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Eine Nase für die Zukunft

Frank Sieren26. Mai 2014

In China werden Schönheitschirurgen für die Karriere und das private Glück immer wichtiger. Eine gelungene OP bringt in China manchmal leider mehr als eine Doktorarbeit, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Schönheitschirurgie in China
Bild: AP

Mao Zedong, der große Vorsitzende, galt schon zu Lebzeiten in den Augen des Volkes nicht gerade als einer der schönsten Chinesen. Sein Gesicht mit dem leichten Doppelkinn, der dicken Warze unter der Lippe und der hohen Stirn zieren trotzdem bis heute noch jeden Geldschein von Wert in China. Insofern ist Mao also eigentlich ein gutes Beispiel dafür, dass man auch ohne gutes Aussehen etwas werden kann, wenn das Charisma stimmt. Darauf wollen sich jedoch immer weniger Chinesen verlassen. Zwar mögen bei den Topkadern nach wie vor nicht die aktuellen Schönheitsideale gelten, aber wenn man als junger Mensch im chinesischen Privatsektor Karriere machen will, dann muss man mittlerweile das nötige Aussehen mitbringen. Mehr noch als in Europa ist Schönheit ein Statussymbol geworden, genauso wie das richtige Auto und der lukrative Job.

Waffe im Konkurrenzkampf

Über sieben Millionen Universitätsabgänger suchen allein in diesem Jahr in den Städten Chinas nach Arbeit: Die Konkurrenz ist riesig. Da muss man beim Bewerbungsgespräch schon hervorstechen, wenn sich die Chefs an einen erinnern und ein potentieller Job dabei abfallen soll. Denn bei der Auswahl geht es nicht um einen guten Abschluss, sondern oft noch um eine seltsame Mischung aus altem Aberglauben und neuen Schönheitsidealen. Nach dem chinesischen Glauben der traditionellen Gesichtsdeutung sagt die Form des Gesichts und die Lage der Augen, des Mundes und der Nase viel über die Arbeitsmoral der Aspiranten aus.

Porträt von DW-Kolumnist Frank Sieren (Foto: DW / GMF)
Frank SierenBild: privat

Eine hohe Stirn bedeutet Denkfreudigkeit und engstehende Augen etwa einen Hang zum Detail. Als großzügig gilt der, der große Nasenlöcher, hat und volle Lippen sind nicht nur sinnlich anzusehen, sondern lassen auch auf die humorvolle Seite der Person zurück schließen. Hinzu kommen westliche Attribute wie mandelförmige Augen statt Schlitzaugen, ein hohes Nasenbein und straffe Haut. Allerdings ist nicht alles, was aus dem Westen kommt von Vorteil. Angelina Jolie hat nach chinesischem Verständnis zu markante Kinnzüge und Cameron Diaz einen zu großen Mund. Volle Lippen und große Augen kommen dafür gut an und werden von den Frauen in China gerne als Vorlage für eigene Wunschvorstellungen gewählt.

Statussymbol Schönheits-OP

Die Schönheitsoperation wird in China viel selbstverständlicher gemacht als im Westen, und es wird darüber auch ganz offen gesprochen. Es ist ein Statussymbol wie eine neue Louis-Vuitton-Tasche. Entsprechend groß ist das Geschäft mit der Schönheitschirurgie. Im letzten Jahr lag der Umsatz der Branche bei etwa 37,5 Milliarden Euro. Über 40 Prozent mehr als im Vorjahr haben sich für die Schönheit unters Messer gelegt. Dabei können eine schöner geformte Nase oder eine doppelte Lidfalte durchaus auch mal mehr als ein durchschnittliches Jahresgehalt eines Bauarbeiters kosten.

Die immer besser verdienende Mittelschicht Chinas schreckt das nicht ab. Auch nicht die in westlichen Augen teils makabren Situationen bei den Ärzten. Die Schlangen in den Kliniken sind lang, abgefertigt wird nach Wartenummern, und meist wird gleich vor Ort operiert, ohne große Beratung und Privatsphäre. Über 20 Millionen Beschäftigte gibt es offiziell in der chinesischen Schönheitsindustrie, mit einer noch größeren Dunkelziffer. In Branchen, die schnell wachsen, geht auch viel schief. Die Ärzte, die aufs schnelle Geld aus sind, sind oft schlecht ausgebildet und haben wenig Erfahrung. Sie locken dann mit Sonderangeboten diejenigen, die sich keinen guten Arzt leisten können.

Vorbild Südkorea

Wer auf Nummer sicher gehen will, fliegt lieber nach Südkorea. Dort ist es fast schon Alltag, dass südkoreanische Frauen zum 18. Geburtstag eine Schönheits-OP geschenkt bekommen. Eben weil die Praxis auf der Halbinsel schon länger etabliert ist, sind die Ärzte dort fachkundiger und locken auch Chinesen an.

Und so wächst heute die Zahl der Klinikbesuche schneller als die der Doktoranden an den Universitäten. Wer gut aussieht, hat aber nicht nur bessere Chancen auf dem Arbeits- sondern auch auf dem Heiratsmarkt, bei dem es noch viel mehr als im Westen darum geht, eine gute Partie zu finden. Da kommt es schon vor, dass Mütter ihren Töchtern eine Brustvergrößerung nahe legen, um einen Mann zu finden, der eine angezahlte Eigentumswohnung als Mitgift einbringt. Verglichen damit ist ein Ticket nach Südkorea eine kleine Investition. Übertreiben sollte man es mit der Schönheit allerdings nicht. Erst Anfang dieses Monats hatte eine Gruppe von frisch operierten Chinesinnen Probleme mit südkoreanischen Grenzbeamten. Sie konnten sie anhand ihrer alten Passbilder nicht mehr wiedererkennen. Erst nach Rücksprache mit der Klinik durften die Damen ausreisen.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.