Die 68er und die Frauen
2. August 2008Im Jahr 1968 war die Bundesrepublik eine kleinbürgerliche und autoritäre Gesellschaft. Ehemalige Nazis saßen in hohen Regierungsämtern, die heimgekehrten Väter redeten nicht mit ihren Kindern über das, was geschehen war. Die geplanten Notstandsgesetze mobilisierten Studenten und Gewerkschafter, und eine ganze Generation sah das Freiheitscredo der Amerikaner in Vietnam mit Füßen getreten.
"Wir waren wirklich erschüttert, was da passierte", erzählt Sarah Haffner, Malerin in der damaligen Frontstadt Berlin, wo eine junge Generation mit Entschlossenheit, Phantasie und Witz gegen die Verhältnisse protestierte. Die Fotos von Kindern die durch Napalm verbrannten oder von einem amerikanischen Soldaten, der einem Vietnamesen eine Pistole an den Kopf hält, wurden zu Ikonen des Entsetzens, die viele Menschen auf die Straße trieben.
"Das Private ist politisch"
Sarah Haffner wird im April 1968 Mitglied im neu eröffneten Republikanischen Club. Ein vor ihr gefertigtes Bild, das sich gegen die rechtskonservative Presse und Stimmung im Land richtete, hing hier an der Wand und war immer zu sehen, wenn eine Pressekonferenz stattfand. Die Politik des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) der außerparlamentarischen Opposition (APO) aber bestimmten weiter die Männer.
Noch waren die Frauen daran gewöhnt, von Männern herumkommandiert zu werden. Aber im politischen Gespräch untereinander machten sie eine völlig neue Entdeckung: Sie waren nicht vereinzelt, sie hatten alle dieselbe Erfahrungen des Gefühls, immer etwas falsch zu machen. "Das war fast, als wenn man plötzlich aufwachte", erinnert sich die Malerin.
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Das Private ist politisch" - diesen Slogan wollten die Frauen rasch im eigenen Leben umsetzen. An den Demonstrationen konnten sie sich oft nicht beteiligen, weil sie Kinder hüten mussten. Sie machten sich Gedanken, wie sie das ändern könnten. Bald wurden die ersten Kinderläden gegründet, leerstehende Läden für wenig Geld angemietet. Die Frauen übernahmen abwechselnd die Betreuung der Kinder, und die anderen konnten ihrer Erkenntnislust nachgehen. Sich informieren über den Vietnamkrieg oder die griechische Militärdiktatur, über den Hunger in Afrika und die Wiedereinführung der Notstandsgesetze, aber auch über die Frage: Wie kann ich anders leben?
Die Emanzipationsdebatte muss erzwungen werden
Diskutiert wurde in den Universitäten, aber auch im Aktionsrat zur Befreiung der Frauen im Republikanischen Club, wo Sarah Haffner auf die heutige Filmemacherin Helke Sander traf, die zunächst noch auf Zusammenarbeit mit den Genossen im SDS setzte. "Wir wollten, dass wir mit den Männern gemeinsam theoretische Fragen klären, dass sie uns helfen bei der Theorie", erzählt Helke Sander. "Denn die Männer gingen von den Arbeitern aus. Und wir gingen von denen aus, die noch da drunter standen. Und deswegen fanden wir, dass wir das richtige historische Subjekt sind."
Für diese Position erntete die die junge Frau bei den Genossen vor allem Gelächter. Ihre Geschlechtsgenossinnen wollten jedoch nicht länger akzeptieren, dass Männer die große Politik und Frauen den Abwasch machen. Schließlich gelang es Helke Sander, zum 23. Delegiertenkongress nach Frankfurt zu reisen und als einzige Frau eine Rede über die Emanzipation zu halten.
Eine zerplatzte Tomate mobilisiert
Eine Debatte über den Inhalt der inzwischen als "historisch" geltenden Rede sollte es anschließend nicht geben. Da sprang eine andere Frau, Sigrid Damm-Rüger, der Rednerin zur Seite, indem sie den prominenten SDS-Genossen Hans-Jürgen Krahl mit einer Tomate bewarf. "Die Emanzipation musste jetzt endlich auf die Tagesordnung", erinnert sich Sigrid Damm-Rüger. "Dass die Frauen dann auch hochgegangen sind und ihrem Unmut Luft gemacht und Beiträge geliefert haben, das hat deutlich gezeigt: Das war genau das Richtige."
Noch am selben Tag gründeten sich die ersten "Weiberräte". Es war die Geburtsstunde der neuen Frauenbewegung in Deutschland, die in den 70er-Jahren mit der Abtreibungsdebatte ihre breiteste Mobilisierung erreichte.