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Vor dem SPD-Bundesparteitag

Richard A. Fuchs, Berlin (mit Agenturen)9. Dezember 2015

Lange hatte die SPD ein Problem: Angela Merkel. Die Kanzlerin räumte Themen der Sozialdemokraten ab, ruinierte Umfragewerte. Seit der Flüchtlingskrise ist das anders: Merkel rutscht ab. Doch profitiert davon die SPD?

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Deutschland Merkel und Gabriel PK im Bundeskanzleramt zur Griechenland-Krise
Hinter Merkel: Die SPD hat lange unter der Popularität der Kanzlerin gelitten. Jetzt steht Merkel in der Kritik - eine Chance für die SPD?Bild: Reuters/F. Bensch

Rund 600 Delegierte werden erwartet, wenn sich die SPD ab Donnerstag auf ihrem Bundesparteitag in Berlin versammelt. Ein Parteitag, auf dem der sozialdemokratische Juniorpartner von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Weichen für die zweite Hälfte der Amtszeit der Großen Koalition stellen will. Offiziell läuft diese Amtszeit noch bis zum Jahr 2017. Dabei werden die Flüchtlingskrise, ebenso wie der Militäreinsatz der Bundeswehr in Syrien im Zentrum der Debatte auf dem Parteitag stehen. Aber auch in der Familienpolitik, in der Digitalwirtschaft und im Arbeitsrecht wollen die Genossen neue, andere Akzente setzen.

Es ist der erste SPD-Parteitag, an dem Bundeskanzlerin Angela Merkel als schlagbare Kontrahentin gehandelt wird - weil ihr Kurs in der Flüchtlingspolitik sie massiv Zustimmung gekostet hat. Für die SPD Chance und Herausforderung gleichermaßen, dem Merkel-Credo "Wir schaffen das" in der Flüchtlingspolitik eine eigene Linie entgegenzusetzen.

SPD will "verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik"

Dabei kann sich die Partei mit der Situation von Flüchtlingen am Tagungsort direkt auseinandersetzen. Nur wenige Meter von den Berliner Messehallen entfernt ist nämlich eine provisorische Unterkunft für bis zu 600 Flüchtlinge entstanden. Bereits im Vorfeld des Parteitages kündigte die Parteispitze um SPD-Generalsekretärin Jasmin Fahimi an, bei der Flüchtlingspolitik klare Kante zu zeigen. Statt über Asyl-Obergrenzen, wie bei der CSU in Bayern, soll bei der SPD über eine Verlangsamung des Flüchtlingszustroms gesprochen werden. Eines bleibe davon unberührt: "Das Asylrecht gilt ohne Abstriche", heißt es entsprechend im Entwurf des Leitantrages, der dort zu einer "verantwortungsvollen Flüchtlingspolitik" verabschiedet werden soll.

Einige Vorstellungen bergen Sprengstoff für die Große Koalition. Nicht zuletzt der SPD-Vorschlag, den Schutzstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge auszuweiten. Demnach fordert die Partei, offensichtliche Kriegsflüchtlinge aus dem regulären Asylverfahren herauszunehmen, um Behörden und Kommunen dadurch zu entlasten. So zitiert die in Düsseldorf erscheinende "Rheinischen Post" das parteiinterne Papier. Außerdem sollten junge Asylbewerber nicht nur während einer Ausbildung einen geschützten Status erhalten, sondern auch nach abgeschlossener Ausbildung "dauerhaft bleiben können". Dies und vieles mehr soll nach der Vorstellung der SPD in einem neuen Einwanderungsgesetz geregelt werden - was die Unionsparteien bislang als weitgehend überflüssige gesetzliche Neuregelung ablehnen.

Eine Schlange im Berliner Registrierungszentrum für Flüchtlinge Foto: Richard Fuchs
Bei der Integration nicht Schlange stehen: SPD will Eingliederung von Flüchtlingen beschleunigenBild: DW/R. Fuchs

Mehr Bildung, und mehr Diplomatie im Syrien-Konflikt

Auf dem SPD-Parteitag soll ein "Investitionspakt" zwischen Bund, Ländern und Kommunen gefordert werden, mit dem vor allem Geld für Integration bereitgestellt werden kann. Auch bei der Bildung will die SPD eigene Akzente setzen. Um Flüchtlingskinder möglichst schnell und erfolgreich ins Schulsystem zu integrieren, fordert die SPD mehr Einfluss des Bundes auf die Schulpolitik, die hierzulande ganz in den Händen der 16 Bundesländer liegt. "Wir brauchen eine nationale Bildungsallianz - und zwar nicht nur, um die Bildung von Flüchtlingskindern zu ermöglichen", sagte der stellvertretende SPD-Fraktionschef Hubertus Heil der Deutschen Presseagentur.

