Eine überkommene Institution?
6. Februar 2002Normalerweise verbringt die Königin den 6. Februar in Sandringham, einer ihrer zahlreichen Privatresidenzen, abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Dieses Mal allerdings tritt sie öffentlich auf, in einer Krebsklinik, um ihres verstorbenen Vaters König Georg VI. zu gedenken. Dort spricht die Königin mit Ärzten, Krankenschwestern und Patienten, öffentlichkeitswirksam versteht sich, denn sie will damit demonstrieren, dass sie nach 50 Jahren auf dem Thron immer noch beliebt ist, immer noch vom Volke gewollt ist.
Der Auftritt der Königin in der Krebsklinik ist ein unbeabsichtigtes Symbol: Denn die Monarchie in Großbritannien kränkelt offenbar wie selten zuvor. Laut Meinungsumfragen glaubt deutlich weniger als die Hälfte der Briten, dass das Land ohne die Monarchie schlechter dran wäre. Vor zehn Jahren waren es immerhin noch 75 Prozent.
Um eine Blamage des Königshauses abzuwenden, hat Premierminister Tony Blair an seine Landsleute appelliert und sie zur Teilnahme an den Feierlichkeiten aufgefordert. Als die junge, hübsche Elizabeth den Thron 1952 bestieg, hatte sie so was nicht nötig. Ihre Landsleute jubelten hemmungslos. Noch regierte sie ein Weltreich, das Land, das Nazi-Deutschland besiegen half. Elizabeth verstand es glänzend, die Beziehungen zu den Kolonien zu pflegen, als diese Länder in das Commonwealth integriert wurden. Sie strahlte Zuversicht und Kontinuität aus. Eine altbewährte Institution schien den Übergang in die Moderne geschafft zu haben. 1977 feierte dann das ganze Land mit, als die Königin ihr 25. Kronjubiläum beging.
Seitdem scheinen Elizabeth und das Königshaus vom Pech verfolgt. Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Die Monarchie hat erkennbar aus den tiefgreifenden Veränderungen in und um Großbritannien die Konsequenzen nicht gezogen: Im Verlaufe der Thatcher-Ära entstand eine Leistungsgesellschaft, die den sozialen Aufstieg in einer zuvor von Klassengegensätzen geprägten Gesellschaft ermöglichte. Eine multikulturelle Gesellschaft, mit wachsenden inneren Spannungen, entstand. Zunehmend orientierte sich die britische Wirtschaft in Richtung Europa, USA und Fernost. Das Commonwealth verlor ständig an Bedeutung. Darüber hinaus hat die immer stärker werdende Medienpräsenz der Premierminister Thatcher, Major und Blair der Königin die öffentliche Darstellung erheblich erschwert und ihre Rolle als Staatsoberhaupt geschwächt.
Hinzu kam, dass die Chance auf eine radikale Verschlankung der Monarchie verpasst wurde. Häufiges Fehlverhalten der Royals kam noch hinzu: Prinz Philip war immer gut für an Rassismus grenzende Bemerkungen über Immigranten oder spöttische Bemerkungen über faule Arbeiter. Charles heiratete ein Kindermädchen aus reichem Hause, das sich bald in einen Medienstar verwandelte. Lady Di engagierte sich sozial und wurde, was das Volk wollte: die Prinzessin der Herzen. Thronfolger Charles hatte dem nichts entgegenzusetzen. Er wirkte wie ein Fremdkörper, belehrte die besten Architekten und forderte mehr Umweltschutz zu einer Zeit, als die meisten seiner Untertanen das Wort kaum buchstabieren konnten. Zeitungsberichte über seine abgehörten Telefonate mit seiner Geliebten Camilla disqualifizierten ihn in den Augen vieler für die Nachfolge Elizabeths.
Dianas Scheidung von Charles und die zahlreichen Affären im Hause Windsor kulminierte im Jahr 1992 mit der Bemerkung der Königin, es sei ein "annum horribilis" gewesen. Stimmt. Der Schaden stieg dann ins Unermessliche, als die Königin sich 1997 weigerte, öffentlich um die tödlich verunglückte Diana zu trauern. Nur das Engagement von Tony Blair hat die Monarchie damals aus der existentiellen Krise geführt.
Seitdem ist es ruhiger um das Königshaus geworden. Die Königin persönlich genießt nach wie vor hohes Ansehen, vor allem bei den Älteren. Laut Meinungsumfragen aber beschäftigen sich die Briten viel lieber mit der TV-Zeichentrickserie "Die Simpsons", mit dem Fußballstar David Beckham und seiner Spice-Girl-Ehefrau Victoria, als mit der Monarchie und ihrer Zukunft nach Elizabeth. Verständlicherweise, denn die Kinder von Charles und Diana erregen bereits jetzt aus den falschen Gründen öffentliches Interesse. So auch jüngst Prince Harry, der wegen Drogen in eine Entziehungskur musste. Prince William entwickelt sich hingegen zum Frauenheld. Weitere Skandale sind so programmiert.
Unlängst wurde ein Gemälde der Königin von einem führenden Künstler zum Thronjubiläum fertiggestellt. Das Bild zeigt eine Frau, die versteinert wirkte. Trotzdem sind die Befürworter einer Republik nicht im Aufwind. Ganz im Gegenteil: die Stimmung ist eher "Augen zu und durch", denn Elizabeth will auf keinen Fall abdanken. Wer weiß, ob die Monarchie das überstehen würde. Vor diesem tristen Hintergrund wirkt der Titel der britischen Hymne "God Save the Queen" völlig anders, als er gemeint ist.