Eine starke Verbindung: Grass und Danzig
5. November 2005In Danzig geboren, mit Danzig verbunden - Günter Grass lebte und durchlebte seine kaschubische Heimat in allen Facetten. Aus diesen Wurzeln schöpft er jahrelang seine Kraft und Inspiration, nicht nur für sein erfolgreichstes Buch "Die Blechtrommel".
"Anfangs war es die Reise zurück, um Spuren von Danzig zu finden", sagte Günter Grass im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Aber im Verlauf der Jahre und Jahrzehnte war es dann auch eine starke Beschäftigung mit der Geschichte von Gdansk, mit der Nachkriegsgeschichte. Zum Beispiel in meinem Roman 'Der Butt' beschreibe ich in dem Schlusskapitel den Aufstand in den polnischen Hafenstädten, insbesondere in Gdansk, wo die Miliz auf die Arbeiter schießt, das geht mit in die Handlung hinein. Und damals war ich der einzige Autor, der darüber geschrieben hat. Die polnischen Autoren konnten darüber nicht schreiben. Die Zensur hätte es nicht zugelassen. Also ich war so zusagen eine Ersatzfunktion in Ergänzung zur polnischen Literatur. Also es ist ein doch über Jahrzehnte her hinreichendes Verhältniss und Verständniss, das weiter geht."
Die frühen Erben
Vor kurzem kam Günter Grass mit seinen Übersetzern zusammen, um mit ihnen die Neu-Übertragung der "Blechtrommel" zu besprechen. Während dieses Aufenthaltes traf er auch seinen jüngeren Kollegen Pawel Huelle, zu dem er eine besondere Verbindung hat. Nicht nur, dass die Bücher von beiden Schriftstellern auf vielerlei Weise die Geschichte Danzigs spiegeln. Manche treten sogar in einen Dialog, wie zum Beispiel der erste Roman "Weißer Dawidek" von Pawel Huelle mit der Günther-Grass-Novelle "Katze und Maus".
Der polnische Autor konnte dank der früheren Prosa von Günter Grass die ihm unbekannte Geschichte Danzigs kennenlernen. Seine Begeisterung damals war riesig. "Die ersten Bücher von Günter Grass waren für mich wie eine Entdeckungsreise. Auf einmal tauchte in diesen Geschichten meine Stadt auf, aber in einer anderen, mir unbekannten Kulisse. Das war sozusagen eine Literatur des ersten Kontakts. Auf einmal habe ich wieder meinen Spielplatz vor Augen, die Gassen, den Bolzplatz, alle diese Orte in Langfuhr heute Wrzeszcz, wo man die Schlachten geführt und die ersten Zigaretten geraucht hat. Es war einfach faszinierend."
Dem Roman "Weißer Dawidek" folgten weitere Geschichten, wie "Silberregen". Fast alle Geschichten in diesem Band sind Erinnerungen an Menschen, die längst tot sind; an ein Danzig und sein pommerisches und kaschubisches Umland, das längst nicht mehr existiert. Wie Pawel Huelle hat noch ein anderer Danziger Autor, Stefan Chwin, einen wichtigen Beitrag geleistet, um die verdrängte Geschichte der Stadt wieder bekannt zu machen. Eine wichtige Mission für die Versöhnung, meint Günter Grass.
Danzigs Last der Vergangenheit
"Hier gerade in Danzig gibt es Chwin, gibt es Pawel Huelle, die beide sehr früh noch während der kommunistischen Zeit angefangen haben, die deutsche Vergangenheit der Stadt mitzuschreiben", sagt Grass. "Die wurde vorher ignoriert, als hätte es sie nicht gegeben, als hätte man uraltpolnisches Gebiet zurück erobert, was völlig Quatsch ist und eine historische Verfälschung. Diese Nationalisten gibt es in den beiden Ländern nach wie vor, die werden immer wieder diese Position einnehmen und dagegen muss man anschreiben, muss man anreden."
Günter Grass erregt viel Aufsehen mit seinen Büchern und mit seinen Auftritten in Danzig. Er ist dort zu einer Kultperson geworden, was er aber mit Gelassenheit zur Kenntnis nimmt und reflektiert.
"Wir leben in einer so schnelllebigen Zeit. Alles geht rasch und vorbei und läuft über moderne Technologien. Und die Literatur setzt den Leser voraus, es ist etwas, was man nicht delegieren kann. Man muss selber lesen, das ist eine abstrakte Schriftfläche, die erst durch die Leser wiederbelebt wird. Und wenn ich Leser mit meinen Bücher gewinnen kann, gerade hier, freue ich mich besonders darüber."