Ein weiterer Schwerpunkt des Parteitags liegt auf außenpolitischen Fragen. Besonders heikel dürfte der Bundeswehreinsatz in Syrien im Kampf gegen die Terrormiliz IS debattiert werden. Bei solchen Militäreinsätzen gebe es eine "hohe Sensibilität" in der Partei, sagte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi am Dienstag in Berlin. In einem Leitantrag will die Partei darstellen, wie ein politischer Prozess zur Befriedung der Situation ausgestaltet werden soll. Fahimi machte deutlich, dass besonders die Syrien-Debatte wichtig sei, "um den Zusammenhalt der Partei sicherzustellen." Alle Augen werden sich dabei auf Außenminister Frank-Walter Steinmeier richten, der maßgeblich die außenpolitischen Leitlinien der Partei mitgestaltet.

Er prägt die SPD-Außenpolitik maßgeblich: Außenminister Frank Walter Steinmeier in den kurdischen Gebieten Foto: dpa/Bundesaußenministerium/M. Gottschalk
Er prägt die SPD-Außenpolitik maßgeblich: Außenminister Frank- Walter Steinmeier in den kurdischen GebietenBild: picture-alliance/dpa/Bundesaußenministerium/M. Gottschalk

Die Personal-Debatten, die es nicht geben soll

Am Freitag werden die Wahlen der Parteispitze das Programm bestimmen. An einer Wiederwahl von Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel zweifelt niemand. Interessant dürfte werden, wie seine Zustimmung unter den SPD-Mitgliedern ausfällt. Vor zwei Jahren musste er mit 83,6 Prozent der Stimmen ein Ergebnis akzeptieren, das mancher Beobachter als Wahlschlappe einstufte. Seine Zustimmung jetzt dürfte daher auch als Gradmesser verstanden werden, ob die SPD mit Gabriel als Kanzlerkandidat in die nächste Bundestagswahl ziehen könnte. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil machte sich für genau dieses Szenario stark. "Gabriel ist die unbestrittene Nummer Eins in der SPD", sagte Weil der Deutschen Presseagentur.

Wählerumfragen legen dagegen nahe, dass sich SPD-Anhänger auch durchaus andere Personalien vorstellen könnten. Besonders beliebt als Merkel-Kontrahent, so eine aktuelle Umfrage in der "Welt am Sonntag" ist Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Eine formale Nominierung des Kanzlerkandidaten findet auf dem Parteitag nicht statt. Ebenso wenig wie über das abgestimmt wird, was sich viele erhofft hätten. Nach dem Vorbild von Linkspartei und Grünen wollen manche in der SPD eine Doppelspitze aus einem Mann und einer Frau installieren. Der entsprechende Antrag dafür wurde jetzt allerdings zeitlich nach der Wahl zur Parteispitze gesetzt - weshalb dieser Punkt kurzfristig keinen Effekt auf die Wahlergebnisse der SPD haben kann.

Kein Rückenwind für die SPD: Der SPD fehlen die Wähler. Kann die Schwäche der Kanzlerin helfen? Foto: Daniel Karmann
Kein Rückenwind für die SPD: Der SPD fehlen Wähler. Kann die Schwäche der Kanzlerin helfen?Bild: picture-alliance/dpa

Der SPD fehlt die "Wähler-Dividende"

Genau hier sollte der Parteitag aber Signale setzen. Denn bislang gelingt es den Sozialdemokraten nicht, sich aus dem Windschatten der zuletzt umstrittenen Kanzlerin zu lösen, um neue Wähler zu gewinnen. Im Gegenteil. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage verharrt die SPD beim Wählerzuspruch bei niedrigen 24 Prozent und liegt damit weiter abgeschlagen hinter der Unionspartei mit 38 Prozent. Diese verliert, aber nur um einen Prozentpunkt. Hohe Gewinne fährt insbesondere die rechtspopulistische AfD ein, die in Ostdeutschland bei einer Wahl derzeit 16 Prozent Zustimmung hätte. Für die SPD gilt damit weiterhin, dass sie ihre Politikerfolge nicht in direkt zählbare Wahlerfolge überführen kann. Dabei gibt es Einiges, was die SPD für ihre Wählerschaft in den vergangenen zwei Jahren in der Großen Koalition durchsetzen konnte.

Der Mindestlohn wurde - wie angekündigt - eingeführt, die Rente mit 63 verabschiedet und Missbrauchsmöglichkeiten bei der Leiharbeit eingedämmt: Diese SPD-Themen setzte die "GroKo" unter Zähneknirschen der Unionsparteien um. Genützt hat das der SPD beim Wähler bislang dennoch nicht. Ob SPD-Parteichef Sigmar Gabriel auf dem Parteitag Antworten darauf findet, wie die SPD aus dem Windschatten der Kanzlerin kommt, wird deswegen zu den besonders spannenden Fragen der nächsten Stunden in Berlin gehören.