden sagte, herrschte Wahlkampf und es ging um Innenpolitik. An wen Yanis Varoufakis diese Botschaft adressierte, ist klar: Seine 18 Amtskollegen aus der Eurogruppe.
Eines muss man dem griechischen Finanzminister lassen: Selten hat sich Brüssel so geeint gezeigt wie in Sachen Griechenland-Krise. Wenn er auf die anderen Finanzminister der EU trifft, dann ist die Aufteilung eindeutig: Varoufakis gegen den Rest. Im Umfeld seiner Kollegen ist er isoliert. Und die Wahrnehmungen hätten in den vergangenen Monaten oft kaum unterschiedlicher sein können: Während er und Ministerpräsident Alexis Tsipras in Athen wiederholt einen baldigen Durchbruch bei den Verhandlungen verkündeten, wollte man in Brüssel davon noch nichts wissen.
Wenig diplomatisches Gespür
Was die europäischen Partner bei der Person Varoufakis erregt, sind zum einen Stilfragen. Es gibt wohl kaum ein Medium, das nicht sein Motorrad beschrieben oder seinen legeren Kleidungsstil analysiert, meist gar kritisiert, hätte. Vor allem aber geht es seinen politischen Kontrahenten darum, dass er Gespräche verzögerte und meist ohne das vorher vollmundig angekündigte Konzept zum entscheidenden Finanzministertreffen anreiste. Beim Eurogruppen-Treffen in Riga bekam er die Ungeduld der Ressortchefs zu spüren. Der Hauptkritikpunkt: Athen hatte die zugesagte Liste mit belastbaren Reform- und Sparvorschlägen noch immer nicht vorgelegt. Die genannten Zahlen seien vage. Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem warf der griechischen Seite vor, sie sei für die bisher in den Verhandlungen verlorene Zeit verantwortlich.
Zum Dinner ist Varoufakis dann nicht nur nicht erschienen, was an sich schon ein diplomatischer Fehltritt ist. Über sein Umfeld ließ er verkünden, dass "er solche Veranstaltungen langweilig findet".
Dass der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras ihm nach dem Riga-Debakel - auch auf Bitte Brüssels - die Verhandlungsführung (zumindest zeitweise) entzogen haben soll, bestreitet der Grieche in seinem eigenen Blog.
Sinkende Popularität bei Griechen
Während Varoufakis in seiner Heimat anfangs als Polit-Star gefeiert wurde, sinkt sein Stern inzwischen. Varoufakis habe jede Glaubwürdigkeit verloren, schrieb die Athener Zeitung "To Vima" kürzlich. Und auch die wenig feinfühlige Homestory in der französischen Illustrierten "Paris Match" brachte ihm Spott ein. Sie zeigte das kostspielige Leben des griechischen Kassenwarts des Pleitestaats, der kurz zuvor das Volk noch zu einem "einfachen Leben" angehalten hatte.
Der endgültige Bruch mit der Eurogruppe aber kam vor einer guten Woche, am 25. Juni gegen 17 Uhr. Varoufakis und der griechische Chefunterhändler Euklides Tsakalotos verließen gemeinsam eine stürmische Sitzung in Brüssel. Es war einer der vielen Sondergipfel, bei dem die Eurogruppe eine gemeinsame Erklärung formulierte: Darin lehnten sie einstimmig die Athener Forderung ab, das auslaufende Hilfsprogramm noch einmal zu verlängern. Teils hochemotionale Stellungnahmen der Finanzchefs folgten - der Tenor lautete: Wir haben die Nase voll.
Ob nach diesem Abgang Varoufakis noch mal am Tisch der Eurogruppe sitzen wird, ist ungewiss. Jetzt entscheidet in Griechenland das Volk in einem Referendum über die Finanzierungsvorschläge und Reformauflagen der internationalen Geldgeber. Varoufakis fordert die Wähler auf, mit "Nein" zu stimmen. Sollte es ein mehrheitliches "Ja" geben, so werde er nicht mehr Finanzminister sein.
Der "Popstar der Ökonomie"
Dieser Finanzminister hat seit seinem Amtsantritt am 27. Januar für Irritationen gesorgt. Seine Sprache: direkt und unverblümt. Vor allem in seinen zahlreichen Interviews. Immer wieder sucht Yanis Varoufakis das Rampenlicht. Und oft gehen seine Auftritte nach hinten los. Das Rettungsprogramm der EU für Griechenland bezeichnete er als "fiskalisches Waterboarding" und somit als Foltermethode. Deutschland warf er vor, es beteilige sich daran, eine Wolke der Angst in Europa zu verbreiten. Die EU, so sagte er im italienischen Fernsehen, sei dabei, schlimmer zu werden als die UdSSR. Und am Tag vor dem Referendum warf er den Gläubigern "Terrorismus" vor.
Varoufakis, der nach seinem Mathematik- und Statistikstudium seinen Doktor in Wirtschaftswissenschaften an der Universität in Essex machte, hatte schon früher Kontakte in die Politik - und zwar, als er als Berater für den damaligen sozialdemokratischen Oppositionsführer Giorgios Papandreou tätig war. Doch es kam noch vor dessen Wahl zum Ministerpräsidenten 2009 zum Zerwürfnis.
"Personifizierter Vertrauensverlust"
Als Griechenlands wirtschaftliche Schieflage vor fünf Jahren offensichtlich wurde, hat Varoufakis sich das Krisenmanagement als Hochschullehrer aus Australien, Schottland und den USA angeschaut. In seinem Buch "Der globale Minotaurus" fordert er eine grundlegende Debatte statt hektischer Rettungsaktionen. Die griechische Seite besteht darum auf einer Umstrukturierung der Schulden, die die Geldgeber nicht prinzipiell, aber zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen.
Sein Job als Finanzminister ist es, Allianzen zu schmieden und Spielräume auszuloten. Die hätte er vielleicht bekommen, wenn er weniger konfrontativ aufgetreten wäre. Doch nach den Worten eines EU-Diplomaten personifiziert der Minister momentan den dramatischen Vertrauensverlust, den die Regierung Tsipras bei den übrigen Eurostaaten in wenigen Monaten verursacht hat. Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sagte in einer Pressekonferenz, mit einer Regierung, die eine Reformvereinbarung zur Abstimmung stelle und ihre Ablehnung empfehle, lasse sich eben nicht mehr vertrauensvoll zusammenarbeiten. Innerhalb der EU hat Yanis Varoufakis in der Griechenland-Krise jedenfalls Einigkeit gestiftet.