Eine Welt – nur ein Wunschtraum?
7. September 2013Der evangelischer Theologe Martin Niemöller, ein Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, hat bereits 1964 dafür plädiert, dass die Christen die Welt nicht in verschiedene Blöcke einteilen sollten, sondern von der „einen Welt“ sprechen müssten. Er hat sich dabei auf das Evangelium berufen, das eine frohe Botschaft für alle Völker ist.
Eine Welt, das ist ein Sehnsuchtswort. Was ist das Neue, das Überraschende an dem Begriff eineWelt? Um es zu verstehen, muss man den Blick zurückrichten. Da ich die Gnade der frühen Geburt habe, kann ich berichten, dass in meiner Kindheit und zu meiner Jugendzeit die Welt in drei Blöcke eingeteilt war. Von Europa aus zählte man drei Welten. Die „Erste Welt“ waren – natürlich! - die entwickelten Länder Westeuropas, Nordamerikas und Australiens, auch oft "Industrienationen" genannt. Die "Zweite Welt" waren die kommunistischen Länder wie die damalige UdSSR die Volksrepublik China, die DDR, Nordkorea, Nordvietnam, Kuba usw. Die „Dritte Welt“ hingegen waren die blockfreien Länder, Afrika, Asien, Südamerika: Die „unterentwickelte Welt“, wie man damals sagte, die Länder in der Finsternis des Heidentums, wie es in einem Missionsgebet hieß, denen wir das Licht des Evangeliums bringen sollten.
Und nun: Eine Welt – das hat was! Eine Welt – das bedeutet nicht nur Eine-Welt-Laden mit Produkten aus fairem Handel. Zwei französischen Wissenschaftlern ist es zu verdanken, dass 1948 das als diskriminierend empfundene Wort von der „unterentwickelten Welt“ durch den Begriff „Entwicklungsländer“ ersetzt wurde. Ein erster Schritt! Von der Einteilung unseres Planeten in drei Welten bis hin zu dem Begriff „Eine Welt“ ist es also ein weiter Weg.
EineWelt – das ist ein Hoffnungswort. Und zugleich ein Traum. Ein schöner Traum! Ein gefährlicher Traum! Denn aus diesem Traum kann man herausgerissen werden in eine bittere Wirklichkeit. Der Traum von der „einen Welt“ kann ein Wunschdenken bleiben, das dem harten Alltag nicht standhält. Wir sind leider keine „eine Welt“: weder im Einkommen, noch im Auskommen, weder in der gesundheitlichen Versorgung noch in der Bildung, weder im Verständnis von Religion noch im Verständnis von Demokratie. Nur mit viel Toleranz und Feingefühl lassen sich die Blöcke auflösen und können sich Völker und Nationen annähern.
Als Christinnen und Christen kommt uns dabei eine besondere Verantwortung zu. Globalisierung war von Anfang an für Christen kein Fremdwort. Die Botschaft des Evangeliums ist in jeder Kultur und in jeder Sprache zuhause. Das eine Credo vereint viele Völker. Die Nachfolge Jesu verpflichtet Christen heute, für die Armen und Schwachen besonders Sorge zu tragen. Der Traum von der „einen Welt“ drängt uns hinaus.
Zur gleichen Zeit, als Martin Niemöller empfahl, den Begriff „eine Welt“ zu benutzen, ist das für die katholische Kirche so bedeutende Zweite Vatikanische Konzil eingetreten für eine neue Sicht der Welt. In einem seiner wichtigsten Dokumente ist das Konzil eingetreten für die enge Verbundenheit der Kirche mit der ganzen Menschheitsfamilie. Wörtlich heißt es: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“. Das sind zunächst einmal schöne Worte – so wie es das Wort von der einen Welt ist. Wo aber Menschen diese Worte mit Inhalt füllen, wo Menschen weltweit nicht nur unterwegs sind für Profit und Macht, sondern für Toleranz, Freiheit und Frieden, da werden Träume wahr.
Als Papst Franziskus als erstes Ziel seiner päpstlichen Reisetätigkeit die Flüchtlingsinsel Lampedusa wählte, hat das weltweit Aufsehen erregt und Diskussionen ausgelöst. Dem Papst wird das recht sein. Denn auf Lampedusa hat er die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ angeprangert. Das Heilmittel gegen diese „Gleichgültigkeit“ ist das Bemühen um die eine Welt, die zwar immer noch in Blöcke aufgeteilt ist, aber die zusammenwächst, weil Menschen aus Träumen Taten werden lassen: Taten der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und des Friedens.
P. Gerhard Eberts, geboren im Sauerland, ist Missionar von der Heiligen Familie (MSF). Nach Priesterweihe und Journalistenausbildung war er von 1968 bis 2011 Chefredakteur der Ordenszeitschrift „Sendbote“. Gleichzeitig war er bis 1984 Redakteur der Monatszeitschrift Weltbild. Zwischen 1991 und 2000 war P. Eberts Studienleiter und Dozent beim Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchs (ifp) in München. Dabei kümmerte er sich besonders um den Aufbau von Journalistenkursen in Osteuropa.Heute arbeitet er als Hochschulseelsorger in der Katholischen Hochschulgemeinde Augsburg, er gibt Exerzitien und trägt seit 2010 Verantwortung für die Koordination der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Diözese Augsburg.