Eine kurze Geschichte der Genforschung
2020 gab es den Nobelpreis für CRISPR/Cas9. Zu Recht. Denn die Genschere ist ein Durchbruch auf dem Feld der DNA-Veränderungen. Ein (unvollständiger) Blick auf die frühen Wegbereiter der wegweisenden Technologie.
1869
In einem Labor im Keller des Schlosses Hohentübingen findet der Mediziner Friedrich Miescher im Kern von Eiterzellen die Nukleinsäure. Heute bekannt als DNS (Desoxyribonukleinsäure) oder auch DNA (Engl.: Desoxyribonucleinacid). Dass er damit die Grundlage der Vererbung entdeckt hat, war ihm allerdings nicht klar.
1910
Ludwig Karl Martin Leonhard Albrecht Kossel (ja, so lange Namen hatte man damals) gewinnt den Nobelpreis für die Identifizierung der vier DNA-Bausteine: Adenin, Cytosin, Thymin und Guanin. Außerdem entdeckte er auch Uracil, einen RNA-Baustein. Dass diese Bausteine die chemische Sprache des Lebens sind, wusste aber auch er nicht.
1943
Dass die DNA die Erbinformationen trägt, wird erst 30 Jahre später von Oswald Avery nachgewiesen. Er zeigt, dass Bakterien durch den Austausch von Nukleinsäuren, also DNA, neue Fähigkeiten erhalten. Damit ist klar: Die DNA enthält übertragbare und damit vererbbare Informationen. Wie die Vererbung funktioniert, kann sich damals aber noch niemand vorstellen.
1953
James Watson und Francis Crick veröffentlichen ihre Arbeit zur 3D-Struktur der DNA. Mithilfe von Röntgenaufnahmen von Maurice Wilkins und Rosalind Franklin können sie zeigen: Die DNA besteht aus zwei gewundenen Strängen, der Doppelhelix. Man kann sie sich wie eine eingedrehte Strickleiter vorstellen.
1958
Mit der Aufdeckung der dreidimensionalen Struktur liefern Watson und Crick auch eine Hypothese für den Vererbungsmechanismus. Die DNA-Stränge sind komplementär aufgebaut. Aufgetrennt liefert ein Strang jeweils die Vorlage für den Aufbau des anderen Strangs. So kann die DNA "kopiert" werden. Die Hypothese wurde 1958 von Matthew Meselson und Franklin Stahl belegt.
1977
Frederick Sanger entwickelt die erste Sequenzierungsmethode, mit der die Reihenfolge der DNA-Bausteine auf dem DNA-Strang ausgelesen werden kann. Der erste Organismus, dessen Genom entschlüsselt wurde, ist übrigens ein Virus mit dem Namen φX174
1983
Kary Mullis erfindet die Polymerase-Kettenreaktion, kurz PCR (Engl: Polymerase chain reaction). Mit der Methode lassen sich DNA-Fragmente in vitro, also im Glas, schnell und einfach vervielfältigen und dann analysieren. Modifiziert ist die PCR-Technik heute zum Beispiel eine Grundlage für Corona-Tests.
2001
Eine erste Version der kompletten menschlichen DNA wird publiziert. Seit 2003 gilt das menschliche Genom als vollständig "entschlüsselt". Das wir jetzt wissen, wie die DNA aufgebaut ist, bedeutet zwar nicht, dass wir die Funktion jedes Genes kennen. Die Sequenzierung bildet aber die Grundlage, um zum Beispiel den Einfluss unserer Gene auf die Gesundheit besser zu verstehen.
2012
Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier publizieren ihre Arbeit zu CRISPR/Cas9 als ein System für die gezielte Bearbeitung von DNA. Mithilfe der Genschere können Forschende bestimmte Gene auswählen, korrigieren, herausnehmen oder austauschen. Der Mensch wird vom Geschöpf zum Schöpfer.
2018
Der chinesische Forscher He Jiankui verkündet, er habe mit der Genschere CRISPR/Cas9 das Erbgut von Babys so verändert, dass sie immun gegen HIV seien. Weltweit löst dieser Tabubruch Entsetzen aus. Regierungen, Universitäten und Hunderte Wissenschaftler distanzierten sich von dem Menschenversuch.
2020
Die Akademie der Wissenschaften in Stockholm zeichnet Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna mit dem Chemie-Nobelpreis aus. Ihre Genschere CRISPR/Cas9 habe die molekularen Lebenswissenschaften revolutioniert, neue Möglichkeiten für die Pflanzenzüchtung gebracht, trage zu innovativen Krebstherapien bei und könne den Traum von der Heilung vererbter Krankheiten wahr werden lassen.